Soziale Netzwerke werden im Zusammenhang mit der politischen Meinungsbildung kritisch betrachtet. Massnahmen zur Regulierung aber kämen einer Bevormundung der Bürger gleich.

In einem Gastkommentar in der NZZ hat Regula Hänggli über den Einfluss von globalen Social-Media-Plattformen auf den Meinungsbildungsprozess in der Schweiz geschrieben. Ihren primär theoretischen Ausführungen ist die gelebte demokratische Praxis gegenüberzustellen. Die Schweiz besitzt eine lange Tradition im Führen von öffentlichen Debatten. Entsprechend geübt sind Bürgerinnen und Bürger im Sammeln von Informationen und Bildern ihrer eigenen Meinung. Nachwahlbefragungen ergeben regelmässig, dass die wichtigsten Informationsquellen nach wie vor Artikel in Zeitungen sind. Ebenso zentral ist das Abstimmungsbüchlein. An letzter Stelle stehen die sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter. Die ETH-Studien «Sicherheit» aus den Jahren 2017, 2018 und 2019 haben zudem wiederholt bestätigt, dass die Bürgerinnen und Bürger den sozialen Netzwerken weniger vertrauen als anderen News-Anbietern. Der Glaubwürdigkeit der Quelle wird also durchaus Rechnung getragen.

Social Media und Demokratie müssen keine Gegensätze sein. (Christian Wiediger, Unsplash)

Man kann zwar zu dem Schluss kommen, dass soziale Netzwerke der Meinungsbildung wenig förderlich sind; deswegen Massnahmen zur Regulierung zu fordern, bevormundet jedoch die Nutzerinnen und Nutzer.

Verbote?

Ebenso wurde das fehlende Wissen über die Wirkung sozialer Netzwerke angesprochen. Der Diskurs über negative Einflüsse der sozialen Netzwerke stammt vorwiegend aus dem Ausland. Darin aufgeführte Argumente müssen im Schweizer Kontext beurteilt werden. Der jetzige Forschungsstand über die Digitalisierung der politischen Kommunikation ist nach Angaben des Digital Democracy Lab, das 2018 an der Universität Zürich ins Leben gerufen wurde, noch rudimentär. Ein Bericht über die Wahlen 2017 in Deutschland und soziale Netzwerke kommt jedoch zu dem Schluss, dass ungebührende Beeinflussungsversuche überschätzt wurden. Die implizite Forderung nach einem Verbot politischer Werbung entbehrt somit einer kohärenten wissenschaftlichen Grundlage.

Natürlich stellen soziale Netzwerke eine grosse Konkurrenz für die klassischen Medien dar: Neue Technologien senken die Kosten der Informationsverbreitung stark. Damit wird der Wettstreit der Meinungen und der Ideen erleichtert. Die Hürden sinken, am öffentlichen Diskurs teilnehmen zu können. Mehr Informationen bedeutet auch, dass sich die Öffentlichkeit vielseitiger informieren kann. Freilich ist damit noch nichts über die Qualität gesagt. Jedoch darf man bei der Informationsbeschaffung auf die Urteilskraft aufgeklärter Schweizer Bürgerinnen und Bürger setzen. Schliesslich traut ihnen diese die Bundesverfassung auch bei Sachabstimmungen zu.

Informationsbeschaffung

Auch im Zusammenhang mit Wahlen erleichtern Plattformen der sozialen Netzwerke die Informationsbeschaffung. Beispielsweise erlaubt es die Website «Smartvote», die politischen Präferenzen von Kandidaten mit den eigenen zu vergleichen. Damit wird es einem Wähler möglich, die Aussagen von Hunderten Politikerinnen und Politikern zu vergleichen und diejenigen auszuwählen, die mit der eigenen Haltung am ehesten übereinstimmen.

Ungeachtet möglicher Bedenken erfreuen sich digitale Kommunikationsplattformen grosser Beliebtheit, weil sie den Austausch zwischen Menschen im Alltag erleichtern. Digitale Technologien schaffen Politikwerkzeuge, die den Stimmbürgern als Entscheidungshilfen dienen. Angesichts der positiven Aspekte ist ein Strauss an Regulierungsmassnahmen nicht zielführend. Jedoch gilt es, die Marktmacht auch aus liberaler Sicht kritisch zu beurteilen. Bisweilen dürfen wir uns auf das Urteilsvermögen der Bürgerinnen und Bürger der Schweiz verlassen – auch dank den neuen Medien.

Dieser Beitrag ist am 19. Februar in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.