Wie ist Schweizer Stromwirtschaft innerhalb Europas positioniert? Was braucht sie, damit sie sich auch in der Zukunft gut entwickeln kann? Und wie sieht der Koordinationsbedarf mit den Nachbarländern aus? Keinen besseren Ort für die Diskussion über diese Fragen kann man sich vorstellen als den Hauptsitz der Swissgrid, der Schaltzentrale für das Schweizer Übertragungsnetz.

Mehr als siebzig Personen, darunter auch einige kantonale Politiker, folgten kürzlich der Einladung von Swissgrid und Avenir Suisse nach Aarau, um sich über die aktuelle Schweizer Energiepolitik zu informieren. Dass der Strommarkt heutzutage alles andere als ein regionales Geschäft ist, stellte Swissgrid-CEO Yves Zumwald gleich in seiner Begrüssungsrede klar, in der er die Verknüpfung des Institutionellen Rahmenabkommens mit dem Stromabkommen durch die EU hinterfragte.

Welches «Schweizer» Stromnetz?

Auch Jörg Spicker, Senior Strategic Advisor von Swissgrid, setzte die internationale Vernetzung bei seiner Präsentation in den Fokus. Eigentlich gebe es ein rein «schweizerisches» Übertragungsnetz schon heute nicht mehr. Im Gegenteil ist die Schweiz über mehr als 40 Grenzleitungen mit dem Ausland verwoben – ein auch im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoher Wert.

Weil die Strombranche mit ihrer Infrastruktur so umfassend mit dem Ausland verschränkt ist, leidet sie zunehmend unter der Unsicherheit in den Beziehungen Schweiz-EU. (Payam Tahery, unsplash)

Weil die Branche mit ihrer Infrastruktur so umfassend mit dem Ausland verschränkt ist, leidet sie zunehmend unter der Unsicherheit in den Beziehungen Schweiz-EU. Schon seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative ist ein sukzessiver Ausschluss aus verschiedenen Arbeitsgruppen mit den europäischen Partnerländern zu beobachten, und immer häufiger wird die Schweiz als Drittstaat behandelt und bei wichtigen Entscheidungen übergangen.

Für das Stromnetz bleibt dies nicht ohne Folgen. Unter anderem führt die im Vergleich zur Vergangenheit schlechtere Netzkoordination zu einem Anstieg an ungeplanten Stromflüssen, was die Infrastruktur zu gewissen Zeiten bis an die Belastungsgrenze strapaziert. Spicker wurde explizit: Wird kein Stromabkommen abgeschlossen, steht die Schweiz irgendwann sozusagen im Dunkeln – und das sei durchaus wörtlich zu verstehen. Wie realistisch die Einschätzung ist, zeigte sich am Montag nach dem Anlass: Das Übertragungsnetz drohte aufgrund hoher, ungeplanter Stromflüsse auszufallen.

Irene Fischbach, Maurus Büsser (verdeckt), Jörg Spicker, Patrick Dümmler, Rudolf Büchi (v.l.n.r.). (Mario Bonato)

Rudolf Büchi, Prozess- und Transformationsleiter der SBB, thematisierte in seinem Referat die Parallelen und Unterschiede zwischen dem internationalen Güterverkehr auf der Schiene und dem internationalen Strommarkt. Auch der Bahnverkehr steht grossen Herausforderungen gegenüber, weil die innereuropäischen Unterschiede in der Regulierung, in der Ausbildung der Mitarbeitenden und in der Zulassung der Züge den reibungslosen grenzüberschreitenden Verkehr erschweren. Nicht selten verstreichen Monate, bis Anfragen beantwortet oder Bewilligungen für Umleitungen gegeben werden. Ein Ausschluss der Schweiz aus dem europäischen Strommarkt würde für die SBB eine grosse zusätzliche Erschwernis in der grenzüberschreitenden Arbeit bedeuten.

Ohne dauerhafte Verträge wird Aussenhandel schwierig

Wie zentral klare Leitplanken für die Aussenwirtschaft sind, zeigten auch die Vertreter von Avenir Suisse: Laut Forschungsleiter Patrick Dümmler war die Schweiz mit ihrer hohen wirtschaftlichen Vernetzung bisher äusserst erfolgreich. Generell steigen weltweit die Handelshemmnisse, was man etwa am jüngsten Schlagabtausch zwischen den USA und China sehe. Und in einer Welt, in der die grossen Handelsblöcke immer dominanter werden, steht die Schweiz als Mitglied der nur (kleinen) Efta eher am Rand. Gerade weil mehr als die Hälfte des Schweizer Aussenhandels mit der EU stattfindet, bleibt die Normalisierung der Beziehungen zu diesem Wirtschaftspartner eine der vorrangigsten Aufgaben. Für Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder kann diese «Normalisierung» unterschiedliche Gesichter haben. Das Land können sich entweder für eine dynamische Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen entscheiden oder einen alternativen Weg beschreiten. In jedem Fall aber befinde sich das Land an einem Wendepunkt, was man dringend erkennen müsse.

In der anschliessende Podiumsdiskussion, an der auch Maurus Büsser, Generalsekretär des Departements Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau, teilnahm, waren die Voten für den baldigen Abschluss eines Stromabkommens klar in der Überzahl. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch eine breite Öffentlichkeit dieser zentralen Thematik bewusst wird.