Die Umsetzung der Energiewende setzt politische Mehrheiten im Parlament voraus. Um diese zu erreichen, sind politische Kompromisse nötig – das zeigen auch die Erfahrungen aus Deutschland. Damit «stromintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes sowie Schienenbahnen» konkurrenzfähig bleiben, werden sie von der sogenannten EEG-Umlage (Zuschlag auf dem Endverbraucherpreis) zur Finanzierung der Förderung erneuerbarer Energien entlastet. 2004 betrug dieser sogenannte «privilegierte Letztverbrauch» rund 37 TWh, für 2013 beläuft er sich auf rund 94 TWh (das entspricht etwa einem Fünftel des gesamten Letztverbrauchs). Das Wachstum ist das Resultat eines politischen Prozesses, der den Kreis der Begünstigten kontinuierlich ausweitet. So wurde etwa 2012 die untere Schwelle für eine mögliche Privilegierung von 10 auf 1 GWh gesenkt, damit auch mittelständische Unternehmen profitieren können. Daneben wurde die nötige Stromintensität (als Anteil der Stromkosten an der Bruttowertschöpfung) von 15% auf 14% reduziert. Ausserdem wurde die von den Begünstigten zu zahlende Umlage gesenkt. Da die EEG-Subventionen eine gegebene, respektive wachsende Grösse darstellen, müssen die verbleibenden, nicht-privilegierten Verbraucher einen überproportional wachsenden Beitrag leisten. So belief sich die EEG-Umlage 2004 noch auf 0,51 Cent pro kWh, bis 2013 stieg sie auf 5,28 Cent. Neben der direkten Entlastung bei der EEG-Umlage profitieren die privilegierten Letztverbraucher in Deutschland von tieferen Preisen im Stromgrosshandel. Denn mit der Einspeisung der subventionierten Energie sinken auch die Preise an den Börsen – 2012 betrug dieser sogenannte «Merit-Order-Effekt» etwa 0,9 Cent pro kWh (bei einem durchschnittlichen Preis im Spothandel von etwa 4,3 Cent). Da viele energieintensive Unternehmen von den ebenfalls wachsenden Netzgebühren befreit wurden, spüren sie wenig von den Kosten der Energiewende – eher im Gegenteil. Bezahlt wird die Energiewende von den kleineren Verbrauchern, die sich im politischen Prozess – jedenfalls bisher – kaum zur Wehr setzen. Nun allerdings scheint die Schmerzgrenze erreicht zu werden. Die jüngste Diskussion um eine «Strompreisbremse» lässt vermuten, dass das System wachsender Subventionen und zunehmender Privilegierungen kaum nachhaltig funktioniert.
Ähnliches System wie in Deutschland, ähnliche Schwächen
Dennoch wird die Schweizer Energiewende nach demselben Muster wie in Deutschland umgesetzt. Mit dem Ausbau der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) – dem Pendant zum EEG – wird die Produktion der erneuerbaren Energien auf Basis ihrer Kosten abgegolten. Welchen Wert der Strom hat und welchen Beitrag er zur Versorgungsstabilität leistet, hat keinen Einfluss auf die Abgeltung. Die Wahrscheinlichkeit ist daher gross, dass die politisch geförderten Technologien an den Bedürfnissen des Marktes vorbei produzieren. So ist es etwa absehbar, der im Inland subventionierte Solarstrom künftig mit temporären Produktionsüberschüssen und Exporten der Nachbarländer zusammenfällt, da auch diese die Photovoltaik grosszügig fördern. Tatsächlich trifft der oben erwähnte Merit-Order-Effekt die erneuerbaren Energien selber am stärksten, denn ihre Produktion korreliert besonders eng mit kurzzeitigen Preiszerfällen an den Strombörsen. Das Problem ist übrigens auch den Nachbarn bekannt: Deutschland versucht inzwischen händeringend mit zusätzlichen Subventionen (sog. Markt-und Managementprämien) – die Direktvermarktung des erneuerbaren Stroms zu fördern, um diesen enger mit den Bedürfnissen des Marktes zu koordinieren.
Die Schweiz imitiert nicht nur das immer ineffizienter werdende deutsche Vergütungssystem. Daneben sollen energieintensive Unternehmen in ähnlicher Weise von den Abgaben zur Förderung der erneuerbaren Energien befreit werden. Vorgesehen ist eine vollständige Entlastung von der KEV-Abgabe, wenn die Stromkosten mindestens 10% der Bruttowertschöpfung betragen. Liegt der Anteil zwischen 5% und 10%, sollen die Zuschläge proportional rückerstattet werden. Mindestens 20% der Rückerstattung sind – angelehnt an das Modell bei der Befreiung von der CO2-Abgabe – über eine Zielvereinbarung zur Verbesserung der Energieeffizienz einzusetzen. Vor dem Hintergrund der internationalen Konkurrenz ist diese Privilegierung nachvollziehbar. Doch sie ist keineswegs unproblematisch.
Immer mehr Ausnahmen und perverse Anreize
Erstens ist es absehbar, dass im politischen Prozess – gleich wie in Deutschland – die Privilegierung stetig ausgedehnt wird, so dass auch weniger energieintensive Unternehmen davon profitieren. Die Belastung der übrigen Verbraucher wächst überproportional. Das wiederum führt dazu, dass auch sie eine Entlastung reklamieren. Im langfristigen (politischen) Gleichgewicht dürfte die KEV über die Steuern finanziert werden. Zweitens kann nicht ausgeschlossen werden, dass aufgrund von Tarifsprüngen perverse Anreize zur künstlichen Erhöhung der Energieintensität entstehen, damit ein Unternehmen von der (partiellen) KEV-Befreiung profitieren kann. Dass im schweizerischen Modell die Rückerstattung teilweise für Effizienzmassnahmen eingesetzt werden muss, schliesst solche Anreizverzerrungen nicht aus. Hingegen nehmen der administrative Aufwand sowie die Intransparenz des Systems weiter zu. Schliesslich muss geprüft werden, ob das Geld in entsprechende Projekte fliesst. Auch müsste die «Additionalität» der Massnahmen nachgewiesen werden, da es sich sonst um einen reinen Mitnahmeeffekt handeln kann. Immerhin könnte der zusätzliche Aufwand für jene Unternehmen, die noch nicht über die Erfahrungen mit den CO2-Zielvereinbarungen verfügen, als eine Art Barriere für eine künstliche Erhöhung der Energieintensität dienen.
Die Verzerrung von Effizienz- und Verbrauchsanreizen liessen sich verhindern, wenn bei den KEV-Tarifen und den Befreiungen allfällige Sprungstellen ausgeräumt würden. Vorbild könnten Steuertarife sein, die im Gesetz üblicherweise nicht als Durchschnitts-, sondern Grenzsteuern definiert sind. Bei den KEV-Gebühren ist der Tarif jedoch nicht progressiv, sondern degressiv: Je höher der Energieverbrauch, desto geringer die KEV-Gebühr. Mit anderen Worten: Wer mehr Strom verbraucht, erhält ihn günstiger. Solch ein degressives EEG-Tarifsystem für stromintensive Industrien gilt übrigens (erst) seit 2012 in Deutschland, doch konnten damit nicht sämtliche Sprungstellen und Anreizverzerrungen beseitigt werden. Erstens setzt eine Privilegierung die Erreichung der minimalen Stromintensität von 14% voraus. Zweitens gilt für Unternehmen mit einer Stromabnahme von mindestens 100 GWh/Jahr sowie einer Stromintensität von mindestens 20% eine Sonderregelung, wonach ihre EEG-Umlage für den gesamten Strombezug auf 0,05 Cent/kWh begrenzt wird. Vor dem Hintergrund der politisch verordneten Energiewende und dem Mantra des Energiesparens lässt sich ein rein degressives Tarifmodell offenbar schlecht verkaufen. Die Politik bevorzugt eher ein komplexes und undurchsichtiges Modell von Privilegierungen, um sich den Support für eine grundsätzlich ineffiziente Energiestrategie zu «erkaufen». Das gilt in der Schweiz offenbar gleich wie in Deutschland.