Aller Anfang ist schwer. Das gilt auch für das «Allerheiligste der Moderne», wie der Philosoph Peter Sloterdijk das Auto einmal bezeichnet hat. Als am Übergang zum 20. Jahrhundert in der Schweiz die ersten dieser neuen Fortbewegungsmittel herumkurven, ist die Skepsis in der Bevölkerung gross. Im Grunde sind die Vehikel zunächst nichts als motorisierte Kutschen. Doch die mondäne Mode für wenige Reiche, importiert aus dem Paris der Belle Epoque, sorgt innert kurzer Zeit für Aufruhr in der Eidgenossenschaft – und für eine Paragrafenflut.

Friedliche Oase ohne Automobile

In Graubünden beschwert sich im Sommer des Jahres 1900 ein Postillon bei den Behörden: «Seit einigen Tagen kursiert auf unseren Landstrassen ein Ungetüm von einem Automobil. Wir hatten Gelegenheit zu beobachten, wie die Pferde bei dessen Anblick geradezu rasend wurden.» Es ist nicht die einzige Klage über das «tolle Tempo, Lärm und Gestank» der noch ungewohnten Verkehrsteilnehmer. Die Bündner Regierung fackelt nicht lange und beschliesst: «Das Fahren mit Automobilen auf sämtlichen Strassen des Kantons Graubünden ist verboten.» So wird aus dem Kanton eine «friedliche Oase, in welcher man vor all den Plagen des Automobils gesichert ist», wie Einheimische schwärmen. Und zwar für ein Vierteljahrhundert. Erst 1925 fällt das Verbot – nach Annahme der zehnten Volksinitiative zum Thema.

Der Bergkanton ist ein Extrembeispiel. Doch der Widerstand gegen die «Autoprotze» und «Autogrosshanse» ist weit verbreitet, vor allem in ländlichen Gegenden. Aus Angst vor Unfällen werden Pässe für Automobilisten gesperrt. Uri zum Beispiel erlässt 1901 ein Fahrverbot auf seinen Alpenstrassen, allerdings wird der Gotthardpass schon 1906 auf Druck des Tourismusgewerbes täglich für einige Stunden geöffnet.

Bussgeld für Denunzianten

Andere Kantone versuchen, den unerwünschten Verkehr mit Sonntags- oder zumindest Nachtfahrverboten einzudämmen. In Schwyz werden noch in den späten 1920er Jahren Beschwerden an die Regierung herangetragen: von «unsinnigen Rennen» ist die Rede und von einer «Lebensgefahr für Fussgänger». Die Polizei reagiert mit Geschwindigkeitskontrollen. Aus der Bevölkerung werden allerlei Verkehrsübertretungen gemeldet; nicht ganz selbstlos, denn dank dem «Leidlohn» erhalten die Denunzianten einen Teil des Bussgelds. Doch dabei bleibt es nicht: Autofahrer werden mitunter beschimpft, mit Steinen beworfen oder gar Opfer von «Fallen» – auf den Schotterstrassen ausgelegte Nägel und Scherben, über die Fahrbahn gespannte Drähte. Aus Zürich und Luzern werden Fälle publik, bei denen Kuhmist und Jauche in Luxuswagen gekippt wurden. Und die «Bauernzeitung» fordert nach einem Verkehrsunfall endlich «drakonische Massregeln gegen dieses mit kaltem Blut und hohnlächelnd über Leichen schreitende Sportsprotzentum».

Ford Mustang, Ikone der amerikanischen Muscle-Cars aus den 1960er Jahren. (vug.)

Wie erklärt sich die «unsinnige Hetzerei gegen das Auto», von der die 1906 gegründete «Automobil-Revue» klagt? Der Historiker Christoph Maria Merki, Autor des Standardwerks «Der holprige Siegeszug des Automobils», sieht die Gründe vor allem in den sozialen Kosten: dem Lärm durch Motoren und Hupen, der «Staubplage», den Schäden auf den Schotterstrassen, in der erhöhten Unfallgefahr. Der Widerstand ist aber auch eine Reaktion auf die Verdrängung der weniger schnellen und weniger schweren Fuhrwerke. Die ersten Autos sind so teuer, dass sie sich nur die Reichen leisten können, sie sind Spielzeuge für Industrielle, Kaufleute, Hoteliers oder Bankiers. Der Klassenkampf spiegelt sich auf der Strasse. In der «Autohochburg» Genf sind 1912 lediglich 5 Prozent der Personenwagen im Besitz von Arbeitern.

Eidgenössische Automobilindustrie

Von einer massenhaften Verbreitung kann ohnehin noch lange nicht die Rede sein. Die erste gesamtschweizerische Autostatistik von 1910 verzeichnet gerade einmal 2276 eingelöste Personenwagen. 1925 sind es dann bereits über 28 500 Fahrzeuge, 1930 schon 60 000. Interessant an den Zahlen von 1910 ist der hohe Anteil von einheimischen Fabrikaten. Tatsächlich sind in der Schweiz um die Jahrhundertwende zwei Dutzend Firmen entstanden, zum Beispiel Turicum in Uster, Pic-Pic in Genf oder Martini in Sainte-Blaise. Die eidgenössische Automobilindustrie deckt vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur einen Teil des Bedarfs im Land, sondern sie exportiert auch rund die Hälfte der Produktion. Ihr Niedergang erfolgt aber bereits in den 1920er Jahren, wegen der Importe preisgünstiger Wagen aus dem Ausland. Nur die Schweizer Hersteller von Nutzfahrzeugen, etwa Berna oder Saurer, bleiben länger konkurrenzfähig.

Wichtigste Promotoren der neuen Fortbewegungsmittel sind die Automobilverbände. Von französischen Vorbildern inspiriert, wird 1898 in Genf der Automobil Club der Schweiz (ACS) geründet. 1911 folgt der Touring-Club (TCS) mit einer eigenen Autosektion. Beide haben zum Ziel, die Autoskepsis der Behörden und Bevölkerung zu bekämpfen. Zu Werbezwecken organisieren sie aufregende Rennveranstaltungen. Das passt zum Ideal der «Herrenfahrer», sich am Steuer durch «Kaltblütigkeit», «Wagemut» und «Ritterlichkeit» auszuzeichnen. Autofahren ist schon in der Frühzeit nicht einfach nur Mobilität, sondern auch ein Lebensgefühl – gerade für Männer. 1925 sind von den über 8500 Kantonalzürcher Führerscheinen nur vier Prozent in weiblicher Hand.

Die Automobilverbände sind politische «Pressure Groups», die für mehr Akzeptanz und neue Infrastrukturen weibeln. Sie bieten aber auch allerlei Dienstleistungen für ihre Mitglieder an, etwa Strassenkarten, Fahrkurse oder technische und juristische Hilfe. Vor allem bemühen sie sich früh um den Aufbau eines flächendeckenden Netzes aus Werkstätten und Tankstellen. Obwohl die Fahrzeuge nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur günstiger, sondern auch zuverlässiger werden, sind Pannen häufig, nicht zuletzt wegen der Luftreifen.

Benzin aus der Apotheke

Das Benzin, das sich als Kraftstoff durchsetzt, lässt sich hingegen von Anfang an selbst in kleinen Dörfern beziehen, halt nur in Flaschen oder Kanistern bei Apotheken, die es als Lösungsmittel im Sortiment führen. Gerade in den Städten wird Benzin bald auch in Hinterhöfen oder am Strassenrand aus Fässern geschöpft. Erst zu Beginn der 1920er Jahre verbreiten sich in Westeuropa die aus den USA stammenden Benzinpumpen in Zapfsäulenform. Das Tanken wird so bequemer, sauberer und weniger feuergefährlich. 1931 gibt es in der Schweiz bereits 7000 solcher, auch «eiserne Jungfrau» genannten, Zapfsäulen; sie stehen vor Gasthöfen, Geschäften oder Werkstätten.

Eine Treibstoffsteuer wird überdies erhoben, die zweckgebunden für den teuren Ausbau und Unterhalt der Strassen verwendet wird: rund 30 Prozent des Benzinpreises fliessen in die Kasse der Eidgenossenschaft, welche die Automobilgesetzgebung allmählich an sich reisst. 1921 gehen die entsprechenden Kompetenzen von den Kantonen bzw. einem interkantonalen Konkordat an den Bund über. Für den motorisierten Verkehr genügen die Schotterstrassen aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr. Gefragt sind nun möglichst glatte, steigungs- und kurvenfreie Fahrbahnen. Anfang der 1930er Jahre besteht ein rund 42 000 Kilometer weites Strassennetz. Ein Drittel der Kantonsstrassen verfügt bereits über staubfreie Beläge aus Teer oder Asphalt. Das ist aber nicht für alle Verkehrsteilnehmer von Vorteil. An abschüssigen oder vereisten Stellen müssen solche Strassen mit Sand bestreut werden, damit sie auch für Pferde begehbar bleiben.

Zunehmende Regulierung

Mit der zunehmenden Regulierung und Verrechtlichung verschwinden auch die Ressentiments gegenüber den Automobilisten. Technische Massnahmen wie Blinker und Rückspiegel erhöhen ebenso die Sicherheit wie Warntafeln und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die Fahrzeughalter müssen stetig steigende Kfz-Steuern entrichten und über eine Haftpflichtversicherung verfügen. Generell tritt auch der provokativ-sportliche Aspekt des Fahrens in den Hintergrund. Das Auto wird zudem als wichtiges Vehikel für den Tourismus gesehen. Und die motorisierten Gefährte werden in Form von Taxis, Bussen oder Postautos selbst von jenen als nützlich empfunden, die sich keinen Personenwagen leisten können.

Die Massenmotorisierung der Schweiz erfolgt indes erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Hochkonjunktur, die steigende Kaufkraft und die Verbilligung des Autos machen es möglich. Das hat nicht nur weitreichende Auswirkungen auf das Siedlungsbild der Schweiz, sondern auch auf das Arbeits-, Freizeit- und Reiseverhalten der Bevölkerung. Folgen, die uns bis heute beschäftigen.

Weiterführende Informationen: Nachhaltige Antriebskonzepte