Die russische Invasion – und die Sanktionen westlicher Staaten – schütteln die Energiemärkte durch: Am Dienstag, 8. März kletterte der Preis für Erdgas in Europa auf über 200 Euro/MWh. Normal waren in den letzten Jahren etwa 20 Euro. Der Erdölpreis (Brent) liegt mit 130 $/Barrel so hoch wie seit 2008 nicht mehr (nachdem er zu Beginn der Covidkrise vor weniger als zwei Jahren ins Bodenlose fiel). Für einen Liter Bleifrei 95 zahlt man an vielen Schweizer Tankstellen schon deutlich über 2 Franken.

Das sind einerseits schlechte Nachrichten für eine wirkungsvolle Klimapolitik: Eine konsequente, flächendeckende Bepreisung fossiler Energieträger, die nötig wäre, um in Sachen CO2-Ausstoss Kostenwahrheit zu schaffen und zum Umstieg auf Erneuerbare zu animieren, wird unter diesen Umständen bei der Bevölkerung auf noch weniger Verständnis stossen, als sie es ohnehin schon tut.

Anderseits sind es gute Nachrichten für eine wirkungsvolle Klimapolitik, denn die Preisexplosion dieser fossilen Energieträger ist ja eigentlich genau das, was man sonst auf künstlichem Wege erreichen müsste. Natürlich ist ein Preissprung durch derartige geopolitische Verwerfungen nicht gleichzusetzen mit einer staatlich verordneten Lenkungssteuer: Zum einen hinsichtlich der Angebotsseite, wo die gestiegenen Energiepreise den Anreiz zur Förderung fossiler Energieträger erhöhen. Zum anderen hinsichtlich der Nachfrageseite, wo die Produzenten wie Konsumenten wissen, dass Energiepreise naturgemäss stark schwanken und theoretisch schon nächstes Jahr wieder sehr tief sein könnten, während eine Lenkungssteuer – und in geringerem Mass auch ein aus dem Emissionshandel resultierender CO2-Preis – auf Jahre hinaus vorhersehbar und kalkulierbar sind und somit stärker in Investitionsentscheidungen einfliessen als ein durch exogene Krisen verursachter Preisanstieg.

A propos Emissionshandel – und nur als Klammerbemerkung: Die EU-Kommission hat als Antwort auf die Preisexplosion schon angekündigt, die Preise deckeln zu wollen und dafür unter anderem die Einnahmen aus dem Emissionshandel zu verwenden. Das ist eine realpolitische Absurdität sondergleichen: Man verwendet die Einnahmen aus der Besteuerung fossiler Energieträger zur Subvention fossiler Energieträger.

Und doch liefert die Instabilität im Osten Europa starke Anreize, sich noch schneller unabhängig von fossilen Energieträgern aus Ländern zu machen, die nicht unsere demokratischen, freiheitlichen Werte teilen – denn sie erweisen sich schlicht nicht als zuverlässige Nachbarn. Insofern könnte die Krise den Umstieg auf Erneuerbare beschleunigen.

Wie viele andere Länder verfolgt die Schweiz das Ziel von netto-null CO2-Emissionen bis 2050.

Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) hat kürzlich berechnet, wie eine Umsetzung von netto-null komplett innerhalb unserer Landesgrenzen energietechnologisch umsetzbar und mit welchen Kosten sie verbunden wäre. Den Wert solcher Szenarien – von Energieexperten durchgeführt und nicht von Klimaaktivisten – kann man gar nicht hoch genug schätzen.

Massiver saisonaler Speicherbedarf

Eine Elektrifizierung unserer Energieversorgung (Elektrifizierung des Strassenverkehrs und Betrieb aller Heizungen über Wärmepumpen) würde logischerweise den Stromverbrauch deutlich erhöhen – beim Endnutzer gemäss Empa von 0,85 kW pro Kopf (gemessen ist hier die im Jahresmittel pro Einwohner beanspruchte Leistung) auf 1,83 kW. Das alleine würde Photovoltaik-Anlagen (PV) im Umfang von 13% der Siedlungsfläche – entsprechend dem dreifachen der verfügbaren Dachfläche – benötigen. Doch das ist erst der Anfang: Aus dem Stromüberschuss im Sommer und dem Defizit und im Winter resultiert ein saisonaler Speicherbedarf von 2,3 MWh/Kopf. Mit Batterien ist ein solcher Speicherbedarf nicht ansatzweise zu decken. Auch bei absehbarer Weiterentwicklung der Batterietechnologie bedürfte dies des vierzigfachen (!) der weltweiten (!) jährlichen Li-Batterienproduktion des Jahres 2020.

Eine Alternative wären Pumpspeicherkraftwerke. Aber auch dieses Szenario erweist sich als unplausibel: Nötig wäre ein Ausbau der Kapazität um 220% – entsprechend einem jährlichen Zubau (bis 2035) im Umfang des grössten Pumpspeicherstausees Grande-Dixence. Das ist angesichts der Einwände von (ironischerweise) Umweltschutzverbänden schon gegen deutlich kleinere Bauvorhaben völlig illusorisch.

Wie hohe Kosten und wieviel Beeinträchtigung der Umwelt sind tragbar? Ein jährlicher Zubau eines Pumpspeichersees in Grösse der Grande-Dixence jedenfalls ist illusorisch. (Xavier von Erlach, Unsplash)

Bleibt zum einen die Speicherung des saisonalen Stromüberschusses in Form von Wasserstoff. Dazu wären allerdings Speicherstätten mit einem Volumen von 57 Mio. Kubikmetern nötig – und eine ganz neue Verteilinfrastruktur für diesen Wasserstoff. Aufgrund der Umwandlungsverluste würde sich zudem die benötigte PV-Fläche auf 32% der Siedlungsfläche erhöhen.

Zum anderen ist die Speicherung in Form von Synfuels vorstellbar. Hier würde der zuvor über Elektrolyse gewonnene Wasserstoff chemisch mit – zuvor aus der Atmosphäre zurückgeholtem – CO2 verbunden. Dieser Prozess ist abermals mit massiven Umwandlungsverlusten verbunden: Die nötige PV-Fläche würde sich auf 60% der Siedlungsfläche – oder etwa das 14-Fache der Dachfläche – erhöhen. Der Vorteil dieses Ansatzes wäre, dass zumindest die Aufbewahrung und Verteilung der Energie mit der im Wesentlichen schon heute vorhandenen Infrastruktur möglich wäre.

Schlussfolgerungen

Aus diesen Szenarien lernen wir folgendes:

  • Ein derartiger Umbau der Energieinfrastruktur in Richtung netto-null autark innerhalb der Schweiz würde erstens enorm teuer und zweitens unglaublich ressourcenintensiv – was gerade hinsichtlich der Sorge um die Umwelt, die ja Anlass für diesen Umbau ist, nicht ignoriert werden kann.
  • Internationale Lösungen mit möglichst globalen preislichen Ansätzen sind nötig, um netto-null mit Kosten zu erreichen, die die Bevölkerung (nicht nur hier, sondern v.a. auch in anderen, weniger wohlhabenden Ländern) auch nur ansatzweise zu tragen bereit ist. Beispielweise stehen in der Sahara oder in Australien Millionen von Quadratkilometern unproduktiver (Wüsten-) Fläche zur Verfügung, die sich für den Ausbau von PV-Anlagen deutlich besser eignen als die Schweiz: Die Sonneneinstrahlung ist massiv stärker und zudem gleichmässiger im Jahresverlauf als hierzulande. Gemäss Empa-Experte Andreas Züttel würde beispielsweise ein Achtel der Fläche Australiens genügen, um die gesamte Welt mit CO2-neutralen synthetischen Energieträgern zu versorgen.
  • Technologien zur Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre sind voranzutreiben. So gross bei gewissen Akteuren die Zweifel daran sind, ob solche Technologien genügend skalierbar sind: Die Schweiz ist ein wohlhabendes Land mit bestens ausgebildeten Arbeitskräften. Sie mischt in verschiedenen Bereichen an der Spitze der weltweiten Technologieentwicklung mit. Und ihre CO2-Vermeidungskosten sind aufgrund des generell hohen Preisniveaus und wegen der im globalen Vergleich schon verhältnismässig CO2-armen Energieerzeugung hoch. Wo, wenn nicht hier, sollte Forschung an einem solchen Prozess vorangetrieben werden? Darüber hinaus wäre für das Szenario «Synfuels» eine solche Rückholung ohnehin in grossem Umfang nötig, und auch in anderen Szenarien bleiben Treibhausgasquellen (z.B. Betonherstellung oder Landwirtschaft), die irgendwie kompensiert werden müssen.
  • In der Empa-Forschungsarbeit keine Erwähnung findet die Kernenergie. Sie liefert gut verwertbare – und weitgehend CO2-freie – Bandenergie, die also nicht an den täglichen und jahreszeitlichen Schwankungen krankt. Zwar ist die Kernenergie gemäss verschiedenen Statistiken unterdessen – auch aufgrund restriktiver Regulierungen in Europa – teurer als Strom aus Photovoltaik oder sogar Wind. Allerdings nur solange man die enormen, oben beschriebenen Kosten der bei Versorgung über erneuerbare Energieträger benötigten Speicher- und Stromnetzinfrastruktur vernachlässigt. Es ist kein Zufall, dass elf Jahre nach Fukushima die Kernkraft in verschiedenen Ländern ein Revival oder zumindest eine gewisse Enttabuisierung erlebt. Auch dieses Umdenken könnte durch die russische Aggression beschleunigt werden.