Das Ziel von 20% Teilzeitmännern bis 2020 erscheint – zumindest auf den ersten Blick – nicht allzu ambitioniert oder gar utopisch. 2013 waren knapp 9% der männlichen Arbeitnehmer mit einem Beschäftigungsgrad zwischen 50% und 90% angestellt, 5% mit einem (oft unfreiwilligen) Pensum unter 50%. Schreibt man den seit 2000 geltenden Trend linear fort, so landet man 2020 bei einem Teilzeitanteil von 16%, es fehlen 4 Prozentpunkte. In absoluten Zahlen bedeutet dies: es müssten 100‘000 Männer (4% von 2,45 Millionen) zusätzlich zu Teilzeitarbeit motiviert werden. Und sollte sich das wirtschaftliche Klima in der Zwischenzeit verdüstern (was nicht unwahrscheinlich ist), würde der geltende Trend wohl schnell gebrochen. Zudem müssten die Teilzeitarbeitslosen aus der Rechnung eliminiert werden. So gesehen ist das 20%-Ziel wesentlich ambitiöser als gedacht. Ob es erreicht werden kann, ist ungewiss. Die entscheidende Frage ist ohnehin, ob es erreicht werden soll – und ob die Männer überhaupt wollen?
Wahrer Wunsch oder «Political Correctness»?
Die Kampagne stützt sich auf eine oft zitierte Umfrage, gemäss der neun von zehn Männern den Wunsch nach Teilzeitarbeit äusserten. Die Ergebnisse der erwähnten Umfrage können allerdings nicht unbesehen zum Nennwert genommen werden. In vielen Kreisen ist es für «aufgeschlossene» Männer schon fast politisch unkorrekt geworden, den Teilzeitwunsch nicht zu äussern. Dies gilt erst recht, wenn Familienpflichten rufen. Diese gesellschaftliche Erwartungshaltung dürfte das Antwortverhalten in der Befragung massgeblich beeinflusst haben. Vermutlich waren sich die Befragten auch über die Kosten nicht im Klaren. Schon mancher fromme Wunsch ist Wunsch geblieben, weil das ihm angehängte Preisschild zu teuer ist.
Arbeitnehmer sind nicht mehr die Bittsteller
Dazu kommt: In Zeiten des Fachkräftemangels und schrumpfender Jahrgänge haben sich die Gewichte auf dem Arbeitsmarkt grundlegend verschoben. Arbeitskräfte sind heute nicht mehr einfach Bittsteller, die sich mit unabänderlichen und rigiden Realitäten konfrontiert sehen. Heute müssen sich Unternehmen den Ansprüchen und Vorstellungen der Arbeitskräfte öffnen um im Wettbewerb um die begehrten Fachkräfte zu bestehen. Eindrücklich bestätigte dies der Nutzfahrzeugunternehmer Marcel Brotzer auf dem Podium: Mit der Möglichkeit von Teilzeitarbeit und hoher Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung betreibt seine Firma seit Jahren erfolgreiche Personalpolitik und erhöhte die Mitarbeiterzufriedenheit. Wollten tatsächlich neun von zehn Männern Teilzeit arbeiten so wäre dieser Wunsch wohl schon längst Realität geworden. Im Umkehrschluss muss das Umfrageergebnis zumindest stark relativiert werden.
Die Spielräume sind vorhanden
Der Teilzeitanteil der Männer wird voraussichtlich weiter langsam ansteigen. Wie viel Zeit und Energie man(n) in Arbeit und Karriere steckt, muss aber eine individuelle Entscheidung bleiben. Im Hochlohnland Schweiz besitzt die Mehrheit der Menschen das Privileg, über viel Handlungsspielraum zu verfügen. Wenn eine solche Kampagne vor allem Mut machen will, einige Denkblockaden zu lösen und diesen Spielraum im Sinne der persönlichen Freiheit zu nützen, ist dagegen nichts einzuwenden. Letztlich wissen mündige Menschen aber selbst am besten, was für sie gut ist. Sozialer Druck sollte hingegen nicht ausgeübt werden, und auf quantitative Ziele sollte man besser verzichten. Viele Gleichstellungsbüros werden sich nämlich auch mit 20% Teilzeitmännern nicht zufrieden geben.
Teilzeitarbeit bei Männern war Thema einer Veranstaltung in Glarus, an der Patrik Schellenbauer am Podiumsgespräch teilnahm (Teil 2/2).
siehe auch Teil 1: Mehr Teilzeit für Männer?