Die politischen Exekutiven, allen voran der Bundesrat, haben in der gegenwärtigen Corona-Krise die Führung übernommen und das öffentliche Leben zum Schutz der Bevölkerung weitgehend stillgelegt. Damit einher geht die Erwartung, zuhause zu bleiben und wenn immer möglich auch von dort aus online zu arbeiten. Öffentliche Diskussionen werden ebenfalls digital geführt: Die Meinungsbildung rund um die getroffenen Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie finden auf allen Kanälen intensiv statt.

In der Zwischenzeit hat sich die Nachrichtenlage etwas beruhigt. Covid-19 dominiert weiterhin, doch bekommen auch anderen Themen wieder ihren Platz in den Medien. Umso absurder mutet heute die Begründung des Bundesrates an, mit der er vor rund zwei Wochen die eidgenössische Abstimmung vom 17. Mai absagte: Ein umfassender Meinungsbildungsprozess sei unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Offenbar herrscht eine äusserst anachronistische Vorstellung darüber, wie dieser vor sich gehen soll. Angesichts der hohen Erwartungen an die Bevölkerung mit Homeschooling und Homeoffice erscheint diese Haltung paradox.

Auch Parlamente wirken wie paralysiert von der Coronakrise – obschon sie grundsätzlich weiterhin ihrer Kontrollfunktion nachkommen sollten. Durch ihre Oberaufsicht legitimieren sie das staatliche Handeln – sozusagen als Hüter der Verhältnismässigkeit. Allerdings funktioniert der Parlamentsbetrieb besonders auf eidgenössischer Ebene nur beschränkt. Nicht alle parlamentarischen Kommissionen tagen.

Der Entscheid, Ansammlungen von mehr als fünf Personen zu verbieten, mag ihre Arbeit erschweren, ausser Kraft müssten die parlamentarischen Funktionen aber nicht sein. Aufgrund der Hygienevorschriften und Social distancing ist an einen normalen Parlamentsbetrieb zwar nicht zu denken, was dazu führt, dass Parlamente in Messehallen tagen.

Die Landsgemeinde wie hier in Glarus sollte in Zukunft auf virtuell stattfinden können. (Wikimedia Commons)

Es ist schwer nachvollziehbar, weshalb nicht auch hier digitale Möglichkeiten verwendet werden. Lange hat sich die Politik gegen die Digitalisierung ihres Bereiches gewehrt. Das zögerliche Verhalten insbesondere der Bundeskanzlei rächt sich jetzt. Weder E-Voting oder E-Collecting werden konsequent vorangetrieben, noch hat man sich eingehend Gedanken gemacht, wie dank Digitalisierung Beruf und Politisieren einfacher zu vereinbaren wären – also das Milizsystem gestärkt werden könnte. Dass genau für solche Notsituationen wie jetzt die Möglichkeit eines E-Parlaments bestehen muss, wurde ignoriert. Erst am 11. März 2020 reichte Nationalrätin Doris Fiala hierzu eine Interpellation ein.[1]

Denn virtuelles kollaboratives Zusammenarbeiten ist mit modernen Kommunikationsmitteln möglich. Zwar ist im Gesetz vorgesehen, dass Parlamente vor Ort zusammenkommen. Eine Anpassung wäre aber schnell vollzogen, wie beispielsweise das vielgescholtene, nun aber digital agierende EU-Parlament aufzeigt. Selbstverständlich ist der Austausch über elektronische Kanäle teilweise träge und entspricht nicht den gewohnten Gegebenheiten. Jedoch bieten neue Kommunikationsmittel – besonders in dieser Krise – eine zentrale Alternative, die es zu nutzen gilt.

Eigentlich ist ein klassisches Arbeitsparlament wie der National- und der Ständerat, in dem die Plenumsdiskussion nicht denselben Stellenwert hat wie in anderen Ländern, für die digitale Arbeitsweise prädestiniert. Was von der normalen Bevölkerung erwartet wird, sollte auch für unsere Parlamentsvertreter möglich sein. Vergessen wir nicht: Die Notkredite für Unternehmen hat Finanzminister Ueli Maurer in einer Telefonkonferenz mit über 300 (!) Bankvertretern aufgegleist. Die technischen Anforderungen an Parlamentsabläufe, die ja grundsätzlich ohnehin öffentlich sind, können auf jeden Fall kein Hindernis darstellen.

Die Schweiz erlebt aufgrund der Corona-Krise einen Digitalisierungsschub, viele Unternehmen und Arbeitnehmer mussten sich in kürzester Zeit auf neue Arbeitsweisen und -prozesse einstellen. Dass dies für viele relativ speditiv möglich war, zeigt nur, wie sehr sich die Bevölkerung ans Agieren im digitalen Raum gewöhnt ist. Zeit, dass auch die Politik in der digitalen Realität des Jahres 2020 ankommt.

[1] Fiala, Doris (11.03.2020). E-Parlament als eine mögliche Antwort auf Notsituationen wie das Coronavirus. Interpellation 20.3098.