Eine schwere Krise kommt selten mit monatelanger Vorankündigung. Gegenüber dieser trivialen Einsicht war man hierzulande in der Vergangenheit nicht grundsätzlich verschlossen. Seit 1995 kennt die Schweiz eine Vorsorgeplanung für epidemiologische Notlagen. Zentrales Instrument darin bildet der Pandemieplan des Bundes, der nach der «Schweinegrippe» 2009 komplett überarbeitet wurde.

Acht Kantone ohne aktuellen Pandemieplan

Dessen Zweck besteht unter anderem darin, eine Grundlage für die Erstellung von Notfallplänen auf kantonaler und lokaler Ebene zu schaffen. Zwar verpflichtet das Epidemiengesetz (EpG) die Kantone nicht explizit dazu, sondern schreibt lediglich allgemeine Vorsorgemassnahmen vor. Dennoch ist es erstaunlich, dass mindestens acht Kantone beim Ausbruch der Corona-Pandemie über keinen eigenen Pandemieplan verfügten (vgl. Abbildung).

Aus heutiger Warte mag dieses Urteil leicht zu fällen sein. In der Tat wurde die Öffentlichkeit auf schmerzhafte Weise sensibilisiert. Doch in internationalen Fachkreisen war man sich über das hohe Risiko einer Pandemie, ausgehend von Sars-CoV-artigen Viren, schon länger einig. Auch in den Risikoberichten des Bundes stellte ein Pandemieszenario je nach Ausgabe die grösste oder zweitgrösste Gefährdung dar. Der nicht vernachlässigbare Unterschied: Bei den Vorbereitungen ging man in der Schweiz stets davon aus, dass ein Grippevirus eine Gesundheitsnotlage auslösen könnte – was nicht zuletzt durch den Begriff «Influenza-Pandemieplan» sprachlich verankert wurde.

Die Fähigkeit staatlicher Strukturen zur Erkennung und Bewältigung von Notlagen hängt stark von der Vorsorge und den dafür entwickelten Planungsinstrumenten ab. Um schnell handeln zu können, sollte etwa beim Ausbruch einer Krise klar sein, wer für welche Aufgaben verantwortlich ist. In zwei Blogbeiträgen gehen wir der Frage nach, ob die kantonalen Vorsorgeinstrumente im Gesundheitsbereich und im Bevölkerungsschutz diese zentrale Anforderung im Februar 2020 erfüllten. Dieser Blog widmet sich den Pandemieplänen. Nächste Woche werfen wir im Teil 2 einen Blick auf die gesetzlichen Grundlagen im Bevölkerungsschutz.

Klärung von Zuständigkeiten kaum beachtet

Dennoch darf hinter die Risikoanalyse mancher Kantone ein Fragezeichen gesetzt werden. Denn bei der Forderung nach einem Pandemieplan geht es nicht allein darum, ob die Kantone ihrem Vorsorgeauftrag nachgekommen sind, indem sie ein Notfallkonzept ausgearbeitet haben. In erster Linie steht die Klärung von Verantwortlichkeiten der betroffenen Akteure im Rahmen der Ernstfallplanung im Zentrum. Umfassendes Risikomanagement ist ohne die Auseinandersetzung mit den Zuständigkeiten in der Krisenvorsorge und -bewältigung nicht möglich. Idealerweise geschieht dies mit hoher Detailtiefe, ohne dass der Fokus zu stark auf einen bestimmten Krankheitserreger gerichtet wird.

Letzteres war wie erwähnt ein inhärenter Mangel aller vorhandenen Planungsgrundlagen. Aber auch bei der Zuteilung klarer Zuständigkeiten haperte es. Löbliche Ausnahme bildete der Kanton Zug, der im Pandemieplan aus dem Jahr 2015 in Abhängigkeit des dreistufigen Eskalationsmodells (normale, besondere, ausserordentliche Lage) Aufgaben und Handlungsfelder unterschiedlichster Akteure definierte. Eine spezifizierte Krisenorganisation dürfte wesentlich wichtiger sein als eine auf den kantonalen Bedarf ausgerichtete Spitalbettenplanung, wie sie in anderen kantonalen Pandemieplänen zu finden ist.

Ebenso sind solche Planungsgrundlagen nur zweckdienlich, wenn sie regelmässig aktualisiert werden, was in elf Kantonen der Fall war (vgl. Abbildung). Im vorliegenden Kontext bedeutet dies: Die jüngste Aktualisierung des Pandemieplans sollte nicht weiter zurückliegen als 2015, damit erstens die nach der Schweinegrippe getroffenen Erkenntnisse darin einfliessen konnten. Zweitens hätte jeder Plan im Rahmen der schweizweiten Sicherheitsverbundsübung 2014, die das Szenario einer Grippepandemie simulierte, einer eingehenden Prüfung unterzogen werden müssen. Weiterer Überarbeitungsbedarf entstand drittens im Zuge der Einführung des neuen EpG.

Thurgau als Vorbild für künftige Pandemievorsorge

Diese Versäumnisse sind stossend – schliesslich wurde den Kantonen etwa zwischen dem abgelehnten Referendum gegen das EpG im September 2013 und dem Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2016 viel Zeit eingeräumt. Doch auch der Nutzen der aktualisierten Pandemiepläne blieb aufgrund des starken Fokus auf Influenza-Erreger beim Ausbruch der Krise massiv eingeschränkt.

So drängt sich die zeitnahe Überholung aller Pandemiepläne auf. Im Kanton Thurgau, wo Anfang 2022 ein neuer Pandemieplan in Kraft trat, hat die Aufarbeitung bereits stattgefunden. Zu einer Best Practice, die andere Kantone bei der Überarbeitung ihrer Vorsorgeplanung konsultieren sollten, könnte die darin enthaltene Risikomatrix werden, mit der die Früherkennung und Risikoabschätzung auch von wenig erforschten Mikroorganismen unterstützt werden soll.

Weiter legt der neue Pandemieplan etwa Verantwortlichkeiten für die kantonale Führungsorganisation und zahlreiche weitere Akteure in Abhängigkeit des dreistufigen Lagemodells fest. Mehr zur Bedeutung geregelter Verantwortlichkeiten erfahren Sie im zweiten Blogbeitrag zur Krisenvorsorge nächste Woche.

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie im neuen Kantonsmonitoring «Die Pandemie als föderale Lernkurve».