Ausbeutung, Erosion der Demokratie und Machtverlust des Staates: Dies sind gemäss der neuen SP-Parteispitze die Auswirkungen der globalen Wirtschaftstätigkeit. Kritik an «der Wirtschaft» ist heute linkes Allgemeingut. Kolonialismus, Kinderarbeit, Klimaerwärmung, Missachtung der Menschenrechte und selbst Covid-19: Vermeintliche und reale Fehlentwicklungen dienen als Sprungbrett für emotional gesteuerte Attacken gegen die Globalisierung und ihr wichtigstes Vehikel, die multinationalen Unternehmen.
Zerrbilder über die Wirtschaftstätigkeit werden nicht nur an geselligen Zusammenkünften der Genossen in ihren kooperativen Beizli gepflegt. Die Rolle der Unternehmen ist generell in Politik, Medien und Gesellschaft strittig.
Weniger als die Hälfte der Bundesparlamentarier glaubt laut einer Smartvote-Umfrage, dass von einer freien Marktwirtschaft langfristig alle profitieren. Noch kritischer schätzen die Medien den Beitrag der Unternehmen zum Gemeinwohl ein. Mit einer «generellen Moralisierungstendenz» (Fög), aktuell am Beispiel der Konzernverantwortung und dem Klimawandel, stossen die Positionen der Wirtschaft auf Widerstand.
Selbst in der Gesellschaft ist ein abnehmendes Vertrauen in die Wirtschaft feststellbar, so der CS-Sorgenbarometer. Diese Haltung ist nicht widerspruchsfrei, ist doch die subjektive Arbeitsplatzzufriedenheit der Angestellten ausgesprochen hoch – mit einer Erwerbsquote von über 80% weist die Schweiz einen Spitzenwert aus.
Folge dieser verzerrten Wahrnehmung über die Wirtschaft ist die Vergesellschaftung des Unternehmertums: Für die Lösung sämtlicher gesellschaftlicher und sozialer Herausforderungen sollen die Unternehmen Verantwortung übernehmen – die Wirtschaft solle gewissermassen «demokratisiert» werden. Was eine «gute» Unternehmensführung ist, will fortan die Politik regulatorisch entscheiden. Konsequenz: In Regulierungsrankings verliert die Schweiz an Boden.
Mit der Tendenz zur «Vervorschriftung» wird die Rolle der Unternehmen aber überdehnt, wie die Konzernverantwortungsinitiative zeigt: Unternehmen sollen mit ihrer Geschäftstätigkeit Mängel eines fremden Staates ausgleichen, wenn die lokalen Normen nicht dem angeblich besseren Schweizer Wertekompass entsprechen. Vorurteile, die zum Nennwert genommen werden, fliessen in unserer direktdemokratischen Schweiz ins individuelle Abstimmungsverhalten ein.
Selbst wenn die öffentliche Wahrnehmung differiert, ist die ökonomische und soziale Integrationskraft der Unternehmen – nebst ihrer immensen Wertschöpfung – nicht zu bestreiten. Das sollte Anlass genug sein, den unternehmerisch generierten Mehrwert wieder vermehrt ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Eine stärkere persönliche Teilnahme der Unternehmensverantwortlichen am politischen Diskurs ist gefragt. Bei der Stimmbevölkerung geniesst vorab Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft für die Sache der Wirtschaft, wer selbst unternehmerische Verantwortung trägt. Die Firmen können damit entscheidend dazu beitragen, Zerrbilder einzuordnen und die marktwirtschaftliche Rahmenordnung zu stärken. Die Meinungsbildung der Stimmbürger sollte nicht allein Politik und Medien überlassen werden.
Dieser Beitrag ist in der «Handelszeitung» vom 5. November 2020 unter dem Titel «Die Zerrbilder der Schweizer Wirtschaft» erschienen.