Fast zwei Jahre dauert mittlerweile der Kampf von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gegen immer neu auftauchende Virusvarianten. Und fast zwei Jahre prasselt Kritik nieder auf das Krisenmanagement der Kantone. Von unübersichtlichen Flickenteppichen und «Kantönligeist» ist in Redaktionsstuben und an Stammtischen die Rede.
Steigen die Inzidenzzahlen, wird auch in der föderalen Schweiz der Ruf nach dem starken Zentralstaat laut: Vermeintlich nur das bundesrätliche Siebner-Kollegium vermöge der herausfordernden Situation Herr zu werden.
Wer Derartiges fordert, blendet aus, dass auch der Bund nicht nur Bestnoten verdient hat in seinen Bemühungen, die Virusausbreitung einzudämmen. Von der ungenügenden Pandemievorsorge über die anfänglich fehlende digitale Datenübermittlung bis hin zu langwierigen Bewilligungsverfahren bei Impfstoffen reicht die Kritik.
Andererseits stehen auch die Kantone in der Kritik, jüngst bei der Organisation der «Booster»-Kampagne. Das lenkt davon ab, dass die 26 Gliedstaaten bei der Pandemiebekämpfung eine wesentliche Rolle spielen – und mehr voneinander lernen sollten. Gerade der flächenmässig grösste Kanton Graubünden, aber auch Zug und das am Anfang von der Pandemie stark getroffene Tessin haben sehr erfolgreiche Ansätze entwickelt. Graubünden war sogar stets einen Schritt voraus, etwa mit der Teststrategie oder der raschen Impfung älterer Personen. Während andere Kantone ihre Krisenstäbe noch einrichteten, stand die Bündner Krisenorganisation bereits – eingespielt durch die langjährige WEF-Erfahrung.
Im Tessin verdient das Kapazitätsmanagement der Spitäler Bestnoten, genau gleich wie das hohe Impftempo bei den Risikogruppen. Auch Zug war konstant überdurchschnittlich, etwa beim Contact-Tracing oder mit einem eigenen Alarmstufenkonzept. All diese Kantone schöpften ihre Autonomie und Entscheidungsbefugnisse aus und warteten nicht Vorgaben der übergeordneten Bundesbehörden ab.
Mängel im Krisenmanagement zeigen sich gemäss einer aktuellen Untersuchung vor allem dort, wo es zu einer starken Verflechtung zwischen Bund und Kantonen kommt. Die Folge ist eine unklare Aufgabenteilung und die Vermischung der Verantwortlichkeiten. Auch die Rolle der Fachdirektorenkonferenzen, vorab der Gesundheitsdirektorenkonferenz, sollte kritisch beäugt werden, weil sie weder die Legitimationsmacht noch die Entscheidungsbefugnisse der einzelnen Kantone besitzen. Damit der Föderalismus auch im Pandemiezeitalter noch besser als erfolgreiches Lernlabor funktioniert, sollten die Kantone wieder stärker ihre originäre Verantwortung wahrnehmen.