Wer in diesen Tagen mit dem Velo durch die Stadt Genf fährt, erlebt unbekannte Freiheiten. Improvisierte Velowege führen über ehemalige Parkplätze. Die Stadt Genf hat mit sogenannten Pop-Up-Velowegen, auch Corona-Velowege genannt, auf das veränderte Mobilitätsverhalten während der Pandemie reagiert.

Doppelt so viele Kilometer

Ein Projekt, das in normalen Zeiten Monate zur Implementierung bräuchte, wurde im Frühling 2020 innerhalb weniger Wochen in die Tat umgesetzt. Die Genfer Behörden rechtfertigten dies einerseits mit der Zunahme an Velofahrerenden während dem Lockdown. Zusätzlich sollte die Massnahme präventiv wirken: Viele mieden aufgrund der Pandemie den öV. Erleichterungen fürs Velo sollen verhindern, dass nicht zu viele Menschen aufs Auto umsteigen und die Strassen verstopfen.

Eine laufende Studie der ETH analysiert das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung während der Pandemie. Gemäss neusten Zahlen (Stand April 2021) nutzen Schweizerinnen und Schweizer den öV nur noch halb so viel wie 2019. Das Auto hat sich mittlerweile rehabilitiert, zudem wird das Zweirad deutlich stärker genutzt – und zwar nicht nur in Genf: Heute wird schweizweit um 50% öfter zum Velo gegriffen als 2019. Die zurückgelegten Kilometer sollen sich sogar verdoppelt haben.

Das Velo hat während der Pandemie an Bedeutung gewonnen. (Robert Iana, Unsplash)

Die Stadt Genf sieht in der regen Nutzung ihrer temporären Velowege ein Zeichen der Bevölkerung und möchte nun in permanente Infrastruktur investieren. Die Frage ist allerdings, was Schweizerinnen und Schweizer zu den zusätzlichen Kilometern auf dem Fahrrad motiviert hat.

Ungewisse Zukunft

Deshalb untersuchen die Forscher auch, wofür die Bevölkerung ihre jeweiligen Transportmittel nutzt. So fahren Pendler um 40% öfter mit dem Velo zur Arbeit. In der Freizeit strampelt die Bevölkerung gar um 60% bis 80% mehr. Ob dies auch nach der Pandemie so bleibt? Gerade einmal 14% der Schweizerinnen und Schweizer antworteten im Sommer 2020, sie würden nach der Pandemie auf ein anderes Fortbewegungsmittel zurückgreifen als zuvor. Ob es sich dabei um das Fahrrad handelt, wird sich weisen.

Neben den zahlreichen Velofahrenden auf den Strassen gibt es noch eine weitere Erkenntnis, die das Genfer Projekt aufzeigt: Die Velonutzung nahm vor allem dort zu, wo bereits eine gute Infrastruktur vorhanden war. Eine geringe Nutzung kann also auch ein Zeichen dafür sein, dass die Infrastruktur dazu nicht einlädt. Das Experiment der Pop-Up-Velowege in Genf hilft dabei, herauszufinden, ob die Bevölkerung tatsächlich auf mehr und bessere Fahrradverbindungen gewartet hat, um sich in den Sattel zu schwingen – oder ob am Ende den Nachteilen für den motorisierten Individualverkehr nur eine geringe, permanente Erhöhung der Velonutzung gegenübersteht.

In der Sommerreihe «Corona in Zahlen» beleuchten die jüngeren Forscherinnen und Forscher von Avenir Suisse die Folgen der Pandemie für unterschiedlichste Bereiche unserer Gesellschaft: die Staatsausgaben, den Aussenhandel, Verkehrsfragen, die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen, die Gleichstellung – und vieles mehr.