Der Walliser Staatsrat hat im Juni 2018 eine Strukturreform bei der Pensionskasse des Staates Wallis beschlossen. Dabei will er mittelfristig vom System einer teilkapitalisierten Kasse mit Staatsgarantie hin zu einer vollkapitalisierten Vorsorgeeinrichtung ohne Staatsgarantie übergehen. Doch was bedeutet eine Teil- oder Vollkapitalisierung, und warum dürfen öffentlich-rechtliche Pensionskassen zwischen beiden Modellen wählen?

Private Pensionskassen müssen jederzeit genügend Finanzmittel besitzen, um laufende und künftige Renten zu sichern. Damit sollen beim allfälligen Konkurs des Arbeitgebers die Renten der Mitarbeiter nicht gefährdet werden. Das Verhältnis des Vermögens zu den Leistungsverpflichtungen nennt man Deckungsgrad. Liegt dieser oberhalb von 100%, sind genügend finanzielle Mittel vorhanden. Öffentlich-rechtliche Kassen mussten die Vorgabe eines Deckungsgrads von 100% lange Zeit nicht erfüllen. Die vorherrschende Meinung war, dass der Arbeitgeber – der Staat – nicht Bankrott gehen kann, und die Steuerzahler jederzeit Renten oder allfällige Sanierungen finanzieren könnten.

Das Wallis beschreitet neue Wege mit der 2. Säule für das öffentliche Personal. Historische Postkarte des Stockalperschlosses. (ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Verändertes Aufgabenspektrum des Staates

Auch wenn die Schweiz oder ein Kanton in der Tat in den nächsten Jahrzehnten kaum Konkurs gehen werden, kann sich das Aufgabenspektrum des Staates verändern. So wurden die SBB, die Post, die Swisscom und die Ruag um die Jahrtausendwende vom Bund abgekoppelt und als private Aktiengesellschaft an den Markt gebracht. Die Mitarbeiter verliessen dabei die Pensionskasse des Bundes und wurden in Kassen nach privatrechtlichen Grundsätzen überführt. Umgehend mussten dafür die Vorsorgeguthaben der Mitarbeiter aufgestockt werden, weil für sie plötzlich die Vorgabe eines Deckungsgrads von 100% galt – wie überall in der Privatwirtschaft. Diese Transaktion hat den Bund auf einen Schlag ca. 21 Mrd. Fr. gekostet. Auf kantonaler Ebene könnte die Abspaltung von Kantonspitälern oder von Elektrizitätswerken ähnliche Folge haben. Deshalb wurde 2010 im Rahmen der Strukturreform der zweiten Säule die Vollkapitalisierung aller öffentlichen Pensionskassen innert zehn Jahren angestrebt.

Doch diese Vorgabe war vor allem für Kantone der lateinischen Schweiz zu steil, weil der Deckungsgrad ihrer Kassen deutlich unter 80% lag. Die Ausfinanzierung hätte Finanzspritzen in Milliardenhöhe verlangt, die kaum zu stemmen waren. Deshalb wurde im Gesetz die Möglichkeit geschaffen, innert 40 Jahren, also bis 2052, einen Deckungsgrad von 80% unter Vorbehalt einer expliziten Staatsgarantie zu erreichen. Man spricht von einer Teilkapitalisierung.

Attraktiv für neue Mitarbeitende

Für den Königsweg, die Vollkapitalisierung innert zehn Jahren, haben sich 16 Kantone aus der Deutschschweiz entschieden. Das ist gut so. Für den Kanton Bern war die zehnjährige Zeitvorgabe zu ambitioniert. Er strebte deshalb zwar die Vollkapitalisierung an, aber innert 20 statt 10 Jahren. Dafür musste er formell die Teilkapitalisierung wählen. Das Ziel ist richtig, auch wenn der Weg etwas länger dauert.

Der Kanton Wallis hat am 19. Juni 2018 eine innovative und elegante Lösung vorgestellt, wie er mittelfristig die Vollkapitalisierung ohne Staatsgarantie erreichen will. Er will seine bisherige Vorsorgeeinrichtung in zwei Pensionskassen aufteilen. Die erste, geschlossene Kasse versichert alle Mitarbeiter, die dem Staat vor 2012 beigetreten sind. Diese Kasse bleibt unter Staatsgarantie. Die andere, offene Kasse deckt alle, die ab 2012 angestellt wurden sowie alle künftigen Mitarbeitenden. Mit dieser Lösung wird die Befreiung der Staatsgarantie zwar etwas langsamer als im Kanton Bern erreicht. Aber mit jeder Kohorte, die in Pension geht, nähert der Kanton Wallis sich diesem Ziel an. Gleichzeitig wird der Kanton für neue Mitarbeiter attraktiver, weil letztere die Sanierungslast früherer, unterfinanzierter Leistungsversprechen der geschlossenen Kassen nicht mehr mittragen müssen.

Für die Kantone aus der Romandie (FR, GE, JU, NE, VD) und das Tessin, die die Teilkapitalisierung gewählt haben und inkrementell einen Deckungsgrad von 80% anstreben, stimmt mindestens die Stossrichtung. Das Ziel ist allerdings zu wenig ambitiös, die Zeitspanne zu lang, und die Staatsgarantie bleibt gewährt. Zwar ist dieser Entscheid vollkommen rechtens. Es stünde aber den Bürgern dieser Kantone frei, höhere Deckungsgrade innert weniger Jahren vorzugeben, analog zum Kanton Bern. Oder eben, eine Lösung nach dem Walliser Modell zu wählen.

Basel-Stadt im Abseits

In die falsche Richtung ging hingegen der Kanton Basel-Stadt. Seine Kasse wies bei der Einführung der Strukturreform einen Deckungsgrad knapp unter 100% auf. Allerdings rechnete damals die Pensionskasse des Kantons mit zu optimistischen technischen Parametern, was den Deckungsgrad künstlich schönte. Eine Anpassung an die Realität der Kapitalmärkte hätte zu einer weiteren Unterdeckung geführt. Da frühere Sanierungen der kantonalen Pensionskasse zwischen 2008 und 2010  bereits über 2 Mrd. Fr. gekostet hatten, wagte die Politik eine erneute Sanierung nicht. Sie wählte deshalb die Teilkapitalisierung. Im Gegensatz zum Vorgehen der lateinischen Schweiz ist hier die Stossrichtung nicht im Sinne des Erfinders. Es geht nicht mehr um die Garantie der inkrementellen Verbesserung der finanziellen Situation der Kasse, sondern im Gegenteil um die Ausnutzung eines gesetzlichen Schlupfloches, um den Druck einer Reform zu umgehen und eine Senkung des Deckungsgrades zuzulassen.

Ein Kurswechsel aller Kassen in Teilkapitalisierung nach dem Berner oder dem Walliser Modell drängt sich auf. Es würde nicht nur die Transparenz über die Verpflichtungen des Kantons für die Altersvorsorge seiner Angestellten fördern. Es würde auch vermeiden, dass künftige Generationen allfällige unterfinanzierte Leistungsversprechen ausbaden müssen.