Mit dem Thema Covid-19 lässt sich in Gesprächsrunden zurzeit nur schwer punkten – umso weniger, als der Bundesrat mit der Beendigung der «besonderen Lage» per Anfang April quasi die Rückkehr zur Normalität nachgeführt hat, die viele im Bewusstsein bereits vollzogen hatten.

Der politisch überfällige Schritt soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass aus epidemiologischer Sicht eher vom Ende der akuten Phase der Pandemie gesprochen werden kann. Experten gehen davon aus, dass Covid-19 auf absehbare Zeit weiter zirkulieren wird und es besonders in den Herbst- und Wintermonaten zu einer Anhäufung von Ansteckungen kommen kann. Und so sollten wir uns nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre besser früher als später fragen: Wie gut ist die Schweiz zur Verhinderung neuer Wellen gerüstet?

Immunitätsüberwachung als Achillesferse

Zur Beurteilung des für diese Frage zentralen Aspekts der Überwachung des epidemiologischen Geschehens ist eine Unterscheidung von drei Monitoringaktivitäten hilfreich: Die Überwachung des Infektionsgeschehens, der zirkulierenden Varianten und der Immunität. Anhaltspunkte zum künftigen Pandemiemonitoring liefert ein neues Grundlagenpapier des Bundes, zu dessen Inhalt die Kantone zurzeit konsultiert werden. Der Bund steht abermals im Fokus, weil Überwachung und Information auch in der normalen Lage in seinen Zuständigkeitsbereich fallen.

Künftig soll die Überwachung des Infektionsgeschehens neben den bisher eingesetzten Instrumenten (symptomatisches Testen, Meldepflicht, Abwasserüberwachung) mit einem ausgebauten Sentinella-Meldesystem, das etwa zur Überwachung der Grippe genutzt wird, ergänzt werden. Damit stärkt die Schweiz den Fokus auf symptomatisch Infizierte. Aussagen zur tatsächlichen Verbreitung des Virus sind damit weiterhin nicht möglich.

In welchem Umfang der Bund auf Stichprobenerhebungen (PCR-Tests in einer repräsentativen Gruppe) setzt, ist momentan unklar. Aus dem BAG ist lediglich zu erfahren: «Diese Aktivität wird im Moment neu justiert.» Um die beträchtlichen Kosten und den Nutzen eines repräsentativen Testregimes in Einklang zu bringen, wäre eine Beschränkung des Instruments auf ältere Bevölkerungsgruppen denkbar, so wie dies bereits im vergangenen Sommer angedacht war.

Ein weiterer Vorteil eines Testregimes mit Zufallsstichproben bestände darin, dass sich ein Teil davon für die genomische Sequenzierung, also zur Überwachung der zirkulierenden Virenvarianten, verwenden liesse – inklusive Verknüpfung mit klinischen Daten der Probanden. Der Bund schlägt allerdings einen anderen Weg ein, indem die genomische Überwachung auf hospitalisierte Fälle beschränkt wird. Dieser scheint sinnvoll, weil man damit die Auswirkungen unterschiedlicher Varianten auf den Krankheitsverlauf besser untersuchen kann – sofern die erwähnte Verknüpfung von Patienten- und Sequenzdaten gesichert ist.

Im internationalen Vergleich weit weniger fortgeschritten zeigt sich die Schweiz bei der Überwachung der Immunität der Bevölkerung, weil das dafür aufgestellte Forschungsprojekt Corona-Immunitas zu knapp bemessen ist. Für aussagekräftige Resultate zur Veränderung der Immunität (Seroprävalenz) in der Bevölkerung müssten erstens die Stichproben vergrössert und zweitens zwischen Antikörpern aufgrund einer Infektion und Impfung unterschieden werden.

Kommt noch eine Welle? Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz bei der Immunitätsüberwachung der Bevölkerung zurück. (Matt Paul Catelano, Unsplash)

Aufklärungsbedarf über gesunde Raumluft

Aufholbedarf – wie der Auftritt des zuständigen Bundesrates vor den Medien anlässlich der Aufhebung der besonderen Lage gezeigt hat – besteht offenbar auch beim Thema Information. So schien sich der Departmentschef einer zentralen Einsicht aus der Pandemie, dem Nutzen hoher Luftqualität, nicht bewusst zu sein. Erwiesenermassenerhöht sich mit steigender Aerosolkonzentration in einem Raum die Ansteckungswahrscheinlichkeit für Covid-19 (und weitere Atemwegserkrankungen) erheblich. Und weil die CO2-Konzentration ein guter Indikator für die Menge an Aerosolen in der Luft ist, sollte die Bedeutung des Zusammenhangs von gesunder Raumluft und Verbreitung des Virus Eingang in das kollektive Bewusstsein finden.

Um die Luftqualität steht es in Schweizer Gebäuden nämlich nicht zum Besten: So bescheinigt eine BAG-Studie aus dem Jahr 2019 nur einem Drittel der Schweizer Schulzimmer genügende Luftqualität. Insofern sind Bemühungen, die Thematik in den Fokus der Politik zu bringen, mehr als wünschenswert.

Richtig ist aber auch, dass der Staat deswegen nicht in einer hauruckähnlichen Aktion Vorschriften für jegliche Innenräume erlassen sollte. Die Liste von Örtlichkeiten, die ins Visier genommen werden müsste, wäre riesig. Sollte sich die Politik die Verbesserung der Raumluft doch noch auf die Fahne schreiben, reicht womöglich auch die Erkenntnis, dass ein handelsübliches CO2-Messgerat ungefähr gleich viel kostet, wie der Bund zurzeit für einen PCR-Test vergütet.

Vakuum beim Austausch mit der Wissenschaft

Für eine funktionierende Überwachung, und um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist der Bund auch auf die Wissenschaft angewiesen. Mit der Aufhebung der «besonderen Lage» wurde die wissenschaftliche Begleitung des Pandemiemanagements durch die Swiss Science Taskforce beendet und der Beraterstab aufgelöst. Wie der Dialog mit der Wissenschaft weitergehen soll, ist nur in Ansätzen bekannt. Auf Anfrage der NZZ liess das BAG im Februar verlauten, einzelne Mitglieder der Taskforce stünden dem Bundesrat und der Bundesverwaltung weiterhin beratend zur Seite.

Damit droht der Bund eine Chance zu verspielen. Anstatt ein institutionelles Vakuum zu schaffen, wäre nun der Zeitpunkt, um diesen Dialog neu aufzugleisen. Was spricht etwa dagegen, die eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) als Bindeglied zwischen Politik und Wissenschaft zu rehabilitieren und einzelne Mitglieder der Taskforce für die Übergangsphase bis Frühling 2023 darin zu integrieren?

Die Argumentation des BAG, für die EKP sei entgegen ihrer Bezeichnung nie eine aktive Rolle bei der Krisenbewältigung vorgesehen gewesen, verliert mit dem Ende der akuten Phase der Pandemie so oder so ihre Grundlage. Um in künftigen Notlagen über institutionalisierte Kommunikationskanäle zu verfügen, ist die Schweiz dringend auf weitere Erfahrungswerte angewiesen, wie ein wissenschaftliches Expertengremium optimal aufgestellt und in der Verwaltung verankert werden kann.