Die Aufgabe des Euro-Mindestkurses kam nicht nur völlig überraschend, sie hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz. Viele Prognostiker haben ihre Vorhersagen für 2015 deutlich nach unten revidiert. Die politischen Parteien, aber auch Verbände und einzelne Wirtschaftsführer haben Rezepte zum Umgang mit der neuen Situation präsentiert. Ein Rezept zieht sich wie ein roter Faden durch fast alle Kataloge, nämlich die regulatorische und administrative Entlastung der Unternehmen. Dieser Programmpunkt war – was erfreulich ist – bereits in den von Bundesrat Schneider-Ammann vorgestellten Grundlagen für eine neue Wachstumspolitik enthalten, welche noch unter der Annahme eines von der SNB fixierten Schweizerfrankens ausgearbeitet wurden.
Der Ruf nach administrativer Entlastung der Unternehmen ist nicht neu. In den letzten Jahren wurde dies von der Politik und von der Wirtschaft immer wieder gefordert. Stimmungsbarometer wie die regelmässig durchgeführte CFO-Umfrage von Deloitte oder der Bürokratiemonitor des SECO weisen deutlich auf die Relevanz der Problematik  hin. Zudem zeigen internationale Vergleiche wie der «Ease of Doing Business Indikator» der Weltbank, dass sich die Situation der Schweiz auch im Vergleich zu anderen Ländern verschlechtert hat.

Rechnungslegung, MWST und Baurecht als Kostentreiber

Der Bericht des Bundesrates über die Regulierungskosten schätzt diese für dreizehn ausgewählte Themenfelder auf 10 Milliarden Franken (1,6% des BIP). Kostentreiber sind dabei insbesondere die Bereiche Rechnungslegung und Revisionsrecht, MWST und Baurecht, mit Regulierungskosten von je über 1 Milliarde Franken pro Jahr. Auf der Basis einer Studie von KPMG (2010) hat der Schweizerische Gewerbeverband (sgv) eine Gesamtbelastung der Unternehmen durch die Regulierung von 50 Milliarden Franken errechnet, was rund 8% des BIP entspricht. Auch wenn diese Zahlen mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen sind, macht die Grössenordnung doch klar, dass eine Reduktion dieser teilweise volkswirtschaftlich sinnlosen Belastungen einen namhaften Teil der Kosten durch den höheren Schweizerfranken wettmachen könnte.
Weshalb aber waren die Bemühungen zur Reduktion der administrativen Kosten in der Vergangenheit wenig erfolgreich? Oder, besser gefragt, was muss getan werden, dass diese dringend notwenigen Forderungen in die Praxis umgesetzt werden? Reicht dazu ein offener Brief an den Wirtschaftsminister, wie derjenige des sgv, in dem ein Verzicht auf die übereifrige Umsetzung internationaler Regeln, Vereinfachungen in der Abrechnung der AHV und der MWST sowie die Harmonisierung der Baunormen gefordert wird? Reicht eine Forderung nach einem Moratorium für weitere Regulierungen und Belastungen des Wirtschaftsstandorts Schweiz, wie dies der Wirtschaftsdachverband economiesuisse verlangt? Oder reichen die Bemühungen der Politik und der Verwaltung, die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von neuen Gesetzen in den Regulierungsfolgenabschätzungen (RFA) aufzuzeigen?

Ein Blick auf andere Länder, die die administrativen Kosten erfolgreich gesenkt haben, offenbart drei zentrale Punkte bei der Bekämpfung der übermässigen administrativen Belastung¹:

  1. Standardisierte und normierte Berechnung der Regulierungskosten
    Die Regulierungskosten setzten sich im Wesentlichen aus direkten Kosten (Personal- und Investitionskosten sowie monetäre Kosten) und indirekten Kosten (Opportunitätskosten, Produktsubstitution, Kosten aufgrund von Verzögerungen) zusammen. Um eine verlässliche und vergleichbare Datengrundlage zu erhalten, müssen diese Kosten für alle Vorschriften und Gesetze nach einem standardisierten Verfahren berechnet werden. Insbesondere muss festgelegt werden, welche Kostenarten in die Beurteilung einbezogen werden. Die indirekten Kosten sind meist schwer quantifizierbar und werden deshalb aus Praktikabilitätsgründen besser ausgeklammert. Das erste standardisierte Berechnungsverfahren wurde in den Niederlanden entwickelt (Standard Cost Model for Substantive Compliance Costs). Dieses hat sich auch in andern Ländern bewährt. Mit dem Regulierungs-Checkup des SECO kam ein auf die Schweiz übertragenes System im Bericht über die Regulierungskosten zum Einsatz. Leider kommt aber dieses standardisierte Berechnungssystem bei der Schätzung neuer Regulierungskosten im Rahmen der RFA kaum je zum Einsatz. Eine standardisierte, verbindliche und von breiten politischen Kreisen akzeptierte Anwendung der Berechnungsmethode ist  zur Versachlichung der Diskussion unabdingbar.
  2. Unabhängige Prüfstelle
    Zur Verbesserung der Qualität und zur Verhinderung unnötiger Elemente neuer Regulierungen kennen viele Länder -darunter auch die Schweiz- das Instrument der Regulierungsfolgenabschätzung (RFA). Im Rahmen der RFA werden, je nach Ausprägung, die Konsequenzen, insbesondere die Kosten, von neuen Regulierungen für die Unternehmen, die Volkswirtschaft und die Gesellschaft aufgezeigt. Im Unterschied zu den Niederlanden, Deutschland, Grossbritannien und Schweden, werden diese RFAs in der Schweiz verwaltungsintern verfasst und abgesegnet. Dies birgt das Potential für Interessenkonflikte, da sich die regulierende Behörde selber überprüft. Dies führt dazu, dass die RFAs meist mehr Rechtfertigungsberichte als saubere Analysen sind. Die Schaffung einer unabhängigen Institution nach dem Beispiel der oben erwähnten Länder, welche die von der Verwaltung verfassten RFAs überprüft und beurteilt, ist daher zwingend notwendig.
  3. Klare und einfache Reduktionsziele
    Zur Verhinderung von neuen Regulierungen und zur Reduktion der administrativen Kosten durch bestehende Bestimmungen sind klare und einfache Reduktionsziele nötig. Auch hier kann die Schweiz vom Ausland lernen. In Grossbritannien wurde 2013 das Reduktionsziel «one-in two-out» eingeführt. Bei diesem Mechanismus müssen im Gegenzug zu neuen wirtschaftlichen Auflagen zwei Regulierungen mit gleichen Kosten für die Unternehmen abgebaut werden. Für die Jahre 2013-2015 wird prognostiziert, dank dieser Regel 662 Mio. £ an regulatorischen Kosten einzusparen. Andere Länder wie Österreich oder Australien kennen das Prinzip «one-in one-out» als Regulierungsbremse. Durch die Streichung einer Regulierung im Austausch für eine neue soll die administrative Belastung der Unternehmen über die Zeit zumindest konstant gehalten werden. Für die Schweiz könnte analog der Schuldenbremse eine Regulierungsbremse eingeführt werden. Das Regulierungskostenwachstum dürfte dabei zum Beispiel das BIP-Wachstum nicht überschreiten.

Neben der Schaffung einer unabhängigen Institution sind also auch klare Berechnungsgrundlagen und Reduktionsziele verbindlich zu verankern. Letzteres würde insbesondere die Politiker in die Verantwortung nehmen. Denn um die administrative Entlastung voranzutreiben, sind anstelle von Lippenbekenntnissen politische Taten notwendig. Der starke Franken erfordert dabei auch Zugeständnisse von denjenigen Akteuren aus der Wirtschaft, die Regulierungen missbrauchen, um den eigenen Markt vor Konkurrenz abzuschotten. Bessere Regulierungen und sinkende Bürokratiekosten können einen substantiellen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und damit zum Umgang mit dem starken Schweizerfranken leisten.

¹Eine detaillierte Analyse und Begründung der hier gemachten Vorschläge findet sich im Diskussionspapier «Auswege aus dem Regulierungsdickicht» vom September 2014