Die Ankündigung von Facebook, zusammen mit knapp 30 Unternehmen, darunter Visa, Ebay, Uber und Spotify, eine Blockchain-basierte Kryptowährung zu gründen, hat weltweit enormes Echo ausgelöst. Pascal Ihle hat die Autorin der Avenir-Suisse-Studie «Blockchain nach dem Hype» zu diesem Thema befragt.
Pascal Ihle: Im Vergleich zu anderen Finanzplätzen verlieren die Schweizer Banken seit Beginn der Finanzkrise kontinuierlich an Boden im In- und Ausland. Warum?
Jennifer Anthamatten: Für diese Entwicklung gibt es verschiedene Gründe. Einerseits steigt der Kostendruck im Schweizer Bankensektor. Dies ist auf die wachsenden Regulierungs- und Compliance-Kosten, das Zinsumfeld und teilweise auch auf das Ende des Schweizer Bankgeheimnisses zurückzuführen. Auf der anderen Seite stellt die Digitalisierung die Finanzindustrie im Allgemeinen vor Herausforderungen: Neue Akteure versuchen, die Geschäftsmodelle etablierter Akteure zu stören.
Der Think-Tank Avenir Suisse kommt in seiner Studie zum Schluss, dass die Distributed Ledger Technology (DLT) ein erhebliches Potenzial für den Finanzplatz Schweiz hat. Was macht Sie so optimistisch?
In unserer Studie machen wir deutlich, dass die DLT kein Allheilmittel ist. Aber es gibt in der Tat spezifische Bereiche, in denen die DLT bestehende Prozesse erheblich verbessern kann. Betrachtet man die Stärken und Schwächen des Finanzplatzes Schweiz, so lässt sich ein interessantes Muster beobachten: Einerseits kann die DLT dazu beitragen, den eher schwachen Kapitalmarkt der Schweiz zu stärken. Andererseits können mit DLT zwei der wichtigsten Segmente weiter verbessert werden: Trade Finance, also die Handelsfinanzierung durch Prozessoptimierung und Kostensenkung, sowie die Vermögensverwaltung (Asset und Wealth Management) durch Nutzung neuer Geschäftsmöglichkeiten. Damit scheint die DLT die Schweizer Finanzindustrie perfekt zu ergänzen.
Die meisten Banken, insbesondere UBS und Credit Suisse, sind bei der Blockchain eher zurückhaltend. Warum sollten sie sich plötzlich für die DLT entscheiden?
Mit der DLT haben sie die Möglichkeit, neue Geschäftsmöglichkeiten zu nutzen und im nationalen und internationalen Wettbewerb an Stärke zu gewinnen. Betrachtet man die letzten 10 Jahre, so ist dies mehr als notwendig. Es ist nicht nur eine Chance für die Grossbanken, sondern auch für kleinere Unternehmen.
Was ist der Vorteil von DLT?
Der besondere Vorteil von DLT ist die Tatsache, dass die Datenintegrität auf technische Weise erreicht wird. Dies bedeutet enorme Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen. Es ermöglicht die Automatisierung von Prozessen wie zeitaufwändigen und teuren Abstimmungen.
Stellen die Blockchain- und Fintech-Unternehmen das traditionelle Bankensystem nicht in Frage?
Ja, das tun sie, und das ist gut so. Traditionelle Akteure müssen aufwachen und sich auf das neue digitale Zeitalter einstellen, wenn sie in Zukunft erfolgreich sein wollen. Wenn Ihre Frage die Diskussion über die zukünftige Rolle der Vermittler betrifft, dann ist die Antwort einfach: Es wird keine Welt ohne Vermittler geben. Einige der heutigen Funktionen von Vermittlern werden zwar verschwinden, während andere neu auftauchen. Um die Lücke zwischen realer und virtueller Welt zu schliessen, wird es immer einen Vermittler geben.
Ein wichtiger Aspekt ist die Regulierung. Wie beurteilen Sie die Situation in der Schweiz?
Wir schätzen den bisherigen Ansatz der Schweizer Behörden. Die Schaffung von Rechtssicherheit bei gleichzeitiger Verfolgung einer schlanken Regulierung ist entscheidend. Es bedarf selektiver Gesetzesänderungen, aber wir sollten keinesfalls wie Liechtenstein ein Blockchain-Gesetz anstreben. Die Entwicklung im DLT-Bereich ist extrem schnell. Daher birgt die Verabschiedung eines Gesetzes das Risiko, zukünftige Entwicklungen sowohl von DLT als auch anderer kommender Technologien zu behindern. Die Schweiz sollte sich bemühen, die identifizierten Anpassungen so schnell wie möglich umzusetzen, um die Rechtssicherheit weiter zu stärken.
Wie sollte man die Blockchain-Innovation und das Unternehmertum im Finanzsektor fördern?
Zunächst einmal sollte der derzeitige liberale Regulierungsansatz beibehalten werden. Darüber hinaus sollten private und staatliche Akteure vorwärtsmachen. Die Schweizer Regierung muss in der Entwicklung der digitalen Infrastruktur vorwärtsmachen, da sind wir im Rückstand. Ein Beispiel sind die Grundbücher. Und eine grenzüberschreitende Denkweise ist relevant: Der Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften muss erleichtert werden.
Welche sind die Hauptkonkurrenten für die Schweiz?
Einer der wichtigsten Mitbewerber ist Singapur. Singapur hat das Potenzial von DLT deutlich erkannt und will es entsprechend nutzen. Aber es gibt auch andere Standorte mit einer starken und sich entwickelnden DLT-Branche wie Grossbritannien, die USA oder Hongkong.
Sie betonen die Chancen. Was ist mit den Risiken?
Im Zusammenhang mit Chancen sind wir immer einem Risiko ausgesetzt. Es ist wichtig, das Risiko ernsthaft und proaktiv anzugehen. Dennoch vollzieht sich der Strukturwandel in der Finanzindustrie jetzt und wird sich fortsetzen, unabhängig davon, was traditionelle Akteure tun. In Anbetracht dessen ist es die beste Strategie, die man haben kann, die Chance zu ergreifen. Die Alternative ist, aus dem Markt verdrängt zu werden.
Vertrauen ist der wichtigste Aspekt sowohl für die traditionellen Banken als auch für DLT. Wie sollten Kunden Vertrauen haben, nachdem Krypto-Börsen gehackt wurden und Investoren ihre privaten Schlüssel und ihr Geld verloren haben?
Das ist genau der Grund, warum es weiterhin Vermittler geben wird. DLT ist in der Lage, eine sichere Transaktion von Werten und Informationen zu gewährleisten. Die Sicherheit vor und nach einer solchen Transaktion ist jedoch genauso wichtig wie während der Transaktion. Es wird immer ein Bedarf an Schnittstellen zwischen realer und virtueller Welt bestehen. Hier werden die Vermittler in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
Letzte Frage: Zeit ist Geld. Wie viel Zeit hat das Schweizer Finanzsystem, um die Chancen von DLT zu nutzen – und nicht noch mehr Boden zu verlieren?
Sie sollten besser heute statt morgen anfangen. Es geht nicht nur darum, an Boden zu verlieren, sondern auch, die Rolle des First Mover zu spielen und damit Geschäftsmöglichkeiten zu nutzen und Marktanteile zu gewinnen.
Der Beitrag ist auf Deutsch erstmals auf der Website «Influence» von Furrerhugi erschienen, in Englisch im Blog von CV VC (Crypto Valley Venture Capital).