In diesem Jahr fand der Herbstanlass von Avenir Suisse im Bundeshaus statt. Im Beisein des  Nationalratspräsidenten Dominique de Buman wurde die neueste Studie von Avenir Suisse zur Schweizer Stadtpolitik vorab den Förderinnen und Förderern von Avenir Suisse vorgestellt.

Max Frisch forderte seinerzeit: «Gründen wir eine neue Stadt!» Dass sei (noch) nicht die Absicht von Avenir Suisse, bemerkte Direktor Peter Grünenfelder in seiner Begrüssungsansprache mit ironischem Unterton. Trotzdem müsse sich eine Denkfabrik mit der Zukunft in ihrem Namen fragen, inwieweit die Schweizer Stadtpolitik auf zukünftige Herausforderungen wie den demografischen Wandel oder die digitale Transformation vorbereitet sei.

In der neuesten Publikation «20 Jahre Stadtpolitik – eine Bilanz aus liberaler Perspektive» wurden die zehn grössten Städte bezüglich der Qualität ihrer Politik von einem Avenir-Suisse-Forscherteam unter Leitung von Fabian Schnell akribisch durchleuchtet. Das Städtemonitoring unterscheidet sich von klassischen Rankings dadurch, dass es nur jene Kriterien berücksichtigt, die tatsächlich weitgehend  durch die Stadtpolitik beeinflusst werden können, während es Faktoren wie etwa die geografische Lage bewusst ausblendet. Anhand von 47 Indikatoren und acht Themengebieten wurden Basel, Bern, Biel, Genf, Lausanne, Lugano, Luzern, St. Gallen, Winterthur und Zürich am Leitbild einer «Liberalen Smart City» gemessen. Im Gesamtranking erreicht die bestrangierte Stadt knapp zwei Drittel der Maximalpunktzahl, was bedeutet: Es gibt also noch erheblich liberales Potenzial. Dazu kommt das unterschiedliche Abschneiden der Städte in den Teilrankings, was vor allem eines zeigt: Die Schweizer Städte können gegenseitig viel voneinander lernen.

Die Stadt – Schlüssel zur Zukunft

Mit wenigen Zahlen lässt sich die Relevanz der Stadtpolitik illustrieren: Weltweit leben 50% der Menschen in den Städten, in der Schweiz sind es sogar 75%, und auf 10% unserer Landesfläche entstehen 60% des Bruttoinlandprodukts. Diese Zahlen bedeuten auch: Die Zentren sind entscheidend für die Prosperität der Schweiz.

Zurzeit geht es den Schweizer Städten gut, jedoch vor allem deshalb, da sie in den letzten 20 Jahren von einer Art Sonderkonjunktur profitieren konnten. Gerade weil, wie die Studienautoren Fabian Schnell, Lukas Rühli und Daniel Müller-Jentsch betonen, auf die «fetten Jahre» auch wieder magerere Zeiten folgen könnten, dürfen sie in ihrer Entwicklung nicht stehenbleiben.

Die Forscher vermissen jedoch vielenorts die Bereitschaft zur «Stadt als Versuchslabor» und führen das u.a. auf die politischen Verhältnisse zurück. So sei das Vertrauen in die Marktkräfte, etwa in der Wohnungspolitik, ungenügend ausgestaltet, und Stadtpolitik erfolge vielfach mit Detailvorgaben an die Adresse der Verwaltung statt über strategische Grundsätze. Und es gibt noch einen weiteren politisch-strukturellen Stolperstein: In einigen Städten ist der Anteil der stimmberechtigten Wohnbevölkerung mittlerweile sehr klein: In Zürich sind es noch 27%, in Genf gar 20%.

Warum haben es Bürgerliche in den Städten so schwer?

Einsichten in die Herausforderungen moderner Stadtpolitik bot Ole von Beust, Hamburgs langjähriger erster Bürgermeister, der während seiner Amtszeit als Vertreter der konservativen CDU einige unkonventionelle Wege beschritt, zum Beispiel im Bereich der Drogenpolitik und bei der Kinderbetreuung.

Eine wichtige Ursache für die «traditionelle» Linkslastigkeit der Städte sieht von Beust in der DNA bürgerlicher Parteien: Konservative stünden dem Wandel oft grundsätzlich kritischer gegenüber als ihre politische Konkurrenz. Erfolgreich sei bürgerliche Politik dann, wenn es ihre gelinge, den althergebrachten Werten in der Moderne neues Leben einzuhauchen und auch jungen Wählern eine Identifikationsplattform zu bieten. Bürgerliche Politik sollte nicht nur die klassische Familie adressieren, sondern alle Menschen, die bereit sind, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen – in welcher Familienkonstellation sie auch leben. In den Städten gibt es viele konservativ denkende Wähler. Sie unterscheiden sich aber oft wesentlich von den Wählern auf dem Land und müssen deshalb gezielt angesprochen werden.

Wohnungsfrage bleibt umstritten

Bei der abschliessenden Diskussionsrunde mit dem Stadtpräsidenten von Bern, Alec von Graffenried, und dem Lausanner Stadtrat Pierre-Antoine Hildbrand, sowie dem ehemaligen Stadtpräsidenten von Zürich, Elmar Ledergerber, traten Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten hervor.

Hitzig wurde die Diskussion um die Wohnbaupolitik geführt, wo der Zürcher Vertreter den Vorwurf der Insiderpolitik in Zusammenhang mit den Wohnbaugenossenschaften zurückwies. Alec von Graffenried und Pierre-Antoine Hildbrand sahen die Situation selbstkritischer. Hildbrand bemängelt, dass sich ein Grossteil der subventionierten Wohnungen des Kantons Waadt im Lausanne befindet, und von Graffenried sieht die Vorteile der Subjekthilfe gegenüber der Objekthilfe auch im Wohnungsbau. Generell sei es zu begrüssen, wenn eine Stadt unternehmerisch geführt werde. In Bern sei ein Grossteil des Service public mittlerweile ausgelagert.

Mehr Einigkeit bewiesen die Diskussionsteilnehmer beim Problem der schrumpfenden Stimmbevölkerung, das sich mit der demografischen Entwicklung noch verschärfen dürfte. Thematisiert wurde insbesondere die Einführung des Stimmrechts für Ausländerinnen und Ausländer auf kommunaler Ebene. Auch Nationalratspräsident Dominique de Buman hatte am Beginn des Abends an die zentrale Rolle der Kohäsion erinnert: «Nur eine Gesellschaft der Integration kann es sich erlauben, liberal zu sein». Dies gilt selbstverständlich auch für Schweizer Städte.