Ökonomen sprechen gerne über Kostenwahrheit. Auch beim Klimawandel – aufgrund des heissen Sommers aktuell wieder beliebtes Smalltalk Thema – entspringt die Forderung nach Bepreisung des Treibhausgasausstosses diesem Gedanken: Die Verursacher sollen die sozialen Grenzkosten der Emissionen – also die Kosten, die eine zusätzliche Tonne CO2 im Rahmen des künftigen Klimawandels verursacht – selbst tragen. So weit so gut.  

Nur: Wie hoch sind diese Kosten überhaupt? Und wie gehen wir damit um, dass der Grossteil davon nicht heute und auch nicht morgen, sondern um 2050, 2100 und noch später anfällt? Um es vorwegzunehmen: Auf keine der beiden Fragen gibt es eine klare Antwort. Doch das Dilemma der zweiten ist schneller beschrieben, darum widmen wir uns zuerst ihr.  

Wie viel Wert hat die Zukunft? 

Üblicherweise wird der Wert oder die Kosten von in der Zukunft liegenden Ereignissen heruntergerechnet auf einen gegenwärtigen «Barwert». Das geschieht mit der Abzinsung bzw. Diskontierung und betrifft z.B. Gewinnaussichten von Unternehmen zur Berechnung des Unternehmenswertes. Beim Klima allerdings scheint sich eine solche Mindergewichtung der Zukunft ad absurdum zu führen: Betreiben wir nicht genau Klimaschutz, weil uns die ferne Zukunft nicht egal ist? Immerhin würde bei einem kalkulatorischen Zinssatz von 2% ein Schaden von 1000 Fr. im Jahr 2100 nur mit einem Barwert von 213 Fr. eingerechnet werden. Das kann doch nicht sein, wenn uns die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder am Herzen liegt?  

Andererseits: Sollte dieser Zinssatz ein tatsächliches Produktivitätswachstum widerspiegeln, würde das bedeuten, dass unser Wohlstand bis dann auch fast um Faktor 5 steigt. In % des BIP würden die 213 Fr. also tatsächlich den 1000 Fr. im Jahr 2100 entsprechen.  

Doch dann wiederum: Würde ein ungebremster Klimawandel unseren Wohlstand nicht massiv bedrohen? Das würde ja die eben gemachte Überschlagsrechnung zur Makulatur machen.  

Wir sehen: Aus dieser Argumentationskette gibt es keinen sauberen Ausweg. Üblicherweise werden künftige Klimaschäden zur Berechnung eines plausiblen CO2-Preises abgezinst (wenn auch nicht mit einem Marktzinssatz). Sogar die Fridays-for-Future Bewegung rechnet «bloss» mit 180 €/Tonne – was dem Resultat einer Abzinsung der 640 € entspricht, die das deutsche Umweltbundesamt für die künftigen kumulierten Schäden in den nächsten 100 Jahren schätzt. Doch die Frage der Abzinsung (bzw. ihrer korrekten Höhe) ist ungeklärt – und hat einen enormen Einfluss auf die Berechnung des «korrekten» CO2-Preises.  

Wie hoch sind die erwarteten Schäden?  

Noch schwieriger ist die Frage zu beantworten, was der Klimawandel überhaupt kosten wird. Die Schätzung des Umweltbundesamtes ist bloss eine von hunderten. Eine Rolle spielen potenziell dynamische Effekte in Form gebremsten Wirtschaftswachstums (viele empirische Studien scheitern interessanterweise daran, hier statistisch signifikante Einbussen zu ermitteln), statische Effekte in Form von BIP-Einbussen (geringere Arbeitsproduktivität, geringere landwirtschaftliche Erträge etc.), dann natürlich die Schäden durch Extremwetterereignisse (Dürren, Überschwemmungen, Unwetter), und Adaptationskosten/Schäden durch den schleichenden Prozess des Anstiegs der Meeresspiegel. Alle Auswirkungen verteilen sich sehr ungleich über den Erdball, zudem beeinflussen sich die Elemente gegenseitig. 

Auch wenn die dazu durchgeführten Untersuchungen und ökonometrischen Studien gut gemeint und methodisch auf dem Stand der Zeit sind – einen ersten Einblick in die entsprechende Literatur liefern z.B. Kalkuhl und Wenz im Kapitel «Introduction» – so sind sie doch allesamt zum Scheitern verurteilt. Denn sie können der Komplexität und Langfristigkeit der Fragestellung schlicht nicht ansatzweise gerecht werden. Einige Beispiele verdeutlichen dies.  

Das «Carbon Disclosure Project, CDP» schätzte – bei Unterlassung jeglicher Klimaschutzmassnahmen – die weltweiten, jährlichen Schäden des Klimawandels auf 5,4 Bio. $ im Jahr 2070 und auf 31 Bio. $ im Jahr 2200 (!). «Jährlich 31 Billionen! Ein monströser Wert!» dachten sich da einige Medienschaffende und zitierten die Zahl entsprechend, um auf die Dringlichkeit der Klimakrise hinzuweisen. Doch ordnen wir sie ein: Bei einem jährlichen weltweiten Wirtschaftswachstum von 2% (das sind weniger, als das CDP selbst einkalkuliert) entspricht das 2070 nur 2,8% und 2200 sogar bloss noch 1,2% des globalen BIP. Und das für einen Worst Case (keine Klimamassnahmen), auf den wir erwiesenermassen nicht zusteuern. Die Absurdität dieser Prognosen lässt sich eindrücklich mit einer Zahl veranschaulichen: Eine Erhöhung des jährlichen globalen BIP-Wachstums um 0,01 Prozentpunkte (von 2% auf 2,01%) würde schon ausreichen, um die angegebenen Klimakosten des Jahres 2200 zu kompensieren. 

Andere Studien kommen auf etwas höhere Schäden bzw. Wohlstandseinbussen, die ohne Klimaschutzmassnahmen drohen würden: Eine Metastudie von Howard et al (2017) beziffert eine Bandbreite von 1,9% bis 17,3% des Welt-BIP im Jahr 2100. Bei den schon erwähnten Kalkuhl und Wenz (2000) sind es 7% bis 14%. Burke et al. (2015) liefern mit 23% eine der höchsten Schätzungen für das Jahr 2100. Eine Studie von Swiss Re rechnet ohne jeglichen Klimaschutz schon für das Jahr 2050 mit einer BIP-Senkung um 18% (wobei allerdings 11% auch bei Einhalten des 2-Grad-Ziels prognostiziert werden). 

Nähme man diese Zahlen wörtlich, könnte man bloss den Schluss ziehen, der Klimawandel sei neben all den anderen Ereignissen und konjunkturellen Rückschlägen, mit denen die Menschheit regelmässig umgehen muss, eine schon fast zu vernachlässigende Gefahr – schliesslich hat z.B. allein die Finanzkrise mit all ihren Nachwehen das Welt-BIP gegenüber den ursprünglichen Prognosen um weit über 10% reduziert.  

Und was man bei diesen Zahlen nicht vergessen darf: Die Einbussen beziehen sich auf das Welt-BIP im Jahr 2100, nicht auf unseren heutigen Wohlstand. 2020 betrug das globale BIP 85 Bio. $. Bei einem jährlichen Wachstum von 2% läge es im Jahr 2100 bei 414 Bio. $ (beim heutigen Preisniveau). Bei der pessimistischsten Einschätzung der genannten Studien betrüge es dann stattdessen noch 319 Bio. $. Gemäss all dieser Studien würde sich also unser Wohlstand auch bei völliger Abwesenheit von Klimaschutz bis zur nächsten Jahrhundertwende vervielfachen! Vor diesem Hintergrund wirkt die Selbstbenennung jener Aktivistengruppe, deren Mitlieder sich wiederholt auf Autobahnen festleimen, geradezu bizarr: «Die letzte Generation».  

Ganz so schlimm dürfte es nicht kommen. Im Gegenteil: Auch gemäss den pessimistischsten Modellrechnungen von Umweltökonomen dürfte der Wohlstand unserer Enkelkinder den unseren weit übertreffen. Ob diese Zahlen die Folgen des Klimawandels wirklich reflektieren können, muss aber (leider) bezweifelt werden. (Markus Spiske, Unsplash)

Lenkungsabgabe zur Zielerreichung Netto-null statt aussichtsloser Suche nach «wahren Kosten» 

Doch bevor die Klimaverharmloser jubilieren, sei hier betont: Zweck der obenstehenden Ausführungen ist es nicht, den Klimawandel als irrelevante Gefahr abzutun. Zweck ist es viel mehr zu zeigen, dass all diese Studien, die sich um Monetarisierung möglicher Schäden bemühen, drastisch scheitern. Es ist daher sinnvoll, diese ökonomischen bzw. ökonometrischen Ansätze beiseitezulegen und sich stattdessen an den klimatologischen Ansätzen zu orientieren:  

Im Pariser Klimaabkommen wurde nicht umsonst das Ziel festgelegt, die Erderwärmung gegenüber vorindustrieller Zeit auf 2°C, bzw. wenn möglich, auf einen deutlich geringeren Wert zu beschränken. Darüber nimmt die Wahrscheinlichkeit für die Auslösung teilweise unumkehrbarer Rückkoppelungseffekte – Schmelzen arktischen Meereises, Schmelzen der grossen Eisschilder (Grönland, Westantarktis), Tauen des Permafrosts (Russland, Kanada) – deutlich zu. Das gilt es zu verhindern, denn es hätte für das menschliche Leben auf dieser Erde dramatische Effekte, die offenbar eben nicht einfach durch Modellrechnungen von Umweltökonomen in Zahlen gefasst werden können. Das IPCC fasst es in folgende Worte: Erstens lässt sich mit der Beschränkung des globalen Temperaturanstiegs eine «gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems» noch mit grosser Wahrscheinlichkeit verhindern, und zweitens – und hier sind wir bei der Schlussfolgerung dieses Blogbeitrags – ist eine Begrenzung der Erderwärmung auf diesen Wert wahrscheinlich, wenn die Treibhausgasemissionen bis 2050 weltweit auf null und danach unter null gedrückt werden. Diesem Netto-null-Ziel haben sich schon viele Länder verschrieben.  

An diesem Netto-null-Ziel sollte sie auch die Bepreisung der Treibhausgase ausrichten. In der Theorie wäre natürlich ein globales Netto-null-Ziel mit global einheitlichem CO2-Preis und globaler Pro-Kopf-Rückverteilung der Erträge am effizientesten, in der Praxis werden strikt verfolgte inländische Netto-null-Ziele zu deutlich unterschiedlichen Bepreisungen führen. Gemäss der «High Level Commission on Carbon Price» unter Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Nicholas Stern würde ein weltweiter CO2-Preis von 40 $ bis 80 $ ab 2020 und von 50 $ bis 100 $ ab 2030 ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen. Interessanterweise liegt dieser Wert deutlich niedriger als die Preise, die aus den oben zitierten Schätzungen resultierenden würden – und nochmal viel niedriger als jene Preise, die man errechnen müsste, wenn man davon ausgeht, dass die genannten Schätzungen nicht ansatzweise die effektiven Folgen eines ungebremsten Klimawandels reflektieren können. Das allein zeigt, dass das Konzept der Kostenwahrheit hier im strikten Sinne versagt und stattdessen bloss im konzeptuellen Sinne verfolgt werden sollte. Entscheidend ist die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050. Die Bepreisung hat sich danach zu richten, nicht an der gutgemeinten aber zum Scheitern verurteilten Suche nach den «wahren Kosten».