Ein gut organisiertes Geschäft mit satten Margen und zufriedenen Investoren. Viele Jahrzehnte war Energiepolitik nahezu langweilig. Dass heutzutage Energiefragen komplex und spannend wie ein Krimi sind, erfuhren auch die Gäste des «Annual Dinner 2015», die während fast eineinhalb Stunden aufmerksam den Ausführungen der Experten lauschten.
Gerhard Schwarz betonte in seinen einleitenden Worten den zyklischen Charakter der Energiepolitik und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Noch vor sechs Jahren, als Avenir Suisse die erste Studie zur Energieversorgung präsentierte, lag der Rohölpreis bei 140 Dollar/Barrel – ein scharfer Kontrast zum derzeitigen Preis von 50 Dollar. Und beim Strom, der auf den internationalen Märkten zu Billigstpreisen gehandelt werde, sei keine Rede mehr von einer bevorstehenden Versorgungslücke wie noch vor relativ kurzer Zeit. Verstärkt würden all diese Unsicherheiten dadurch, dass die Schweiz alles andere als eine Energieinsel sei und in grossem Umfang von den Entwicklungen im Ausland abhänge.
Drei Pfeiler
Bundesrätin Doris Leuthard bestätigte die unerwartete hohe Dynamik der internationalen Entwicklungen. Als eine der geopolitisch folgenreichsten Entwicklungen schätzt sie den Wandel der USA vom Energieimporteur zum Energieexporteur innerhalb weniger Jahre ein. Besonders erschwerend, weil marktverzerrend seien ausserdem die unzähligen Subventionen – wobei international weiterhin ein Vielfaches an Geld in fossile, nicht in erneuerbare Energien fliesse. Und nicht zuletzt der Ukrainekonflikt habe in Europa das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Anbieter-Diversifikation geschärft. Um allen diesen Herausforderungen gerecht zu werden, baue die bundesrätliche Energiepolitik auf drei Pfeilern:
- Die Senkung des Energieverbrauchs mit Schwerpunkten im Verkehr und bei den Gebäuden. Ein möglichst niedriger Energieverbrauch könne die langfristige Abhängigkeit vom internationalen Energiemarkt zumindest limitieren.
- Mehr erneuerbare und weniger fossile Energiequellen. Grosses Potenzial sieht der Bund im Wärme- und Strombereich. Aus Umweltschutzgründen habe man auch die Kernenergie geprüft, diese sei aber – vor allem aus wirtschaftlichen Gründen und bei einer realistischen Kostenrechnung – derzeit keine Option für die Zukunft.
- Die Einbettung in die europäische Stromlandschaft. Eine stärkere Integration in den europäischen Strommarkt würde auch die Versorgungssicherheit erhöhen.
Völlig neue Geschäftsmodelle
Johannes Teyssen nahm in seinem Referat die Unternehmensperspektive ein und zeigte auf, wie sehr sich das Geschäftsmodell eines grossen Konzerns wie E.ON in den nächsten Jahren verändern wird. Der Hauptakteur des Wandels sei der technische Fortschritt. Bis 2020 werden laut Schätzungen 28 Milliarden Geräte miteinander verbunden sein. Dies werde nicht nur eine grosse Auswirkung auf die Energienachfrage haben, sondern auch vielfältigere Kundenwünsche mit sich bringen. «Jeder kann seine Energiewende selbst gestalten».
Pessimistisch ist Teyssen deshalb für die integrierten Versorgungsstrukturen, die bis dato die Branche beherrschten. Für Unternehmen, die lange Jahre den Fokus auf der Infrastruktur und einem einheitlichen Produkt hatten, werde es schwierig sein, den neuen Kundenbedürfnissen zu entsprechen. E.ON habe deshalb beschlossen, sich in zwei Unternehmen aufzuspalten. Das eine Unternehmen wird radikal von der Kundenseite her denken und sich auf jene Geschäftsbereiche fokussieren, bei denen die Agilität im Vordergrund steht – unter anderem der Ökostrom, Strom- und Gasnetze sowie der Vertrieb. Das andere Unternehmen wird die konventionellen Kraftwerke, die Exploration und den globalen Energiehandel umfassen.
Das Erdöl bleibt wichtig
So sicher, wie Matthias Bichsel sich ist, dass auch der Ölpreis irgendwann wieder steigen wird, bewahrte er die Zuhörer vor der voreiligen Annahme, dass sich unsere Energieversorgung radikal ändern könnte. Gemäss optimistischen Schätzungen könne die Weltwirtschaft ihren Energiebedarf bis 2040 nur im Umfang von 25% aus erneuerbaren Quellen stillen. Es verblieben also immer noch 75% für die konventionellen Energien. «Wir werden alle Formen von Energie brauchen.» Ein wichtiger und auch noch ausbaufähiger Begleiter für die Erneuerbaren sei das Erdgas, das im Gegensatz zum Erdöl auch die Atmosphäre weniger belaste.
In der abschliessenden Diskussionsrunde ging es vor allem darum, welche Rolle dem Staat in der Energiewende zukommt. Bundesrätin Leuthard wirkte überrascht von der Forderung der Unternehmensvertreter, dass es die Aufgabe des Staates sei, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen. «Marktdesign kann nicht Aufgabe des Staates sein». Mehr oder weniger einig waren sich die Experten hingegen in der Frage, dass Subventionen, wenn auch langfristig schädlich, kurzfristig notwendig sein könnten – vor allem dann, wenn die Versorgungssicherheit auf dem Spiel steht.