Hochschulen und Firmen gehen wie hier beim Rolex Learning Center an der ETH Lausanne Partnerschaften ein. (Bild: Wikimedia Commons)

Hochschulen und Firmen gehen wie hier beim Rolex Learning Center an der ETH Lausanne Partnerschaften ein. (Bild: Wikimedia Commons)

«Berner Zeitung»: Die öffentlichen Bildungsausgaben wuchsen stärker als die Gesamtausgaben, seit 2000 um 56 Prozent. Finden Sie das gerechtfertigt, Herr Schellenbauer?

Patrik Schellenbauer: Die Bildungsausgaben des Bundes sind in den letzten Jahren etwas ausgeufert.

Finanzpolitiker ringen am Montag im Ständerat mit Bildungspolitikern. Sie wollen bremsen. Droht Bildungsabbau?

Niemand redet von einem Abbau. Es geht um ein langsameres Wachstum.

Betroffene sehen das anders. Die Kantone warnen vor Abstrichen in der beruflichen Grundausbildung, weil der Bund knausere.

Die Forderung des Gewerbes nach einer halben Milliarde Franken für die höhere Berufsbildung stand schon lange im Raum. Doch höhere Berufsbildung als Teil der Weiterbildung war in der Schweiz immer Privatsache: Die Absolventen und ihre Arbeitgeber teilen sich die Kosten. Das hat gut funktioniert. Es geht also eher um eine Umverteilung. Die berufliche Grundbildung darf nicht ­leiden. Längerfristig muss die Finanzierung von Bund und Kantonen entflochten werden.

Auch die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) der Schweiz klagen. Man verliere den Anschluss an die Elite. Stimmt das?

Die beiden ETH spielen in der globalen Topliga mit. Dort stehen sie im Wettbewerb um die besten Talente der Welt. Wenn diese Institute knapper budgetieren müssen, kann das negative Folgen haben.

Sie arbeiten Teilzeit an der ETH Zürich. Reden Sie darum so?

Keineswegs. Ich bin völlig frei in meinen Äusserungen. Die Vision von Avenir Suisse war stets, dass die Mittel im Hochschulbereich stärker fokussiert werden müssen: die beiden ETH mit globaler Ausstrahlung, die Unis mit eher europäischer und die Fachhochschulen in der Tendenz mit nationaler Ausstrahlung. Hochschulpolitik ist zu oft Regionalpolitik.

Der Bund erteilt Aufträge, etwa wissenschaftliche Karrieren zu fördern, und spricht die Mittel dafür nicht. Ist diese Kritik nicht verständlich?

Doch. Das Problem ist nicht das Geld, sondern der Umstand, dass der Bund gewisse Angebote nicht hinterfragt. Es geht zu stark um die Wahrung des Besitzstandes.

In der Wirtschaft ist es gang und gäbe, die Mittel etwas knapper als gewünscht zu bemessen. Das ist normales Effizienzdenken. Schadet das in der Bildung?

Auch Bildungsleistungen sollten möglichst effizient und wirksam erbracht werden, das schadet sicher nicht.

Warum stellen Bildungsinstitutionen nicht selber solche Effizienzüberlegungen an?

Das tun sie teilweise schon. Aber das Ringen um die Bildungs- und Forschungsgelder ist ein taktisches Spiel. Weil nicht jeder Anspruch erfüllt werden kann, wird der eigene vorsorglich hoch angesetzt. Zudem ist der Wettbewerb im Schweizer Bildungswesen nur schwach ausgeprägt, darum sollte der Bund als Zahler noch genauer hinschauen.

Wo würden Sie Mittel kürzen?

Die nationalen Forschungsprogramme (NFP) des Schweizerischen Nationalfonds sind in der heutigen Form zu hinterfragen. Pointiert gesagt ist es oft staatlich orchestrierte Forschung. Herauskommen soll, was man hören will. Ein Beispiel ist das Technologieverbot für die Kernenergie beim NFP Energiewende. Das ist oft keine exzellente Forschung und entspricht nicht dem Selbstverständnis einer offenen Gesellschaft. Die frei werdenden Mittel von jährlich 25 Millionen Franken würde ich den allgemeinen Projekten zuschlagen. Dort wird exzellent geforscht, und ein Teil davon liesse sich zur Nachwuchsförderung verwenden.

Was müsste man ändern?

Forscherteams müssen nach Exzellenzkriterien zusammengestellt werden und nicht aufgrund ihrer Ausrichtung.

Lange waren sich alle Parteien einig, dass Bildung als unsere einzige Ressource gefördert werden muss.

Grundsätzlich stimmt es natürlich, dass Bildung unser einziger Rohstoff ist. Aber gleichzeitig rechtfertigt dies nicht jeglichen staatlichen Aufwand, und vor allem muss der Staat klare Prioritäten setzen.

Die SVP reitet Attacken gegen den Elfenbeinturm.

Die Schweiz ist eine eher elitenkritische Gesellschaft, darum auch die kritische Haltung gegenüber Akademikern und Intellektuellen. Aber der Elfenbeinturm hat durchaus seine Berechtigung. Denn dort arbeiten kritische, scheinbare Gewissheiten hinterfragende Leute. Das ist angesichts der sich beschleunigenden technologischen Entwicklung wichtig, auch für die Unternehmen. Ich hinterfrage nicht die Akademie als solche, sondern die Art der Finanzierung.

Der Staat zahlt einem ETH-Studenten etwa 90’000 Franken für seine Ausbildung, er selber steuert jährlich 1160 Franken bei. Sollten die Gebühren höher sein?

Und hier geht es sogar um ein internationales Topinstitut. Bildung ist primär ein privates Gut. Wer sich bildet, hat selber den höchsten Nutzen davon, zum Beispiel in Form eines spannenden Jobs oder von mehr Lebensoptionen. Kurz: Ja, wir sind schon lange für höhere Gebühren.

Wie hoch dürften sie sein?

Der private Anteil liegt heute nur bei zehn Prozent und müsste deutlich erhöht werden.

Ist es nicht problematisch, wenn studiert, wer es sich leisten kann, und nicht, wer fähig dazu ist?

Bei Härtefällen kann der Staat mit Stipendien oder zinslosen Darlehen aushelfen.

2015 stimmten wir über eine Stipendieninitiative ab, die scheiterte. War Avenir Suisse dafür?

Wir geben keine Abstimmungsempfehlungen ab. Wenn der Staat eingreift, verteilt er von oben nach unten um. In der Bildungspolitik macht er das Gegenteil. Er subventioniert jene, die es nicht bräuchten. Es erstaunt mich, dass dies von links nicht stärker infrage gestellt wird.

Sie kritisieren dies deutlich. Haben Sie einen Lösungsansatz?

Avenir Suisse schlägt seit längerem ein Bildungskonto vor, wo jedem Kind ein Betrag für die Bildung gutgeschrieben wird.

Was würde sich ändern?

Der Staat würde nicht mehr Bildungsinstitute als Anbieter, sondern die Studierenden als Nachfrager finanzieren.

Das würde die ETH nicht freuen. Da ginge sämtliche Planungssicherheit flöten.

Die ETH als Top-Hochschule hätte nichts zu befürchten, aber es wäre in der Tat ein radikaler Wechsel. Er würde mehr Wettbewerb bringen, und die Bildungsträger würden sich mehr auf ihre Stärken konzentrieren. Umgekehrt würden die Studierenden ihre Studienwahl viel bewusster treffen als heute, da die Kosten für alle transparent wären.

Wie in Amerika?

Nein. Insgesamt würden die staatlichen Ausgaben nicht reduziert, sondern anders verteilt. Die Universitäten wären autonomer und könnten unterschiedliche Gebühren je Studiengang verlangen. Ein Philosophiestudium würde dann ein Fünftel so viel kosten wie ein Medizinstudium.

Wo bleibt die Bildungsfreiheit?

Es ist aus meiner Sicht falsch, wenn man in der Bildung das Ökonomische komplett ausblendet.

Der Ärztemangel würde sich verschärfen.

Solche spezifischen Probleme liessen sich mit punktueller Unterstützung lösen.

Radikale Ansätze haben in der Schweiz wenig Chancen. Bleiben wir realistisch. Die Studierendenzahlen der ETH wachsen. Das kostet. Sollen sie Studierende ablehnen?

Unter anderem steigen die Zahlen, weil die ETH auch im Ausland einen ausgezeichneten Ruf geniessen. Das ist das sichtbare Zeichen ihres Erfolgs. Doch die ETH müssen ihre Spitzenposition im Vergleich zu amerikanischen Instituten billig verkaufen.

Ausländer sollten höhere Gebühren zahlen als Inländer?

In der heutigen Situation ist das vertretbar. Die global ausgerichteten Hochschulen sollten aber frei sein, welche Preise sie setzen wollen, und zwar sowohl im In- wie im Ausland.

Was halten Sie von einer stärkeren Selektion an Hochschulen?

Das käme in der Schweiz einem Tabubruch gleich. Bei uns ist die Aufnahme ins Gymnasium die härteste Selektion. Wer diese Hürde schafft, hat nachher Studienwahlfreiheit.

Hochschulen könnten auch mehr externe Drittmittel beschaffen. Müsste da mehr gehen?

Ja, definitiv! In der Schweiz liegt ein grosses Potenzial brach. Ziel muss es sein, den Eigenfinanzierungsgrad der Institute zu erhöhen. Wichtig ist dabei eine saubere Governance, und die Eckpunkte müssen transparent sein.

Was, wenn die Spenderin vorgibt, in welche Richtung die Forschung gehen soll?

Es ist doch legitim, wenn der Spender das grobe Forschungsfeld bestimmt, solange er nicht – wie es die Politik bei den NFP tut – die Ergebnisse vorwegnimmt. Hier ist die rote Linie.

Dieses Interview ist am 10. September 2016 in der «Berner Zeitung» erschienen.
Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.