Der Grenzschutz der landwirtschaftlichen Erzeugnisse liegt in der Schweiz rund 50 Prozent höher als in den umliegenden Ländern. Wird der Produktionswert um den Grenzschutz und die für das Gemeinwohl erbrachten Leistungen in der Höhe von 1.2 Mrd. Franken korrigiert, so weist die Schweizer Landwirtschaft eine negative Wertschöpfung von 70 Mio. Franken auf. Dies zeigen die Berechnungen des Umweltökonomen Felix Schläpfer eindrücklich auf. In der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung wurde 2014 jedoch eine positive Nettowertschöpfung von 2.2 Mrd. Fr. ausgewiesen. Selbst unter Berücksichtigung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen verbraucht der Schweizer Agrarsektor mehr Ressourcen, als er Wert schafft.
Bei den Direktzahlungen würden die grössten Beträge nicht – wie verfassungsmässig vorgesehen – für die Entschädigung gemeinschaftlicher Leistungen wie die Kulturlandpflege verwendet. Der grösste Budgetposten von 1.1 Mrd. Franken seien die Versorgungssicherheitsbeiträge – obwohl in diesem Bereich der Agrarpolitik derzeit keine Ziellücke bestehe.
Milchleistung statt Einkommen zählt
Das sei doppelt problematisch, denn die Schweiz produziere heute nicht etwa zu wenig, sondern zu viel und in gewissen Sektoren zu intensiv. Gerade die Fleisch- und Milchproduktion sei alles andere als nachhaltig und selbstversorgend, zumal ein Grossteil der Futtermittel importiert wird. «Die überteuerte industrielle Produktion von Milch und Fleisch übersteigt das agrarökologische Potenzial der Schweiz», stellt Schläpfer fest. Im Gegensatz etwa zu Osteuropa, wo heute aufgrund tiefer Hektarerträge noch grosse Produktionsreserven vorhanden sind.
Gemäss Schläpfer könnten viele Schweizer Landwirte mehr verdienen, wenn sie weniger intensiv produzieren würden. «Bei vielen zählt immer noch die Milchleistung pro Kuh statt das Einkommen pro Stunde», stellt er fest. Auch bezüglich dem Umweltschutz schneide die Schweizer Landwirtschaft nicht besonders gut ab – im Gegenteil: Sie weise im europäischen Vergleich beispielsweise besonders hohe Ammoniakemissionen auf. Die Schweizer Landwirte setzen gemäss einer Studie rund zweimal so viele Pflanzenschutzmittel ein als ihre deutschen oder österreichischen Kollegen.
Es geht auch mit weniger Grenzschutz
Schläpfer zeigte sich überzeugt, dass die Schweizer Landwirtschaft auch ohne Grenzschutz in der EU konkurrenzfähig wäre – dies setze aber die Bereitschaft voraus, in Alternativen zu denken. Dabei würde das Mittelland nicht zu einem einzigen Wald werden, wie Bauernpräsident Markus Ritter kürzlich in einem Interview mit der NZZ behauptet hatte. Dies zeige das Beispiel Österreich, das seine Landwirtschaft – mit Erfolg – dem europäischen Wettbewerb ausgesetzt hat. In der Schweiz werde das schlechte wirtschaftliche Ergebnis hingegen dazu benutzt, den Status Quo zu verteidigen.
Dass eine rein wirtschaftliche Betrachtung zu kurz greift, zeigte die anschliessende Diskussion, an der sich auch der Agrarexperte Hans Rentsch und Jürg Maurer, stellvertretender Leiter Wirtschaftspolitik des Migros-Genossenschaftsbunds, einbrachten. In der Landwirtschaftspolitik müssten auch die Präferenzen der Konsumenten berücksichtigt werden, auch wenn diese nicht immer rational sind.
Somit stellte sich zum Schluss die Frage: Warum kaufen Schweizer Konsumenten mit Vorliebe überteuertes einheimisches Gemüse, wenn dieses weder bezüglich Ökobilanz noch Qualität besser abschneidet? Sind sie falsch oder ungenügend informiert? Verstärken die Grossverteiler mit ihrer lokalpatriotischen Werbung mit Bildern vom idyllischen Bauernhof eine verzerrte Wahrnehmung? Braucht es den Druck von aussen für Liberalisierungen?
Einig waren sich die Experten, dass die Reformen der letzten Jahre in die richtige Richtung gehen, etwa indem Preisgarantien oder Tierbeiträge abgeschafft wurden. Doch ebenso klar ist: Der Mist ist noch lange nicht geführt.