Blicken wir auf einen Wohnungsmarkt mit den folgenden Charakteristika: eine im langjährigen Vergleich überdurchschnittliche Leerstandsquote; eine Mehrheit der Haushalte, die seit zwanzig Jahren keine Mieterhöhung erlebt hat; Wohnkosten, die insgesamt im Einklang mit den Einkommen steigen, und pro Person immer mehr Wohnfläche. Mag dies wie ein Wunschdenken oder gar Nirvana klingen? Mitnichten. Es ist eine Beschreibung der aktuellen Lage auf dem Schweizer Wohnungsmarkt. Wer daran zweifelt, kann gerne beim Bundesamt für Statistik nachsehen.

Zukunftsgerichtete Sorgen der Mieterinnen und Mieter

Glaubt man hingegen die hiesigen Medien, befinden wir uns aktuell in einer akuten Wohnungsnot. Alles Panikmache? Eine solche Behauptung wäre genauso vermessen. Die gegenwärtigen Sorgen der Mieterinnen und Mieter sind real, wenn auch in erster Linie zukunftsgerichtet. Es besteht das Risiko, dass höhere Hypothekarzinsen eine Erhöhung der Bestandsmieten auslösen werden (das sind die Mieten bestehender Mietverträge). Das ist umso wahrscheinlicher, als dass dank guter Konjunktur die Marktmieten in den grösseren Städten deutlich höher liegen als die Bestandsmieten.

Schweizweit bräuchte es momentan rund 10’000 Wohnungen mehr pro Jahr, um zu verhindern, dass die Mieten stärker als die Inflation steigen. (sru.)

Am meisten Sorgen macht aber das Angebot, sprich: die rückläufige Bautätigkeit. Schweizweit bräuchte es momentan rund 10’000 Wohnungen mehr pro Jahr, um zu verhindern, dass die Mieten stärker als die Inflation steigen. Natürlich könnte diese Investitionsschwäche temporärer Art sein. Zuerst die Covidkrise und dann die Zinserhöhungen haben die Pläne vieler Investoren durchkreuzt. Doch manche sehen diese Entwicklung als die Folge stets komplexerer Baubewilligungsverfahren, obsoleter Lärmvorschriften, eines immer mächtigeren Heimatsschutzes und einer widersprüchlichen Raumplanung.

Politische Bewirtschaftung des Mangels

Wie auch immer: Die Politik strotzt bereits vor Ideen, mit der sie die drohende Verknappung an Wohnraum bekämpfen will, ohne sich um die Bauvorschriften zu kümmern. Für die einen geht es darum, mit neuen Regulierungen Mietanpassungen zusätzlich zu erschweren, etwa nach einer Sanierung. Wer wissen will, wohin dies führt, muss nur nach Westen blicken. Als Folge der Wohnungsnot der 1980er Jahre hat Genf genau reguliert, wie teuer die Mieten nach einem Umbau sein dürfen. Das Ergebnis: Investoren scheuen Renovationen, und die Stadt hat heute qualitätsmässig den schlechtesten Wohnungsbestand der Schweiz. Neubauten wurden in den meisten Fällen auf der grünen Wiese geplant. Nun kommen diese Wohnungen endlich auf den Markt – mit zwanzig Jahren Verspätung.

Andere setzen sich für eine stärkere Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus ein, da Genossenschafter tatsächlich geringere Mieten zahlen als der Grossteil der Bevölkerung. Allerdings ergeben sich für alle anderen daraus lediglich Nachteile. Denn wer das Glück hat, eine Genossenschaftswohnung zu beziehen, wird diese nicht so schnell aufgeben, selbst wenn sie den eigenen Bedürfnissen nicht mehr entspricht. Dadurch sinkt der Umschlag von Mietwohnungen insgesamt, insbesondere an attraktiven Lagen. Gerade Wohnungssuchende – die Jungen, die Geschiedenen, die Mobilien – sehen sich mit erheblichen Suchkosten konfrontiert. Mehr Wohnungen sind zwar bezahlbar, nur findet man keine. Die «Wohnungsnot» eben.