Der folgende Beitrag stammt aus der Web-Publikation «CH 1995 2035 – Globale Trends, nationale Herausforderungen, liberale Lösungen».

Es ist schon erstaunlich: Seit der industriellen Revolution hat sich der Wohlstand auf der Welt verzigfacht, die Lebenserwartung mehr als verdoppelt, die Wahrscheinlichkeit, von einem anderen Menschen getötet zu werden, ist drastisch gesunken, die weltweite Armut hat deutlich abgenommen, die politischen Institutionen haben sich verbessert – und doch: Nur ca. 5% der Europäer (für die Schweiz liegen leider keine separaten Zahlen vor) denken, die Welt werde besser.

Entsprechend skeptisch wird der Nutzen der technologischen Errungenschaften dieser Zeit beurteilt. Oft gehörte Vorwürfe sind: Sie zerstörten die Umwelt, entfremdeten den Menschen von sich selbst, schüfen Ungerechtigkeiten (z.B. Arbeitslosigkeit Niedrigqualifizierter, hohe Kapitaleinkommen der Reichen) und bescherten, wenn überhaupt, Wohlstand nur den entwickelten Ländern, während der Rest der Welt in noch stärkere Abhängigkeitsverhältnisse rutsche oder in Giftmülldeponien versinke.

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Technologie nützt Mensch und Umwelt

In Wirklichkeit ist es der mit den Innovationen gestiegene Wohlstand, der z.B. die Präferenz für Umweltschutz überhaupt erst zum Tragen bringt. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Menschheit zu sehr mit Überleben beschäftigt, um sich um die Natur zu kümmern. Technologie ermöglicht aber noch viel mehr:

_ Sie fördert soziale Gleichheit: Während in den vorindustriellen Agrargesellschaften mehr als die Hälfte des Einkommens den Besitzern von Land und Kapital zukam, ist es in den modernen industrialisierten Gesellschaften nur noch ca. ein Drittel.

_ Sie spart Ressourcen: Der heutige Mensch verbraucht im Verhältnis zum generierten Wohlstand einen Bruchteil der Ressourcen des vorindustriellen Menschen. Diese Entwicklung hat überhaupt erst die Bevölkerungsexplosion der letzten 100 Jahre ermöglicht. Dass heute 6,5 Milliarden Menschen gut ernährt werden können, ist eine einzigartige Errungenschaft. Dass immer noch einige hundert Millionen hungern, hat keine ressourcentechnischen Gründe, sondern politökonomische.

_ Sie schafft Freiheiten: Die Menschen werden älter und sind gesünder. Der Anteil der Lebenszeit, den man zur Befriedigung der Basisbedürfnisse investieren muss, ist drastisch gesunden. Das erlaubt die Beschäftigung mit höheren Zielen.

Unbeliebte Naturwissenschafter

Schwierig angesichts dieser Fortschritte ist zu erklären, wie wenig Wertschätzung auch viele gebildete Menschen den Naturwissenschaften entgegenbringen. So steht im Bestseller «Bildung» des Literaturprofessors Dietrich Schwanitz geschrieben: «Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse werden zwar in der Schule gelehrt; sie tragen auch einiges zum Verständnis der Natur, aber wenig zum Verständnis der Kultur bei. Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.» Vince Ebert, Wissenschaftskabarettist, fasst die Lage treffend zusammen: «In intellektuellen Kreise gilt es zwar als verpönt, nicht zu wissen, worin sich Faust I und Faust II unterscheiden, gleichzeitig brüstet man sich aber damit, keine Ahnung vom Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu haben» (Ebert 2011).

Diese Einstellung zu den Naturwissenschaften ist wohl Mitgrund dafür, dass in der Schweiz zu wenige Personen eine Ausbildung in einem MINT-Fach absolvieren. Hier ist die Schweiz deshalb auf Zuwanderung angewiesen.

Ein Ergebnis der Innovationsskepsis ist das Vorsichtsprinzip: Nicht mehr der Kläger muss die Gefahren einer neuen Technologie aufzeigen, sondern ihr Anbieter muss die Ungefährlichkeit restlos nachweisen können. In ihrer Reinform bedeutet diese Beweisumkehr einen vollen Innovationsstopp, denn ein solcher Nachweis ist ex ante kaum je möglich. Neue Technologien waren schon immer mit gewissen Risiken verbunden. Ohne Anwendung können ihre Gefahren gar nicht genau eruiert und schrittweise ausgeräumt werden.

Auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen, ist wichtig. Wenn erst einmal die Innovationsskeptiker (unter Verkennung der Frage, woher unser Wohlstand überhaupt kommt) in der Schweiz Oberhand gewinnen, werden sich die regulatorischen Bedingungen für den Forschungsstandort Schweiz schnell verschlechtern. Und diese sind für die Attraktivität der Schweiz ebenso wichtig wie ein günstiges steuerliches Umfeld oder unbürokratische Prozesse.

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