Im ersten Blog zur Krisenvorsorge wurde aufgezeigt, dass die Pandemiepläne in vielen Kantonen wenig Priorität genossen und zu stark auf das Grippevirus ausgelegt waren. Gerade angesichts dieser einseitigen Ausrichtung wäre es unseriös, die Pandemiepläne als alleinigen Massstab für den Stand der Krisenvorkehrungen heranzuziehen.
Ein weiteres Instrument bietet sich in Form des kantonalen Bevölkerungsschutzgesetzes (BSG) an. Darin lassen sich die Grundlagen legen, auf deren Basis der Zuständigkeitsbereich von kantonalen und kommunalen Krisenorganen sowie den Partnerorganisationen (Polizei, Feuerwehr, Gesundheitswesen, Zivilschutz usw.) geregelt werden kann.
Insgesamt verfügen 24 Kantone über ein eigenes BSG. Hinsichtlich Detaillierungsgrad lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen (vgl. Tabelle).
Während man sich in einigen Kantonen, etwa in der Romandie, weitgehend mit ausführenden Bestimmungen des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz des Bundes begnügt, existieren in anderen Kantonen ausgereifte gesetzliche Grundlagen.
Konkrete Ereignisse gehören nicht ins Gesetz …
Vorreiter hinsichtlich einer detaillierten Regelung der Verantwortlichkeiten ist der Kanton Graubünden, dessen Erlass in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Das Bündner BSG ist etwa entlang dem bereits erwähnten dreistufigen Eskalationsmodell (normale, besondere, ausserordentliche Lage) strukturiert. Nur in drei weiteren Kantonen (BE, FR und VS) wird eine solche Abstufung im Gesetz vorgenommen. Diese findet sich zwar bei genauerer Betrachtung auch in den Erlassen in AG, BL, GL und ZG. In diesen Gesetzen spiegelt sich jedoch das Denken vergangener Tage, indem zusätzlich auf konkrete Ereignisse mit tiefer Eintretenswahrscheinlichkeit wie bewaffnete Konflikte oder Mangellagen eingegangen wird.
Eine moderne Krisenorganisation sollte Verantwortlichkeiten jedoch anhand der Ereignisschwere definieren. Entsprechend gilt es, die Lagebeurteilung anhand des Kriteriums vorzunehmen, ob Gemeinden oder Kanton ihre Aufgaben mit den ordentlichen Abläufen und Mittel bewältigen können. Neben Graubünden kennt sonst nur der Kanton Wallis eine solche Unterscheidung. Darüber hinaus unterscheidet Graubünden als nur einer von drei Kantonen – die anderen sind Fribourg und Zürich – klar erkennbar verschiedene Ereignisphasen wie Vorsorge und Bewältigung. Die Unterscheidung von Lagen und Phasen im Bevölkerungsschutz ermöglicht dann eine Regelung der Zuständigkeiten der Krisenorgane und Partnerorganisationen entlang dieser Dimensionen.
… klare Zuständigkeiten schon
Der Detaillierungsgrad der Bündner Bestimmungen im Bevölkerungsschutz ist im interkantonalen Vergleich entsprechend hoch. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob die Zuständigkeiten so detailliert auf Gesetzesstufe geregelt werden sollten. In einigen anderen Kantonen wird im BSG auf andere Gesetze oder Reglemente der kantonalen Führungsorganisation verwiesen. Bei entsprechender Umsetzung ist dagegen nichts einzuwenden.
Wichtig ist, dass der Bevölkerungsschutz auf eine Grundausrichtung mit gegebenen Verantwortlichkeiten bauen kann, die dynamisch skalierbar sind. Ist diese sogar auf Gesetzesstufe verankert, trägt dies zur Glaubwürdigkeit des Bevölkerungsschutzes bei. Gesetze mit reinem Einführungscharakter zur Bundesgesetzgebung reichen hingegen nicht aus. In diesen findet man nicht selten inhaltsleere Bestimmungen, wonach etwa die Gemeinden im Krisenfall die ihnen durch die Gesetzgebung übertragenen Aufgaben zu erfüllen haben.
Neben der Generalüberholung der Pandemiepläne drängt sich demnach auch eine Anpassung der meisten BSG auf. Als Mustererlass für den Bevölkerungsschutz dürfte das Gesetz des Kantons Graubünden eine gute Orientierung bilden. Solche Anpassungen sollten zudem zeitnah vorangetrieben werden, solange die Erfahrungen der Pandemie noch präsent sind. Damit nehmen die Kantone ihre Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung wahr und setzen sich nicht dem Vorwurf aus, notwendige Reformen etwa mit Verweis auf zu erwartende Anpassungen auf Bundesebene hinauszuzögern.
Die Fähigkeit staatlicher Strukturen zur Erkennung und Bewältigung von Notlagen hängt stark von der Vorsorge und den dafür entwickelten Planungsinstrumenten ab. Um schnell handeln zu können, sollte etwa beim Ausbruch einer Krise klar sein, wer für welche Aufgaben verantwortlich ist. In zwei Blogbeiträgen gehen wir der Frage nach, ob die kantonalen Vorsorgeinstrumente im Gesundheitsbereich und im Bevölkerungsschutz diese zentrale Anforderung im Februar 2020 erfüllten. Der erste Teil widmete sich den Pandemieplänen. Im vorliegenden zweiten Teil werfen wir einen Blick auf die gesetzlichen Grundlagen im Bevölkerungsschutz.
Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie im Kantonsmonitoring «Die Pandemie als föderale Lernkurve».