In Sachen Liberalisierung von staatlich dominierten Märkten hinkt die Schweiz der EU seit Jahren chronisch hinterher. So auch im Postmarkt, wo die EU die Marktöffnung bereits Ende der 1990er-Jahre in Angriff genommen hat und schrittweise vorantrieb: Seit dem 1. Januar 2013 ist die Öffnung des Postmarktes von allen EU-Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt.
Gut ist der Vorsatz, aber die Erfüllung schwer
Auch die Schweiz startete zwar 1997, als ein neues Postgesetz in Kraft trat, mit guten Vorsätzen, doch sie blieb – wie so oft – auf halbem Weg stehen (vgl. Abbildung): 1998 wurde das Paketmonopol der Schweizerischen Post auf 2kg abgesenkt. In einem weiteren Liberalisierungsschritt wurde 2004 sodann die Gewichtsgrenze bei den Paketen aufgehoben, womit zumindest der Schweizer Paketmarkt heute vollständig liberalisiert ist. Nicht so jedoch der Briefmarkt. Es dauerte bis 2006 bis das Briefmonopol angetastet wurde und dieses vorerst auf 100g und im Rahmen einer weiteren Revision des Postgesetzes 2009 auf 50g gesenkt wurde. Die ursprünglich geplante Abschaffung dieses Restmonopols lehnte das Parlament jedoch mit dem Argument ab, dass dieses der Post zur Finanzierung der postalischen Grundversorgung zuzugestehen sei. Gleichzeitig hielt der Gesetzgeber aber fest, dass mit dem revidierten Postgesetz Rahmenbedingungen für einen wirksamen Wettbewerb geschaffen werden sollen. Dass sich diese beiden Ziele diametral widersprechen, wurde grosszügig ausgeblendet. So ist es offensichtlich, dass durch die Gewährung des Restmonopols ein grosser und wichtiger Teil des Briefmarktes für alternative Anbieterinnen von Postdiensten nicht bestreitbar ist. Bis heute unterliegt rund 75% des adressierten inländischen Briefvolumens dem Restmonopol.
Einmal mehr hinkt die Schweiz hinterher
Dass auch in einem vollständig liberalisierten Markt Postdienste erbracht werden, zeigt der Blick ins umliegende Ausland (vgl. Tabelle). Insbesondere handelt es sich um einen helvetischen Irrglauben, dass eine Marktöffnung im Postsektor das Ende der postalischen Grundversorgung bedeuten bzw. zwingend mit einem Abbau des Service public einhergehen würde. In den allermeisten EU-Ländern gibt es auch heute noch ein Postunternehmen, das für die – politisch definierte – Grundversorgung zuständig ist. In der Regel handelt es sich dabei um die historische Anbieterin von Postdiensten. Dass es aber auch anders geht, zeigt das deutsche Beispiel: In Deutschland gibt es im Postsektor seit 2007 keine spezifische Grundversorgerin mehr (zuvor war es die Deutsche Post). Eine solche würde vom Regulator nur dann bestimmt, falls die Grundversorgung nicht mehr freiwillig und in geforderter Qualität von den Anbieterinnen von Postdiensten erbracht würde.
Marktöffnung in ausgewählten europäischen Ländern
Land | vollst. Marktöffnung | Grundversorgerin | Staatsanteil |
---|---|---|---|
Schweiz | ausstehend | Schweizerische Post | 100% |
Frankreich | 01.01.2011 | Groupe La Poste SA | 100% |
Schweden/Dänemark | 01.01.1993 | PostNord AB | 100% |
Österreich | 01.01.2011 | Österreichische Post AG | 53% |
Deutschland | 01.01.2008 | alle Anbieterinnen | 25%* |
Grossbritanien | 01.01.2006 | Royal Mail plc | 0% |
Niederlande | 01.04.2009 | PostNL N.V. | 0% |
*Staatsanteil an der historischen Postanbieterin «Deutsche Post AG» Quelle: Bundesrat (2015), eigene Recherche |
Die Tabelle zeigt überdies, dass «Liberalisierung» nicht mit «Privatisierung» gleichgesetzt werden sollte. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Paar Schuhe, denn die Eigentumsfrage ist für die Erbringung von Postdiensten nicht zentral. In Grossbritannien wurde die historische Postanbieterin (Royal Mail) etwa vollständige privatisiert und ihre Titel werden heute an der Londoner Börse gehandelt. Auch in den Niederlanden wurde die Post zu 100% privatisiert. Am anderen Ende des Spektrums finden sich Frankreich und Schweden/Dänemark, die ihre Postmärkte zwar auch vollständig liberalisiert haben, aber nach wie über eine Post in Staatseigentum verfügen. Dazwischen gibt es die österreichische Lösung mit einer Mehrheitsbeteiligung und die deutsche Lösung mit einer Minderheitsbeteiligung des Staates an der historischen Postanbieterin.
Die Abschaffung des Restmonopols ist überfällig
Durch die Abschaffung des Restmonopols könnten also auch in der Schweiz die Voraussetzungen für Wettbewerb im Postmarkt geschaffen werden. Und dies, ohne etwa die postalische Grundversorgung aufs Spiel zu setzen. Zudem würde ein gravierender Mangel des heutigen Finanzierungssystems eliminiert: Die Grundversorgung (die jährlich 350 bis 400 Mio. Franken kostet) ist von der Post eigenwirtschaftlich zu erbringen, wobei sie aktuell noch ca. 20% der Kosten über das Restmonopol decken kann. Der Rest wird über Leistungen ausserhalb des Restmonopols finanziert. Diese Regelung erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck einer kostenlosen Grundversorgung, was sich nicht zuletzt an den unzähligen politischen Vorstössen zeigt, die regelmässig einen Ausbau des Service public im Postsektor fordern. Mit der Abschaffung des Restmonopols würde nicht nur der Postmarkt in der Schweiz vollständig liberalisiert, sondern der postalischen Grundversorgung ein «Preisschild» angeheftet.
Weiterführende Informationen finden Sie in der Studie «Postalische Grundversorgung im digitalen Zeitalter».