Salomè Vogt, Sie gelten als Expertin für Altersvorsorge – ungewöhnlich für eine so junge Frau wie Sie.
Das war nicht immer so. Wie alle anderen habe ich mich während meines Studiums in Politikwissenschaften mässig bis gar nicht für das Thema Altersvorsorge interessiert – zu abstrakt die Materie, zu weit weg die eigene Pensionierung, zu komplex die Finanzierung von AHV und Pensionskasse.
Wie kam es dann dazu, dass Sie sich doch für das Thema begeistern konnten?
Als ich nach meinem Studium bei Avenir Suisse zu arbeiten begann, stand gerade die Abstimmung über die Reform zur Altersvorsorge an. Ich musste mich also in die Thematik einarbeiten und merkte schnell: Das ist spannend, aber unser Vorsorgesystem rast ungebremst auf einen Abgrund zu. Wir haben damals viel Wissen aufbereitet, die Reform wurde bekanntlich abgelehnt. Normalerweise hätte man das Material auf die Seite legen und abwarten können, bis Bundesrat und Parlament neue Reformvorschläge ausgearbeitet haben. Doch das war uns zu wenig.
Das damalige Infomaterial wurde weiter verwertet. Wie?
Im Laufe des Abstimmungskampfes haben wir gemerkt, dass vor allem junge Menschen kaum Ahnung von der Vorsorge und dem Vorsorgesystem haben. Also haben wir uns entschlossen, das Material für junge Menschen, die noch in der Ausbildung sind, aufzubereiten. So entstand eine Publikation mit den wichtigsten Mechanismen unseres Vorsorgesystems.
Aber mal ehrlich: Kein Jugendlicher liest freiwillig ein Buch über die Altersvorsorge.
Genau, das ist auch nicht unsere Erwartung. Wir haben das Buch bewusst als Lehrmittel gestaltet, damit es im Unterricht eingesetzt werden kann. Denn die Altersvorsorge ist auch im Lehrplan kaum verankert.
Erreichen Sie die Jungen damit besser?
Wir müssen vor allem die Lehrerinnen und Lehrer erreichen, sie müssen sich für die Vorsorge interessieren. Wenn die Lehrpersonen das Thema aufgreifen und in ihren Unterricht bringen – vielleicht auch in Zusammenarbeit mit uns – können wir die Jugendlichen erreichen. Die Lehrpersonen haben für uns eine Schlüsselposition.
Wie sind die Erfahrungen?
Fast durchgehend positiv. Wir durften mittlerweile schon viele Bücher abgeben und haben einige Schulklassen besucht. Wenn man den Unterricht an die Jugendlichen anpasst und vielleicht mal ein Handy-Quiz einbaut, wächst das Interesse sofort.
Die Forderungen von Avenir Jeunesse sind teilweise systemverändernd. Was hat Sie dazu geführt?
Unser BVG ist von einem Weltbild der 1970er und 80er Jahre geprägt. Der Mann arbeitet Vollzeit auf seiner Lebensstelle. Heute teilen sich junge Familien die Erwerbsarbeit, Menschen haben mehrere Jobs, sind angestellt und selbständig, nehmen Auszeiten. Das Vorsorgesystem ist nicht darauf eingestellt.
Ist das nicht das Problem der Erwerbstätigen?
Nein, auf keinen Fall. Gesetze sollen sich den sozialen Veränderungen anpassen, nicht umgekehrt. Berufskarrieren sehen heute ganz anders aus als vor vierzig Jahren. Die Altersvorsorge muss das berücksichtigen.
Ihre Ideen wirken – im Vergleich zu anderen Vorschlägen der letzten Jahre – radikal und sie werden teils stark abgelehnt. Wie geht Ihr damit um?
Wir sind ein Think-Tank und sehen unsere Rolle als Vordenker auch so. Unsere Aufgabe ist es nicht, mehrheitsfähige Kompromisse vorzulegen, sondern fundiert darzulegen, wohin die Reise geht und was möglich ist. Wir sind uns bewusst, dass in einer direkten Demokratie keine radikalen Umbrüche stattfinden. Insofern freuen wir uns, wenn wir etwas zur Veränderung beitragen können.
Dieses Interview von Urban Henzirohs ist am 4. Juni 2019 auf der Website der Axa erschienen. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Publikation «Heute, nicht morgen! Ideen für eine fortschrittliche Altersvorsorge» von Avenir Jeunesse