«Seit 2003 sind über 70 Zeitungen verschwunden. Das schwächt die Berichterstattung über das Geschehen vor Ort.» So steht es im ersten Abschnitt des bundesrätlichen Argumentariums im «Abstimmungsbüchlein» zum neuen Mediengesetz. Wer mehr über die 70 Titel wissen will, findet dazu eine Liste auf der Website der Behörden. Diese Liste des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) hat es in sich. Sie verrät viel darüber, wie die Medienpolitik in Bundesbern derzeit gehandhabt wird.

So wurden bei der Erstellung der Liste nur die Abgänge berücksichtigt, nicht aber die Zugänge. Ein mehr als fragwürdiger Ansatz: Gleichsam, als würde man auf Basis der blossen Existenz von Firmenschliessungen auf eine Wirtschaftskrise schliessen, ungeachtet der Anzahl Neugründungen. Auf der Uvek-Aufzählung ist beispielsweise der «Blick am Abend» zu finden. Dieses Medienprojekt gab es vor 2003 noch gar nicht. Die Gratiszeitung wurde von Ringier erst 2008 aus der Taufe gehoben, 2018 wurde es wieder eingestellt. Auf der Liste wird selbst das Vorgängerprojekt «Heute» aufgezählt, das nach zwei Jahren zum «Blick am Abend» wurde.

Auf dem Zukunftsauge blind

Dieser Umgang mit Daten ist an sich schon problematisch. Für die Medienpolitik noch folgenschwerer ist jedoch, dass die Liste des Uvek ein irritierendes Verständnis des Strukturwandels offenbart. So werden explizit Titel aufgeführt, die erfolgreich als Online-Angebot weiterbestehen. «Cash» ist zum Beispiel mittlerweile ein Online-Medium, auf der Uvek-Liste finden sich derweil wiederum zwei Einträge: Das frühere Magazin «Cash» und dessen Nachfolger «Cash Daily».

Überhaupt sind seit 2003 viele neue Medientitel auf den Markt gekommen. Das ist wenig überraschend, denn die Digitalisierung wirkt im Mediensektor nicht nur als negative Kraft, sondern ermöglicht auch innovative Geschäftsmodelle. In der Folge sind Online-Medien wie etwa «Watson», «Republik», «Heidi.news» oder «The Market» entstanden, die ihre journalistischen Angebote auf unterschiedliche Weise finanzieren. Wer diese Seite des Strukturwandels in den Hintergrund rückt, muss zwangsläufig falsche Schlüsse ziehen – und genau das ist auch passiert.

Gute Medienpolitik ist zielgerichtet, transparent, kohärent sowie technologie- und wettbewerbsneutral. (Jacob Hodgson, Unsplash)

Während US-Tech-Firmen bereits auf virtuelle Welten wie das Metaverse setzen, sieht der Bundesrat in der morgendlichen Zustellung von bedrucktem Papier weiterhin einen zentralen Pfeiler seiner Medienpolitik. Das ist absurd. Offensichtlich wird das beim Blick auf andere Wirtschaftssektoren wie etwa der Finanz- oder Musikbranche. Genauso wie dort ein Fokus auf den Bankschalter oder die CD fehl am Platz wäre, steht eine Medienpolitik quer in der Landschaft, die weiterhin auf mit der Post verteilte Zeitungen setzt.

Intransparente und umfangreiche Förderung

Bereits heute wird die Postzustellung von Medienprodukten in der Schweiz jährlich mit rund 140 Mio. Fr. subventioniert. Die hohe Zahl mag manchen überraschen. Das liegt daran, dass auch hier der Bund nicht mit einer sachgerechten und transparenten Information brilliert. So wird meist die Kostenunterdeckung der zu 100% in Bundesbesitz stehenden Post nicht thematisiert, und nur der Bundesbeitrag für die ermässigte Zustellung von 50 Mio. Fr. ausgewiesen; diese Zustell-Ermässigung soll mit dem neuen Massnahmenpaket weiter ausgebaut werden.

Generell verbergen sich in diversen Behördendokumenten Millionen von Franken an Medienförderungen, die kaum je Beachtung finden. Medienfirmen profitieren etwa von einem vergünstigten MWST-Satz, und auch Kantone und Gemeinden subventionieren die Branche. Die Auslegeordnung des Bundes mit 136 Mio. Fr. gibt keineswegs ein ganzheitliches Bild der Medienförderung in der Schweiz wieder.

Wie Avenir Suisse gezeigt hat, dürfte im Jahr 2020 die Medienbranche ausserhalb der SRG mit insgesamt knapp 440 Mio. Fr. unterstützt worden sein, inklusive 48 Mio. Fr. medienspezifischen Covid-19-Hilfen. Wird das Massnahmenpaket für die Medien angenommen, dürfte selbst ohne Fortführung der pandemiebedingten Mediensubventionen künftig ein Betrag von über einer halben Milliarde Franken pro Jahr zusammenkommen – zusätzlich zu den rund 1,2 Mrd. Fr. für die SRG.

Ein Umdenken tut Not

Den Medien kommt eine wichtige Funktion in der Gesellschaft zu, und sie stecken in einem Strukturwandel. Diese beiden Tatsachen sind unbestritten, treffen aber auf diverse Wirtschaftssektoren zu. Sie alleine legitimieren noch keine umfassende Subventionierung. Vielmehr braucht es eine Situationsanalyse, die nicht durch Partikularinteressen verzerrt ist und aufzeigt, wo tatsächlich ein Problem bei der Versorgung der Bevölkerung mit journalistischen Inhalten besteht. Darauf aufbauend gilt es dann, eine Medienpolitik zu formulieren, die zielgerichtet, transparent, kohärent sowie technologie- und wettbewerbsneutral gestaltet ist.

Weder die bestehende Medienpolitik noch das neue Massnahmenpaket erfüllen diese Kriterien. Beispielsweise ist die geplante Online-Förderung mit dem Fokus auf ein nutzerfinanziertes Geschäftsmodell nicht wettbewerbsneutral – andere Medienformen mit einer Werbefinanzierung werden diskriminiert. Die Förderung der Postzustellung ist offensichtlich nicht technologieneutral. Und von Zielorientierung, Kohärenz und Transparenz kann bei einer Subventionierung über alle Staatsebenen hinweg und via verschiedenste Kanäle nicht die Rede sein.

Vor diesem Hintergrund ist klar: Die Schweizer Medienpolitik muss grundsätzlich überarbeitet werden. Schnellschüsse sind fehl am Platz, gerade weil die Medien eine zentrale Rolle in unserer Demokratie einnehmen. Zu dieser Debatte will auch Avenir Suisse einen vertiefenden Beitrag leisten und wird noch dieses Jahr eine Studie zu einer zukunftstauglichen Medienpolitik publizieren.