Nichtübertragbare Krankheiten sind auch in der Schweiz die Ursache von mehr als zwei Dritteln der Todesfälle. Eine ungesunde Ernährung erhöht das Risiko erheblich, solche Krankheiten zu entwickeln. Wie kann man diese Gefahr gezielt senken, ohne dabei in Hyperaktivismus zu verfallen (vgl. Teil 1 dieser Serie)?
Unternehmerischer Ansatz
Auffallend ist, wie sehr die Rolle des Privatsektors bei der Prävention nichtübertragbarer Krankheiten unterschätzt wird. Das ist eine verpasste Opportunität, denn ein rein medizinischer Ansatz zur Prävention umfasst längst nicht alle sich bietenden Möglichkeiten. Für eine wirksame Vorbeugung müssen auch die Konsumentscheide der Bevölkerung berücksichtigt werden.
Gerade hier kommt der Privatsektor ins Spiel. Dessen grosser Vorteil gegenüber dem Staat besteht darin, dass er die Präferenzen der Konsumenten kennt. Die engen Beziehungen zwischen den Unternehmen und ihren Kunden sind ein wichtiger Hebel, um die öffentliche Gesundheit positiv zu beeinflussen. Die Unternehmen wissen aus erster Hand, welche neuen Produkte erfolgreich sind und welche Rezepturen verändert werden können, ohne an Attraktivität zu verlieren. Die Produzenten können sich also darauf konzentrieren, ihre Anstrengungen pro investiertem Forschungs- und Entwicklungsfranken zu optimieren.
Im Rahmen der Erklärung von Mailand – einer selbstverpflichten Branchenvereinbarung – wurden die gesetzten Ziele, den Zuckergehalt in Joghurts und Frühstückscerealien schrittweise herabzusetzen, erfüllt oder sogar übertroffen: Im Vergleich zu 2016 sank der Zuckerzusatz in Joghurts um 3,5% und in Cerealien um 13%.
Neue Rezepte
Um gesündere Produkte anzubieten, können Hersteller die Rezepturen bestehender Produkte ändern und deren Gehalt an risikobehafteten Zutaten wie Zucker, Salz oder Fett herabsetzen. Ähnlich können Fast-Food-Ketten die Salzmenge in ihren Produkten, insbesondere in Pommes frites, anpassen.
Selbstverständlich wäre der sofortige Vertrieb eines Produktes mit einem stark reduzierten Gehalt an ungesunden Inhaltsstoffen, zum Beispiel mit 50% weniger Salz als im Original, wünschenswert. Wenn diese schlagartige Änderung jedoch den Geschmack oder die Textur zu stark verändert, werden die Konsumenten das Produkt meiden, so dass die Massnahme verpufft. Deshalb ist eine schrittweise Verringerung der Risikofaktoren, die sich auf die Aufrechterhaltung des originären Geschmacks konzentriert, unerlässlich, um die Erwartungen der Konsumenten und deren Loyalität zu einem Produkt aufrechtzuerhalten.
Neue Produkte
Die Anpassung bestehender Rezepturen ist nicht immer möglich oder wünschenswert. Einige Unternehmen zögern, die «Originalrezepte» ihrer traditionellen Produkte anzutasten, die sie erfolgreich gemacht haben. Die Entwicklung neuer, gesunder Alternativen ist in solchen Fällen prüfenswert, um sowohl bestehende Kunden zu halten als auch neue zu gewinnen. Eine solche Erfolgsgeschichte sind beispielsweise alkoholfreie Biere: Deren Konsum hat sich in der Schweiz innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt, und der Anteil am Gesamtbiermarkt ist zwischen 2010 und 2020 von 2,3% auf 4,4% gestiegen. Auch andere Produkte wie E-Zigaretten oder Fleischersatz aus pflanzlichen Rohstoffen werden ständig weiterentwickelt, um der Nachfrage nach alternativen, weniger gesundheitsschädlichen Produkten gerecht zu werden.
Auch wenn neue Lebensmitteltechnologien ungeahnte Möglichkeiten für in der Entwicklung bieten, wird der Handlungsspielraum der Industrie immer von der Nachfrage und der Bereitschaft der Konsumenten für Neues abhängen. Obwohl «Gesundheit» für manche ein starkes Kaufargument ist, bleibt der Geschmack für viele der entscheidende Faktor. Letzterer entscheidet über den Erfolg oder Misserfolg von Produkten in neuer Zusammensetzung.
Angemessene Portionen
Der Anpassung bestehender Rezepte und der Entwicklung neuer Produkte sind allerdings auch Grenzen gesetzt. Manche Produkte benötigen schlichtweg ein Minimum an «ungesunden» Zutaten. Schokolade wird immer Zucker (oder Zuckerersatz) enthalten, und Mayonnaise braucht einen Anteil Öl. In solchen Fällen kann eine Reduktion der Menge – mit kleineren Portionen – helfen. Wenn Konsumenten eine Portion Pommes frites oder eine PET-Flasche Süssgetränk bestellen, haben sie meistens keine fixe Grösse im Kopf. Wird die Portionsgrösse angepasst, sinkt die konsumierte Menge, ohne dass sich die Kunden dafür anstrengen müssen.
Die Wirksamkeit der Portionskontrolle wurde in zahlreichen Studien belegt, vor allem in den USA. Demnach gilt sie als das effektivste Instrument zur Reduzierung von Risikofaktoren, die vom Konsumverhalten abhängen, und ist als wichtiger einzustufen als die Umformulierung von Rezepten.
Labels animieren die Unternehmen zum Handeln
Ein einfaches und transparentes Kennzeichnungssystem wie Nutriscore könnte den Konsumenten helfen, eine aufgeklärte Produktwahl zu treffen. Ein solches System ist besonders nützlich beim Vergleich ähnlicher Produkte. Wer nämlich eine Pizza essen will, wird kaum aufgrund irgendwelcher Labels einen Linsensalat vorziehen. Vergleicht der Konsument hingegen ähnliche Produkte wie Pizza, Joghurts oder Müsli, hat er solchen einfachen Labels die Möglichkeit, das gesündere zu wählen.
Vor allem regen Labels die Unternehmen dazu an, ihre Produkte neu abzustimmen und sie aus ernährungswissenschaftlicher Sicht attraktiver zu gestalten. Die Vermarktung eines Produkts in der «gelben» oder «roten» Kategorie ist weniger attraktiv als eine Produktpalette im «grünen Bereich». Transparenz ist ein guter Weg, um Prozesse zur Neuformulierung von Rezepten oder zur Schaffung neuer Produkte anzustossen.
Marktwirtschaftliche Strategien bei der Prävention schalten schliesslich auch die unvermeidlichen Hindernisse und Reibungsverluste bürokratischer Prozesse aus, die mit staatlichen Massnahmen verbunden sind. Dieser Aspekt wird im Mittelpunkt des dritten Teils dieser Serie stehen.
Mehr über den Konsum von «ungesunden» Produkten in der Schweiz, die Inkohärenzen des Staates im Gesundheitswesen, aber auch darüber, wie sich der Privatsektor engagieren kann, um den Konsum dieser Produkte einzuschränken, erfahren Sie in unserer neuen Publikation «Privat vor Staat, auch in der Prävention – Unternehmerische Ansätze sind besser als widersprüchliche Staatseingriffe».