Die wirtschaftliche Bedeutung des Rohstoffsektors rund um den Genfersee ist beachtlich. Sieben der zehn umsatzstärksten Unternehmen stammen aus dieser Branche oder haben einen starken Bezug dazu. Fünf davon – darunter Vitol, Trafigura und Cargill – haben ihren Sitz in Genf, und eines – Nestlé – in Vevey. Beinahe zwei Drittel aller Rohstofffirmen in der Schweiz befinden sich in den Kantonen Genf und Waadt. Der Rohstoff-Cluster besteht nicht nur aus Handelsfirmen, sondern auch aus funktionell verwandten Bereichen wie Banken, Versicherungen, Reedereien oder Warenprüfkonzernen. In Genf generiert der Cluster gemäss Schätzungen Tausende Arbeitsplätze (die genaue Anzahl ist schwierig abzuschätzen und hängt massgeblich von der verwendeten Definition des Rohstoffsektors ab. Schweizweit variiert die Zahl je nach Quelle zwischen 7600 und 36’100.) – darunter eine Vielzahl für hochqualifizierte Beschäftigte – und laut kantonaler Verwaltung 20% des Steueraufkommens der juristischen Personen. Die Genfersee-Region ist weltweit führend im physischen Rohstoffhandel (vgl. Abbildung), in der Handelsfinanzierung sowie in der Warenprüfung. 22% der weltweiten Rohstofftransporte laufen über die Region.
Der Aufstieg an die internationale Spitze
Der Rohstoff-Cluster rund um den Genfersee hat eine lange Tradition. Bereits in den 1920er Jahren haben die in der Region angesiedelten Firmen der verarbeitenden Industrie wie Nestlé, Cohen (Nüsse) oder Schilter (Kaffee) Handelsfirmen angelockt, die von der Nähe zu ihren grössten Kunden profitieren wollten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Bedeutung der Region als neutraler Boden zwischen den Blöcken des kalten Krieges nochmals zugenommen. In dieser Zeit hat sich die Warenprüfungsfirma SGS in Genf niedergelassen und von neutralem Boden aus die Abwicklung des Marshall-Plans überwacht.
Genf erwies sich ausserdem aus westlicher Sicht als idealer Standort, um die Handelsbeziehungen mit den Ostblockstaaten aufzubauen und zu pflegen. Immer mehr US-Firmen begannen damals, ihre Niederlassungen in der Region zu etablieren. Nicht nur die Neutralität, sondern auch die freie Handelbarkeit des Schweizer Frankens, die intakte Infrastruktur, die Lage zwischen der amerikanischen und der asiatischen Zeitzone sowie die Nähe zu den wichtigen Häfen zeichneten die Region aus.
Natürlich ist diese Clusterbildung nicht alleine Ausfluss der grossen Kriege und Krisen des letzten Jahrhunderts, sondern hängt auch mit der attraktiven Fiskalpolitik, der hohen Lebensqualität, der internationalen Vernetzung, die mit der Anbindung an den Flughafen begünstigt wird, sowie dem Zugang zu spezialisierten Fachkräften und eigenen Ausbildungsprogrammen zusammen. So gibt es an der Universität Genf einen Masterstudiengang im Bereich Rohstoffhandel. Auch die politische Stabilität und die hohe Rechtssicherheit sind als Standortmerkmale nicht zu unterschätzen.
Der starke Finanzplatz in Genf hat sich in der Folge zu einem Kompetenzzentrum für die Handelsfinanzierung entwickelt. Der Aufstieg der Region wurde wohl auch durch das Schweizer Rechtssystem begünstigt, das sehr gläubigerfreundlich ausgestaltet ist. Bei der Kreditvergabe an einen Rohstoffhändler wird die Schiffladung als Sicherheit hinterlegt, wodurch das Risiko für die Bank gering bleibt.
Unsicherheiten durch Volksinitiativen und Standortwettbewerb
Der künftige Erfolg des Rohstoffclusters hängt davon ab, wie er sich im Wettbewerb von Standorten wie London, Houston, New York sowie Singapur und Dubai abheben kann. Um weiterhin bestehen zu können, sind die politische Stabilität, die Rechtssicherheit sowie eine attraktive Fiskalpolitik wichtig. Auf Bundesebene wird dies derzeit durch verschiedene Entwicklungen unter Druck gesetzt.
Bei einer Annahme der Unternehmensverantwortungs-Initiative würden zum Beispiel international tätige Firmen rechtlich in die Pflicht genommen, Menschenrechte und Umweltstandards auch im Ausland bei ihren Zulieferern einzuhalten und mittels Sorgfaltspflichtprüfungen zu garantieren. Daraus könnten zusätzliche Kosten und vor allem Rechtsunsicherheit resultieren. Mit dem Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung sollen Steuerprivilegien für internationale Unternehmen abgeschafft und das Steuerregime an internationale Standards angepasst werden.
Für den Rohstoffsektor entscheidend ist, wie die Vorlage bei einer Annahme auf Kantonsebene umgesetzt wird und wie die vom Bund zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel eingesetzt werden (zum Beispiel um die kantonale Gewinnsteuer zu senken).
Konkurrenz schläft nicht
Im internationalen Vergleich ist auch London derzeit in einer schwierigen Lage, was Standorten wie Singapur und Dubai Aufwind verschafft. Letztere konnten sich in den vergangenen Jahren dank ihrer prosperierenden Wirtschaftsentwicklung, einer wachsenden Finanzbranche und dem Bemühen um günstige Rahmenbedingungen einen grösseren Marktanteil sichern.
Effizienz und Transparenz als Schlüsselelemente der Zukunft
Eine Möglichkeit für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in der Genferseeregion ist der Einsatz von Blockchain-Lösungen. Aufgrund der Vielzahl involvierter Parteien und der immanenten Gefahr von Fälschungen oder Betrug ist der Rohstoffhandel ein prädestinierter Anwendungsfall. Zudem beruhen Handelsfinanzierungen oft auf papierbasierter Dokumentation, was zu zeitaufwändigen und ineffizienten Prozessen führt. Kosten und Fehlermargen könnten so reduziert werden.
Eine erhöhte Transparenz über die Herkunft der Waren und die Einhaltung von Standards könnte zudem positiv zum Image der Branche beitragen. Dies ist wichtig, damit die Anliegen der Branche langfristig auch von der Bevölkerung mitgetragen werden. Das frühzeitige Einlenken auf eine solche Strategie würde der Schweiz nicht nur eine Pionierstellung einräumen, sondern durch die Ansiedlung entsprechender Blockchain-Firmen auch den Rohstoffcluster indirekt stärken.
Gute Startposition für die Schweiz
Die Schweiz verfügt mit ihrem Blockchain-Cluster bereits über viel Wissen und Ressourcen, um das Synergiepotenzial im Rohstoffsektor auszuschöpfen. Das Krypto-Valley beschränkt sich schon längst nicht mehr auf den Kanton Zug, sondern hat sich schweizweit ausgedehnt. Damit sich Projekte möglichst ungehindert entwickeln können, müssen auf Bundesebene entsprechende Rahmenbedingungen bereitgestellt werden. Es geht darum, genügend Rechtssicherheit für den Einsatz der Technologie zu schaffen, und gleichzeitig die Regulierung schlank zu halten. Auch die Kantone sind gefordert. Neben guten regulatorischen und steuerlichen Rahmenbedingungen, sollten sie auch über unterstützende und proaktive Behörden verfügen.
Damit Blockchain-Lösungen wirklich zum Tragen kommen, braucht es Anstrengungen von allen Beteiligten: Sowohl die Technologieunternehmen, die Schweizer Rohstoffbranche und ihre Gegenparteien als auch der Staat als Regulator sind gefordert.
Dieser Beitrag wurde erstmals in der Publikation «Einzigartige Dynamik des Arc lémanique» publiziert.