Beim Versuch, den Teufelskreis aus makroökonomischer Krise, Bankenkrise und Staatsschuldenkrise in den Industrieländern zu durchbrechen, nähern sich Geld- und Finanzpolitik einander immer mehr an. Dies, obwohl die Gesetze der meisten Ländern eigentlich eine klare Aufgabenteilung vorschreiben. So gibt z.B. der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Art. 126 und Art. 127 eine strikte Arbeitsteilung vor. Danach ist die Europäische Zentralbank (EZB) für die Geldpolitik zuständig und die Mitgliedstaaten für die Finanzpolitik.

Eindrückliches Sündenregister

Unterdessen aber hat die Geldpolitik hat nicht mehr nur das «Schreckgespenst der Inflation» zum Gegner – so Prof. Albrecht Ritschel von der London School of Economics – , sondern auch noch den möglichen Kollaps des Finanzsystems. Dieser ist zur Zeit wohl der bedrohlichere. Je stärker jedoch die Geldpolitik den Zusammenbruch des Finanzsystems durch «unkonventionelle Massnahmen» zu verhindern versucht, umso näher rückt sie der Finanzpolitik. In ihr suchen viele den geeigneten fiskalischen und konjunkturellen Problemlöser. Geld- und Fiskalpolitik geraten damit immer mehr in eine Grauzone, in der die Grenzen unscharf und fliessend werden. Die jüngsten Massnahmen der EZB, des FED und der japanischen Notenbank sind hierfür ein beredtes Beispiel:

  • Am 6. September 2012 veröffentlichte die EZB die Modalitäten für die Durchführung von geldpolitischen Outright-Geschäften («OMT») an den Sekundärmärkten für  Staatsanleihen der Eurozone, um diese vor dem Zerfall zu retten. Die EZB wird damit gleichsam zur Garantin der Währungsunion.
  • Nur eine Woche später erklärte der Chef der amerikanischen Notenbank Ben Bernanke, die FED werde solange an der expansiven Geldpolitik festhalten, bis die Arbeitslosigkeit spürbar zurück gegangen sei.
  • Die japanische Notenbank hat ebenfalls angekündigt, die laufenden Wertpapierkäufe angesichts der Stagnation im eigenen Land bis Ende 2013 zu verlängern und um den Gegenwert von rund 100 Mrd. € auszuweiten.
  • Die englische Notenbank hält als Folge ihrer unkonventionellen Geldpolitik mittlerweile gegen 30% der Staatsschuldtitel.

Es stimmt, dass die Notenbanken im Rahmen ihrer Offenmarktpolitik bzw. Repogeschäfte schon immer Geldpolitik mit dem Handel von Staatsanleihen  betrieben haben. Die EZB weist in der Begründung ihrer geldpolitischen Outright-Geschäfte darauf hin, dass diese im Einklang mit dem  AEUV stünden. Staatsanleihen würden nur am Sekundärmarkt und in einem Ausmass erworben, die zur Behebung von Funktionsstörungen im monetären Transmissionsmechanismus notwendig seien. Das Verbot der monetären Finanzierung von Staaten würde damit nicht umgangen.

Der Übergang von geldpolitischen Massnahmen zur monetären Staatsfinanzierung ist in der geldpolitischen Praxis allerdings viel weniger scharf definiert als in den Gesetzen. Je umfangreicher die Staatsanleihenkäufe, desto grösser die Gefahr des Abgleitens in die monetäre Staatsfinanzierung. Die Geldpolitik übernimmt so unweigerlich die Führungsrolle bei der Schuldenkrise, die eigentlich dem Staat zukäme.

Letztlich ist es auch unerheblich, ob die EZB am Primär- oder Sekundärmarkt Staatsanleihen kauft: In jedem Fall werden die Budgetrestriktion des betreffenden Staates gelockert.

Schwierigkeiten auch bei der Umsetzung von Basel III

Hinzu gesellt sich eine weitere Front. Nach den Umsetzungsvorschlägen der EU-Kommission zu Basel III sollen Staatsanleihen weiterhin als risikofrei gelten, d.h. sie müssen nicht mit Eigenkapital unterlegt werden. Das führt notwendigerweise zu Verzerrungen auf dem Kreditmarkt. Schwache Banken können dann ohne weiteres Staatsanleihen kaufen, die sich dann bei den nationalen Zentralbanken für die Liquiditätsschöpfung verwenden lassen. Hingegen sind sie viel weniger bereit,  Kredite an Unternehmen zu vergeben. Und die USA scheinen sich ohnehin um Basel III zu foutieren.

Das entschiedene Eingreifen der Notenbanken hat ohne Zweifel dazu beigetragen, dass ein Zusammenbruch des globalen Finanzsystems verhindert und strauchelnde Volkswirtschaften aufgefangen werden konnten. Aber die Grenzen der Geldpolitik scheinen vielenorts etwas in Vergessenheit geraten zu sein.

Eine lang anhaltende expansive Geldpolitik der grossen Länder ist mit erheblichen Nebenwirkungen für die globale Preis- und Finanzstabilität verbunden. Deshalb kann es auch für die Schweiz nicht gleichgültig sein, was geldpolitisch auf internationaler Ebene geschieht.

Bis vor kurzem war die Geldpolitik im Konzert der staatlichen Wirtschaftspolitik der solideste Pfeiler. Wenn ihre Berechenbarkeit nachlässt, verlieren auch die privaten Wirtschaftsakteure eine zentrale Orientierungsmarke. «Die zunehmende Divergenz zwischen dem, was von den Zentralbanken erwartet wird, und dem, was sie tatsächlich leisten können, untergräbt auf längere Sicht möglicherweise ihre Glaubwürdigkeit und ihre operative Unabhängigkeit» (BIZ 82. Jahresbericht 2011/12). Dies käme nach Spencer Dale, dem Chefökonomen der Bank of England, dem Verlust eines Jahrhundertwerks gleich.