Vom obersten Beamten der Eidgenossenschaft wurde unlängst festgestellt, dass die Schweiz mit dem pragmatischen Durchwursteln in der Vergangenheit durchaus gut gefahren sei. Doch die Dynamik der Veränderung, mitunter von politischen Disruptionen verursacht, stellt dieses vermeintliche «Erfolgsmodell» des Politisierens und Administrierens grundsätzlich in Frage.

Beispiel multilaterale Ordnung: Von der globalen Handelsintegration hat unser Land überproportional profitiert mit den grössten globalisierungsbedingten Pro-Kopf-Einkommenszuwächsen seit den 1990er Jahren. Garant einer verlässlichen multilateralen Wirtschaftsordnung war die WTO. Doch diese befindet sich in der Krise. Die Rekursinstanz der WTO-Streitschlichtung ist infolge der von den USA blockierten Richterernennungen nicht mehr handlungsfähig. Die Weltwirtschaft bewegt sich weg von einem regel- hin zum machtbasierten System. Der Handelsstreit zwischen den USA und China ist zurzeit zwar etwas deeskaliert, vom Tisch ist er keineswegs.

Angesichts dessen müsste die Schweiz bilaterale Abkommen forcieren, um bestehende Marktzugänge zu sichern und neue zu erschliessen. Zukünftig wird ein verstärkter Wettstreit um die besten Zugangsbedingungen zu den grössten Märkten zu beobachten sein, dem sich unser Land stellen muss. Offen bleibt, ob der Agrarsektor mit 0,6% der Schweizer Wertschöpfung zum Stolperstein für die Schweizer Wirtschaft wird. Ein neues Freihandelsabkommen mit den USA, dem zweitwichtigsten Wirtschaftspartner der Schweiz, lässt sich nur erreichen, wenn die helvetische Landwirtschaft sich von der Doktrin der Abschottung und der hohen Zolltarife verabschiedet.

«Eile mit Weile» ist keine erfolgversprechende Strategie für die Politik. (Wikimedia Commons)

Auch in der Europapolitik gerät das Schweizer Spiel von «Eile mit Weile» unter Druck. Will der zuständige Bundesrat vorwärtsmachen, schlägt ihm ein politisches und mediales Trommelfeuer entgegen. Man beglückwünscht sich zwar für den Plan B infolge Nicht-Anerkennung der Börsenäquivalenz durch die EU. Zugleich nimmt man zur Kenntnis, dass der Schweizer Börsenbetreiber SIX mit einem milliardenschweren Angebot die spanische Börse übernehmen will, um auch in der EU eine Niederlassung zu haben.

Die Unklarheit, wie das zukünftige vertragliche Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU ausgestaltet sein wird, betrifft insbesondere die Exportindustrie wie etwa die Schweizer Medtech-Branche. Sie exportiert jährlich für über 11 Mrd. Fr. und beschäftigt gegen 60’000 Personen. Ab dem 26. Mai 2020 gilt die neue EU-Verordnung über Medizinalprodukte. Solange ein institutionelles Abkommen zwischen der Schweiz und der EU nicht zustande kommt, wird die EU die bestehenden Verträge nicht aufdatieren.

Nur: Der Gesamtbundesrat will den Rahmenvertrag erst nach der Abstimmung zur Kündigungsinitiative vom 17. Mai 2020 wieder an die Hand nehmen. Statt strategische Weichen rechtzeitig zu stellen, taktiert man innenpolitisch. Damit nimmt man in Kauf, dass die Rechtsunsicherheit für Exportbranchen anhält und Investitionsentscheide nicht zugunsten des Standorts Schweiz gefällt werden.

Dieser Beitrag ist am 19. Dezember 2019 in der «Handelszeitung» erschienen.