Fahrer, welche die Plattform des Fahrdienstleisters Uber nutzen, gelten als Angestellte und nicht als Selbständige. Das Bundesgericht hat einen entsprechenden Entscheid des Genfer Kantonsgerichts kürzlich bestätigt. Höchst erfreut über das Urteil zeigten sich neben den kantonalen Behörden insbesondere die Gewerkschaften. Dass damit aber Hunderte Arbeitnehmer zumindest vorübergehend daran gehindert wurden, ihrer Arbeit nachzugehen, scheint kaum ins Gewicht zu fallen. Als Folge des Entscheids wird Uber seine Fahrer in Genf künftig indirekt über Transportunternehmen anstellen. Ist das Problem damit gelöst? Nur vordergründig. Aussen vor bleiben Arbeitnehmer, die flexible Arbeitszeiten schätzen.
Die Frage nach der (Un-) Selbständigkeit von Uber-Fahrern ist zunächst eine rechtliche. Sie ist deshalb relevant, weil die Art der Tätigkeit die Absicherung durch die Sozialversicherungen und die arbeitsrechtlichen Vorgaben bestimmt. Die Transformation der Arbeitswelt durch den digitalen Wandel verlangt jedoch auch nach einer ökonomischen Perspektive und offenbart politischen Handlungsbedarf. Digitale Plattformen dürften etablierte Anbieter zukünftig weiter herausfordern und neue Stellen schaffen, die sich zwischen Selbständigkeit und Angestelltenverhältnis bewegen. Das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht muss mit dieser Entwicklung Schritt halten. Ansonsten läuft es Gefahr, bei einer zunehmenden Bedeutung alternativer Beschäftigungsformen als Innovationshemmer zu agieren.
Nutzen und Chancen flexibler Beschäftigungsverhältnisse
Man kann die Arbeit auf digitalen Plattformen wie Uber dogmatisch als prekäre Beschäftigung bezeichnen. Es lassen sich jedoch auch die sich neu eröffnenden Chancen dieser Beschäftigungsformen hervorstreichen. Sie bieten zusätzliche Möglichkeiten und (Wieder-) Eingliederungschancen nicht zuletzt für Menschen, die auf dem traditionellen Arbeitsmarkt benachteiligt sind (z.B. infolge fehlender Sprachkenntnisse) oder die gewünschte Flexibilität nicht finden (z.B. Studierende oder Eltern). Insofern entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet diejenigen Kreise, die sich eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf die Fahne geschrieben haben, flexible Arbeitsformen bekämpfen. Plattformarbeit wird sich oft kaum als Sprungbrett für eine erfolgreiche Karriere eignen. Sie kann jedoch die finanzielle Autonomie von Menschen stärken, die sonst allenfalls von Sozialleistungen abhängig wären. Die Plattformen der «Gig Economy» bilden damit gewissermassen ein zusätzliches soziales Auffangnetz.
Studien aus den USA zeigen, dass Uber-Fahrer der zeitlichen Flexibilität einen bedeutenden Wert beimessen. Im Vergleich zu fixen Arbeitszeiten sind viele Fahrer deshalb erst bereit, Fahrdienste auszuführen und dafür einen tieferen Lohn zu akzeptieren. Davon profitieren insbesondere Frauen, Jüngere und Fahrer mit geringen Einkommen.
Auch wenn die Situation in den USA nicht eins zu eins mit der Schweiz vergleichbar ist, so besteht auch hierzulande eine Nachfrage nach flexiblen Arbeitsmodellen. Der Markt für Plattformarbeit ist allerdings noch überschaubar. 2019 haben 0,4 % der Bevölkerung Arbeit für eine Plattform ausgeführt. Dabei handelt es sich gewöhnlich um sporadisch ausgeführte Nebentätigkeiten. Weitere Evidenz zum Nutzen zeitlicher Flexibilität liefern Uber-Daten aus Genf. Im Gegensatz zum Fahrdienst hat das Unternehmen bereits 2020 begonnen, seine Genfer Kuriere beim Essenslieferdienst Uber Eats über eine Drittfirma anzustellen. Die Food-Kuriere verfügen seither über eine bessere soziale Absicherung – arbeiten aber weniger flexibel im Schichtdienst. Dies scheint dazu geführt zu haben, dass eine beachtliche Anzahl Kuriere die Arbeit für Uber Eats einstellte. Es wird interessant zu beobachten sein, ob sich beim Fahrdienst dieselbe Entwicklung vollzieht.
Der Fokus auf Uber verzerrt indes die öffentliche Wahrnehmung. Das Profil der Beschäftigten und die Qualifikationsanforderungen der unterschiedlichen digitalen Plattformen sind sehr heterogen – auch für gut ausgebildete Personen eröffnen sich neue Perspektiven.
Eine «selbständige Anstellung» als neuer Erwerbsstatus
Natürlich birgt die Plattformarbeit auch Risiken, gerade hinsichtlich sozialer Absicherung. Vorsorgelücken und eine mögliche Belastung der öffentlichen Hand sollten verhindert werden. Vergessen geht in dieser Hinsicht aber oft die ökonomisch relevante Frage nach den effektiven Beschäftigungsalternativen. Es ist weder den betroffenen Arbeitnehmern noch dem Staat geholfen, wenn erstere im Falle einer Anstellung weniger oder gar nicht mehr arbeiten. Die Problematik erinnert an die Diskussion um Mindestlöhne. Auch bei diesem staatlichen Eingriff bestehen Zielkonflikte zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Beschäftigungszielen. Die Gefahr besteht in beiden Fällen, dass man diejenigen, die man eigentlich schützen will, teilweise in die Arbeitslosigkeit treibt (bzw. eine berufliche Eingliederung verhindert).
Das Bundesgerichtsurteil wirft einmal mehr die Frage auf, ob die strenge Dichotomie des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts langfristig aufrechtzuerhalten ist. Avenir Suisse hat mit der Schaffung einer dritten Kategorie – jener des «selbständigen Angestellten» – einen möglichen Weg aufgezeigt. Dieser Status kombiniert einen pauschalen Sozialversicherungsschutz mit umfassender vertraglicher Freiheit. Im Fall Uber könnte damit auf starre Arbeitsregelungen (z.B. Festlegung Arbeitspensum) verzichtet werden. Gleichzeitig profitierten Uber-Fahrer von sozialer Absicherung, die jedoch im Vergleich zu herkömmlichen Angestellten weniger umfangreich ausfiele.
Der Bundesrat sieht in einem letztjährigen Bericht hinsichtlich Plattformarbeit jedoch keinen Handlungsbedarf und lobt die Flexibilität des geltenden Rechts. Ob diese aber wirklich ausreicht, um neu aufkommende Arbeitsformen nicht abzuwürgen, wird sich zeigen. Das Urteil des Bundesgerichts lässt erahnen, wie ähnliche Fälle in Zukunft beurteilt werden dürften. Es ist zu erwarten, dass die Lausanner Richter mit ihrem Entscheid nicht nur die Plattform-Unternehmen, sondern auch die Politik weiter auf Trab halten.
Der Wandel der Arbeitswelt legt auch in anderen Bereichen offen, wie das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinkt. So verlangen Homeoffice, verstärkte Teilzeitarbeit und Mehrfachbeschäftigungen eine Modernisierung der Arbeitszeitregeln und Änderungen in der beruflichen Vorsorge. Die Mühlen der Politik mahlen allerdings auch hier unverständlich langsam. Die Schweiz täte gut daran, die chronischen Reformblockaden zu beheben und gesellschaftliche Veränderungen nicht primär als Risiko, sondern als Chance zu betrachten.