Die Rolle des Staates wird in der Romandie bis zu einem gewissen Grad anders aufgefasst als in der Deutschschweiz. Dies zeigt sich nicht nur regelmässig bei eidgenössischen Abstimmungen am «Röstigraben», sondern auch an der Steuerbelastung. Genf ist laut eidgenössischer Finanzverwaltung mit einer steuerlichen Ausschöpfungsquote von 34% (relativ zum Ressourcenpotenzial im Nationalen Finanzausgleich) der Kanton mit der höchsten Belastung. Nur knapp dahinter folgt die Waadt mit beinahe 33% (Durchschnittswerte für die Jahre 2013 – 2015). Zum Vergleich: Im Schweizer Schnitt beträgt die Ausschöpfungsquote 25%, in Schwyz – dem Kanton mit dem tiefsten Wert – gerade einmal 11%. Die Einwohner am Arc lémanique scheinen einen starken Staat zu wollen und lassen sich diesen auch etwas kosten.
Ein zentraler Grund dafür ist wohl der durchaus pragmatische Ansatz, mit dem am Genfersee Steuerpolitik betrieben wird, fernab von ideologischer Prinzipienreiterei. Bestes Beispiel dafür ist die gewichtige Rolle, die «pauschalbesteuerte» Personen spielen. Diese werden nicht anhand ihrer – oft vorwiegend im Ausland erzielten – Einkünfte besteuert, sondern auf Grundlage ihrer (Lebens-) Aufwände, etwa dem Eigenmietwert der Liegenschaft. Sowohl der Kanton Waadt als auch der Kanton Genf können sich über hohe Erträge aus dieser Form der Besteuerung freuen. Pro Kopf sind diese vier- (Waadt) bzw. fünfmal (Genf) so hoch wie im schweizerischen Durchschnitt (vgl. Abbildung).
Obwohl die Zahl der sogenannten «Pauschalierten» jüngst abgenommen hat, bleibt die Bedeutung der Pauschalbesteuerung für den Staatshaushalt hoch. Auf eine Abschaffung aus Gerechtigkeitsüberlegungen gegenüber den primär nach Einkommenshöhe besteuerten natürlichen Personen wie etwa in den Kantonen Zürich, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Schaffhausen oder Appenzell Ausserrhoden käme man am Genfersee kaum. Der fiskalische Pragmatismus zeigt sich aber auch in der Unternehmensbesteuerung. Sowohl Genf als auch die Waadt zeichnen sich zwar seit jeher durch statutarische Gewinnsteuersätze weit über dem Schweizer Durchschnitt aus, gleichzeitig setzen sie stark auf die Ansiedlung von steuerlich privilegierten Sonderstatusgesellschaften. Im Kanton Genf sind diese heute für rund 70% der Unternehmenssteuererträge verantwortlich, in der Waadt sogar für 85%.
Auf internationalen Druck hin werden diese steuerlichen Privilegien nun abgeschafft werden müssen. Die von 87,2% des Stimmvolks beschlossene Satzreduktion im Kanton Waadt per Anfang 2019 und die in Genf vom Kantonsparlament verabschiedete Reduktion zeigen einmal mehr den pragmatischen Ansatz: Die Gewinnsteuersätze liegen in Zukunft für alle Unternehmen unter dem Schweizer Durchschnitt, und man versucht, den Spielraum der geplanten Steuerreform auf Bundesebene (Staf 19) auszunutzen. Für die Prosperität des Arc lémanique ist es schliesslich entscheidend, dass die angepeilten Reformen eine Mehrheit finden bzw. Bestand haben.
Dieser Beitrag wurde erstmals in der Publikation «Einzigartige Dynamik des Arc lémanique» publiziert.