Jeder würde sich vermutlich über die Erbschaft eines fernen Verwandten freuen, es sei denn, diese Erbschaft wäre mit Schulden behaftet. In diesem Fall lässt das Schweizer Zivilgesetzbuch zu, dass man das Erbe ausschlagen kann. Anders sieht es mit Staatschulden aus: wer nicht auswandern will, muss die Schulden früherer Generationen übernehmen. 2011 betrugen die kumulierten Schulden von Bund, Kantonen und Gemeinden 26 230 Franken pro Kopf. Im Kontext des Generationenvertrages ist es jedoch angebracht, die Schulden nicht pro Kopf, sondern pro Kind auszuweisen, da letztere nicht über den Schuldenberg mitentscheiden können und diesen de facto erben. Auch gewinnt diese Bezugsgrösse besonders bei alternden Bevölkerungen an Bedeutung, weil die vererbte Schuldenlast auf immer weniger Schultern verteilt wird.

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175 000 Franken Schulden pro Kind

In der Schweiz betrug 2011 die Schuldenlast pro Jugendlichen unter 15 Jahren 175 000 Franken (ca. 225 000 Dollar). Im Vergleich mit anderen OECD-Ländern steht die Schweiz nicht mehr so vorteilhaft da. In absoluten Zahlen zählt sie zum oberen Mittelfeld der Länder mit der höchstenVerschuldung pro Kind, zusammen mit Norwegen, Kanada, Deutschland und Belgien (Vanhuysse 2013). Die meisten Schulden pro Kind hat Japan mit 794 000 Dollar, vor Italien (310 000 Dollar) und Griechenland (300 000 Dollar). Am anderen Ende des Spektrums findet man Estland mit lediglich 6500 Dollar pro Kind.

Auch innerhalb der Schweiz gestaltet sich die Schuldensituation sehr unterschiedlich (siehe Tabelle). Zu den 92 000 Franken Schulden pro Kind der Eidgenossenschaft kommen die Bruttoschulden der Kantone und ihrer Gemeinden hinzu. Sie liegen zwischen 13 000 Franken in Appenzell Innerrhoden und 226 000 Franken in Genf. Das Bruttoschuldenniveau ist für Investoren oder Kreditgeber interessant, weil es einen wichtigen Hinweis auf die resultierenden Schuldenkosten (Zinsen und Prinzipal) und die Kreditwürdigkeit gibt.

Im Kontext des Generationenvertrages sind allerdings die Nettoschulden, also die Bruttoschulden abzüglich des Vermögens, relevanter. Kinder, die ein Haus mit einer Hypothek von 800 000 Franken erben, das jedoch einen Verkehrswert von 1 Million Franken hat, sind bessergestellt als jene, die ein schuldenfreies Vermögen von 100 000 Franken erben. Ein Blick auf die Nettoschulden der Kantone pro Kind ergibt ein ganz anderes Bild. Dabei ändert sich nicht nur das Ranking der Kantone. Bruttoschulden werden plötzlich zu Nettovermögen, wie zum Beispiel in den Kantonen Zug, Graubünden und Glarus.

Konsumschulden verletzten den Generationenvertrag

Nicht alle Schulden bedeuten im gleichen Ausmass eine Verletzung des Generationenvertrags, je nachdem, ob sie Konsum- oder Investitionscharakter haben. Die Finanzierung des Konsums einer Generation durch die Aufnahme von Schulden verstösst klar gegen die Generationenfairness, wenn dieselbe Generation nicht innert kurzer Frist ihre Schulden wieder begleicht (zum Beispiel über einen Konjunkturzyklus hinweg). Zwar betonen Politiker in Krisenzeiten gerne, dass sie die Defizite in späteren Jahren kompensieren werden. Die durchschnittlichen Schuldenwachstumsraten in den EU-Ländern sprechen aber eine andere Sprache. In Frankreich und Deutschland gab es in den letzten 30 bis 40 Jahren über alle Konjunkturzyklen hinweg keine ausgeglichenen Staatshaushalte – von Überschüssen in guten Zeiten ganz zu schweigen.

In der Schweiz weisen Schulden bei manchen Sozialversicherungen Konsumcharakter auf. Zum Beispiel verzeichnete die Invalidenversicherung (IV) 2011 eine Verschuldung von 15 Milliarden Franken. Im Gegensatz zu den Leistungen der Arbeitslosenversicherungen sind IV-Renten weniger konjunkturell bedingt. Es handelt sich deshalb um eine Finanzierung der heutigen Invaliden auf Kosten späterer Generationen.

Schulden sind eher generationengerecht, wenn sie die Finanzierung von Infrastrukturen ermöglichen, von denen künftige Generationen auch profitieren werden. Der Bau einer Schule, einer Strasse oder einer Kläranlage dient nicht nur den heutigen Bürgern, sondern leistet einen Beitrag für den materiellen und immateriellen Wohlstand künftiger Kohorten. Es erscheint also legitim, dass alle, die von diesem Nutzen profitieren, sich an den Kosten beteiligen. Allerdings sollte der Investitionscharakter einer Ausgabe nicht einen Freipass für unbegrenzte Schulden liefern. Grosse Bauprojekte (man denke an Wasserspeicherwerke oder an einen zweiten Gotthard-Tunnel) haben eine Amortisationsdauer von mehreren Jahrzehnten. Neue Technologien (z. B. billiger Solarstrom aus Deutschland) oder neue Tarifstrukturen (z. B. Billig-Fluggesellschaften) können den Nutzen und die Rentabilität solcher Investitionen signifikant beeinflussen. Dann könnten sich die langfristigen Zins- und Tilgungszahlungen als schwere Beeinträchtigung des Handlungsspielraums künftiger Generationen erweisen.

Zwei Seiten der gleichen Münze

Schliesslich gilt es zu beachten, dass die Schulden des einen das Vermögen des anderen sind. Sind die Gläubiger im Inland wohnhaft, profitieren die heimischen Investoren vom Schuldendienst. Ein extremes Beispiel ist Japan. Dieses Land verwendete 2013 24% seiner öffentlichen Ausgaben für das Begleichen des Schuldendienstes. Da jedoch über 90% der japanischen Schulden im Inland gehalten werden, fliesst ein grosser Teil dieser Mittel an die eigene Bevölkerung zurück. Auch in der Schweiz ist das Vermögen eher bei älteren Personen – sei es privat oder über Pensionskassen – konzentriert, was auf den ersten Blick auf eine Besserstellung der älteren Generation hindeutet. Die tiefen Nominal- und zum Teil sogar negativen Realzinsen führen zu zu einer schleichenden Wertvernichtung der Ersparnisse. Diese sogenannte fiskalische Repression trifft  die älteren Altersgruppen stärker . Man könnte einwenden, dass die Hauptverursacher der hohen Schulden somit auch den Preis für ihr Handeln zahlen müssen. Allerdings werden Staatsschulden von einer ganzen Bevölkerung angehäuft, während nur ein Teil davon die fiskalische Repression zu spüren bekommt. Das führt zu neuen Umverteilungen.

 

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