Wohnen in der Schweiz ist eine kostspielige Sache, das scheint nachgerade eine Binsenwahrheit zu sein. Die Erfahrungen des täglichen Lebens lehren uns dies doch immer wieder, vor allem wenn wir eine neue Bleibe suchen. Die Diskussionen um Übertreibungen und die Zuwanderungsdebatte taten das Ihre, um diesen Eindruck zu verfestigen. Für viele ist die «Immobilienblase» denn auch längst eine Realität, und nicht wenige warten auf ihr Platzen, um sich dann zu günstigeren Preisen ein Haus zu kaufen. Das taten sie allerdings auch schon vor fünf Jahren, und die Rechnung ging bisher nicht auf. Ob sie in den nächsten Jahren aufgehen wird, weiss niemand mit Sicherheit.
Nur die Deutschen wohnen günstiger
Doch wer allein auf die plausibel scheinende Mehrheitsmeinung hört, liegt möglicherweise falsch. Das Hinterfragen von Allgemeinplätzen ist auch im Immobilienmarkt nützlich. Das fängt bei Frage an, was womit verglichen werden soll. Wir neigen zum Beispiel dazu, heutige Preise unbesehen mit früheren zu vergleichen und vergessen dabei die Inflation. Es ist offensichtlich, dass es wenig Sinn macht, Wohnkosten losgelöst von der Preisentwicklung anderer Güter zu beurteilen. Freilich war diese Differenzierung in letzten Jahren unnötig, weil es in der Schweiz kaum Inflation gab und niemand bestreitet, dass Wohnen in den letzten zehn Jahren fühlbar teurer wurde – seit dem Jahr 2000 um real 30% – 40%. Über einen etwas längeren Zeithorizont gesehen verleiten Vergleiche von nominalen Preisen allerdings zu Fehlschlüssen. So lässt sich zeigen, dass die mittleren Preise und Mieten teuerungsbereinigt heute noch immer tiefer liegen als um das Jahr 1990.
Bedenkt man dann noch, dass die Löhne seit damals deutlich gestiegen sind, relativiert sich die These hoher Wohnkosten weiter. Wir können uns heute wesentlich mehr Wohnraum leisten als vor 25 Jahren und tun dies auch. Die Nachfrage nach Wohnraum dehnt sich – dies zeigen ökonomische Studien unisono – praktisch im Gleichschritt mit den Einkommen aus.
Wie immer ist auch der Blick über die Grenze ist doppelt hilfreich. Die Zeitschrift «The Economist» bietet auf ihrer Website ein Tool, mit dem die Preise für Wohnimmobilien international in verschiedenen Dimensionen verglichen werden können. Dabei werden ausschliesslich offizielle Daten verwendet. Neben der reinen Preisentwicklung stehen auch der Preisverlauf im Verhältnis zu den Einkommen und das Verhältnis von Preisen zu Mieten seit 1975 zu Verfügung. Unsere Grafik, die sich auf diese Zahlen stützt, veranschaulicht die Entwicklung der Preise für Wohnobjekte gemessen an der Entwicklung der Einkommen in der Schweiz im Vergleich zu ihren Nachbarländern und zu Grossbritannien für die Jahre 2000 – 2013. Der Wert 100 beschreibt dabei für alle Länder das mittlere Niveau dieser Masszahl seit 1975.
Zunächst bestätigt die Grafik das oben Gesagte für die Schweiz: Die Wohnkosten sind seit 2000 gestiegen, und dies schneller als die Einkommen. Das Verhältnis Preise zu Einkommen lag am Anfang der Periode noch mehr 20% unter dem langjährigen Mittel, hat sich diesem aber sukzessive angenähert. Seit 2008 ist ein beschleunigter Auftrieb zu erkennen. Insgesamt kann aber nicht von einer ausserordentlichen Lage gesprochen werden.
Unerwartet fällt hingegen der internationale Vergleich aus. Langfristig gesehen wohnen heute nur die Deutschen günstiger als die Schweizer. Die anderen Nachbarländer liegen über die Schwelle von 100. Die einzelnen Entwicklungen verliefen aber sehr unterschiedlich. Österreich erlebte seit 2008 einen noch stärkeren Anstieg als die Schweiz. Auch die Italiener wohnen vergleichsweise teuer. Allerdings stagnierte der Indikator seit 2007 und sinkt – als Folge der ungünstigen Wirtschaftslage – seit 2012.
Schwierige Situation in Frankreich
Belastend sind die Verhältnisse in Frankreich. Nach einem dramatischen Anstieg um mehr als 50% haben sich die Hauspreise gemessen an den Einkommen noch nicht entspannt und liegen noch immer 30% über dem Langfristwert. Ökonomen erklären dies mit «Vorsichtssparen» angesichts jahrelanger Stagnation der Wirtschaft. In der Schweiz sollten wir die Hauspreise und Wohnkosten also vielleicht etwas entspannter sehen.
Dieser Artikel erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 21. März 2014.
Mit freundlicher Genehmigung der «Neuen Zürcher Zeitung».