Auf den ersten Blick scheint die Forderung naheliegend: Unternehmen, die als Folge einer Krise «zufällig» hohe Gewinne erzielen, sollen mit einer Sondersteuer belegt werden. Ein Teil der «übermässig» eingenommenen Gewinne könnte dadurch wieder an die Gesellschaft zurückfliessen. Die Idee einer befristeten «Krisensteuer» wurde zuletzt während der Coronakrise aufgeworfen und infolge des Ukraine-Kriegs als «Kriegsgewinnsteuer» neu lanciert.

Während der Pandemie gerieten profitable Tech- und Pharma-Unternehmen ins Visier der Politik. Wer von der Coronakrise profitiert(e), hätte durch eine Sondersteuer die staatlichen Corona-Stützungsmassnahmen mitfinanzieren sollen. Beim Ukraine-Krieg zielen die Forderungen auf Ölkonzerne und Rohstoffhändler, die von steigenden Rohstoffpreisen profitieren. Die Gewinne sollen vom Staat teilweise abgeschöpft werden. Inzwischen haben einige Länder entsprechende Steuerreformen aufgegleist oder diskutieren deren Implementierung.

Die Idee einer Krisensteuer mag in der Theorie nicht nur «gerecht», sondern auch ökonomisch effizient sein. Steuern sind insbesondere dann effizient, wenn sie nur zu minimalen Ausweichreaktionen der betroffenen Individuen bzw. Unternehmen führen. Eine rückwirkende und einmalige Krisensteuer scheint diese Eigenschaft zu erfüllen. Weil die ausserordentlichen Gewinne auf vergangenen Entscheidungen basieren, können die Unternehmen der Steuer kaum ausweichen. Die mit der Steuer einhergehenden Wohlfahrtsverluste fallen deshalb gering aus. Soweit die Theorie. In der Praxis ist eine Krisensteuer aber weder effizient noch gerecht. Deshalb: Besser schnell wieder vergessen – aus mindestens 10 Gründen:

1. Die Schweiz ist keine Bananenrepublik

Nicht zu Unrecht rühmt sich die Schweiz gerne als ein Hort der Rechtssicherheit. Unternehmen verweisen oft auf diesen Standortvorteil. Ein gutes Steuersystem sollte berechenbar sein und keine Überraschungen bereithalten. Es liegt in der Natur der Sache, dass gerade Kapital für eine Ex-post-Besteuerung anfällig ist. Das Commitment, ex-ante vereinbarte Spielregeln während des Spiels nicht zu ändern, unterscheidet jedoch Rechtsstaaten von Bananenrepubliken. Gerade in Zeiten ungeklärter Beziehungen zur EU sollte die Schweiz darauf bedacht sein, das Vertrauen in den eigenen Standort nicht zusätzlich erodieren zu lassen. Vertrauen ist schnell zerstört – aber nur mühsam wieder aufzubauen.

2. Einmal eingeführte Steuern bringt man kaum mehr weg

Die Geschichte lehrt uns: Einmal eingeführte Steuern verschwinden kaum je wieder. Bestes Beispiel liefert die direkte Bundessteuer, deren Geburtsstunde im Ersten Weltkrieg – als befristete Kriegsgewinnsteuer (!) – schlug. Auch die 1944 aufgrund von Notrecht eingeführte Verrechnungssteuer (über deren Reform diesen Herbst an der Urne abgestimmt wird) sollte anfänglich nur wenige Jahre Bestand haben. Das sind indes nur zwei Beispiele aus der Geschichte der Bundessteuern, die zeigen, wie anfänglich befristete Steuern in der Regel verlängert, umbenannt, ausgedehnt und erhöht, – aber kaum je wieder abgeschafft werden. In Krisenzeiten eingeführte (und später steuerrechtlich verankerte) Steuern führen deshalb nicht selten dazu, dass die Staatsausgaben nie mehr das Vorkrisenniveau erreichen. Ist das Geld erst einmal da, finden sich neue Verwendungen jederzeit.

3. Knappe Güter bleiben länger knapp

In der Marktwirtschaft haben Preise eine wichtige Signalfunktion. Sie zeigen den Produzenten und Konsumenten, wie knapp ein Gut ist. Hohe Preise – und damit auch hohe Gewinne – setzen Anreize, das Angebot durch zusätzliche Produktion auszuweiten. Neue Anbieter drängen auf den Markt. Gleichzeitig sorgen hohe Preise für einen sparsamen Umgang mit dem Gut. Zu Beginn der Pandemie waren Masken oder Desinfektionsmittel plötzlich knapp, was die Preise in die Höhe trieb und Herstellern (wie auch findigen Importeuren) hohe Gewinne bescherte. Im Verlaufe der Pandemie entspannte sich die Knappheit, die Preise für die jeweiligen Produkte sanken. Eine Besteuerung der Krisengewinne reduziert die Anreize, das Angebot stark nachgefragter Güter auszuweiten. Als Folge bleiben knappe Güter länger knapp. Mit allenfalls tödlichen Folgen.

4. Fortschritt wird gebremst

Ohne Aussicht auf hohe Gewinne würden viele riskante Investitionen gar nie getätigt. So wurden (und werden) weltweit Hunderte Corona-Impfstoffprojekte vorangetrieben. Nur die allerwenigsten sind erfolgreich. Die Mehrheit bleibt auf hohen Kosten sitzen. Doch wer investiert in neue Technologien, wenn der Staat allfällige Gewinne sozialisiert, Risiken und Verluste jedoch allein bei den Unternehmern liegen? Vorübergehend hohe Gewinne sind das notwendige Pendant zu den hohen Investitionsausgaben, die sich damit amortisieren lassen. Eine Steuer – aber auch die Aussetzung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe und andere Innovationen – hemmt Ausgaben in Forschung und Entwicklung. Wer massgeblich zur Überwindung einer Krise beitragen kann, sollte daran nicht vom Staat gehindert werden.

5. Abgrenzungsprobleme I – oder warum auch «Schach-Influencerinnen» besteuert werden sollten

Eine Krisensteuer bedarf einer Definition, welche Branchen und Unternehmen zu den Krisengewinnern zählen. Im Grunde reduziert sich diese Definition auf ein Urteil, was moralisch «gute» und was «böse» Gewinne sind. Zu Letzteren zählen gemäss Sondersteuer-Befürwortern die grossen Mineralölkonzerne. Sie machen es sich damit zu einfach. Als Folge des Ukraine-Krieges steigt die bereits hohe Nachfrage nach erneuerbaren Energien weiter an. Wärmepumpen und Solaranlagen sind gefragt wie noch nie, die Auftragsbücher der Handwerker sind prall gefüllt. Grund genug für eine Sondersteuer? Ein anderes Beispiel: Die Pandemie bescherte dem Schachspiel einen Boom. Online-Plattformen verzeichneten Rekordanmeldungen, Schachbretter waren teilweise ausverkauft, Influencerinnen setzten das Spiel in Turnieren publikumswirksam in Szene. Grund genug für eine Sondersteuer? Eine Definition von möglichen Krisengewinnern ist zwangsläufig willkürlich, verletzt auf marktverzerrende Weise das Gleichheitsprinzip und öffnet Lobbyismus Tür und Tor.

Gas. (Kwon Junho, Unsplash)

6. Abgrenzungsprobleme II

Hat man die betroffenen Unternehmen einmal bestimmt, stellt sich das Problem der Abgrenzung von «normalen» und «übermässigen» Gewinnen. Hierzu werden unterschiedliche Methoden diskutiert. Allen ist gemein, dass sie auf einer arbiträren Definition eines Referenzgewinns fussen. In der Praxis ist unmöglich feststellbar, welcher Gewinn eines Unternehmens effektiv «krisenbedingt» ist. Zieht man als Referenz vergangene Gewinne heran, so variiert die Höhe der übermässigen Profite je nach Vergleichszeitraum. Letztlich entscheidet also auch hier die politische Willkür.

7. Gewinne sind oft nur kurzfristig

Hohe Gewinne sind meist vorübergehender Natur. Sie verschwinden von allein, wenn sich die wirtschaftliche Situation ändert oder neue Unternehmen in den Markt eintreten. Hohe Preise auf fossile Brennstoffe machen erneuerbare Energien attraktiver, was die Gewinnmargen der Mineralölunternehmen reduziert. Langfristig hohe Gewinne deuten hingegen darauf hin, dass gewisse Unternehmen über Marktmacht verfügen. Das wäre jedoch keine Rolle für die Steuerpolitik, sondern für die Wettbewerbsbehörden.

8. Gewinne werden bereits besteuert

Erfolgreiche Unternehmen werden im bestehenden Steuersystem bereits zur Kasse gebeten. Je höher der Gewinn, desto höher die Steuerlast. Profitable Unternehmen leisten deshalb einen – verglichen mit gewinnarmen und defizitären Unternehmen – überproportionalen Beitrag zur Staatsfinanzierung. Zudem: Unternehmensgewinne generieren in Form von Dividenden und Löhnen (progressiv besteuerte) Einkommen – und damit zusätzliche Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen.

9. Symmetrische Ausgestaltung verlangt Subventionen

Wer eine Sonderbesteuerung von hohen Gewinnen fordert, müsste folgerichtig auch dafür sein, «zu tiefe» Gewinne staatlich zu kompensieren. Bei einbrechenden Ölpreisen würden dann Subventionen zugunsten der Ölkonzerne fällig. In aller Konsequenz würde dies eine Abkehr von der marktwirtschaftlichen Ordnung bedeuten, auf welcher unser Wohlstand letztlich basiert.

10. Sind Gewinne überhaupt je «zufällig»?

Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, inwiefern Gewinne überhaupt je als «zufällig» und «leistungslos» angesehen werden können. Pharma-Unternehmen investieren und forschen mit Blick auf Absatzmöglichkeiten und Erfolgswahrscheinlichkeiten. Angesichts der Infektionskrankheiten in den vergangenen Jahrzehnten (Ebola, Sars, Zika) wurde seit längerem intensiv an Coronaviren und neuen Impfstoffen geforscht. Von «zufälligen» Pandemiegewinnen kann deshalb bei den Impfstoff-Herstellern nicht die Rede sein. Das gleiche gilt für andere Unternehmen.

Sommerserie: Vergessene Reformen – Reformen zum Vergessen 

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