Oft wird der Anstieg der Gesundheitskosten mit der Alterung der Bevölkerung begründet. Da Senioren häufiger krank sind als Junge, bedeute eine wachsende Anzahl Senioren einen höheren Bedarf an Pflegeleistungen, lautet das Narrativ. Zwar ist die Alterung zweifellos ein kostentreibender Faktor, aber ist sie tatsächlich für die steigenden Gesundheitskosten verantwortlich? 

Lebensabend verursacht nur 10% der Kosten 

Befassen wir uns zunächst mit der gängigen Annahme, wonach das letzte Lebensjahr eines Menschen einen grossen Teil seiner lebenslangen Gesundheitskosten auslöst. Es mag zwar stimmen, dass dieses letzte Jahr für ein Individuum oft das teuerste ist. Doch wie sieht es in Verhältnis zu den Gesamtausgaben des Gesundheitssystems aus? 

Laut einer Studie der Universität Bern beliefen sich 2010 die der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) in Rechnung gestellten Kosten für das letzte Lebensjahr einer Person auf durchschnittlich 32’500 Franken. Multipliziert mit der Anzahl der im selben Jahr verzeichneten Todesfälle (62’000) ergeben sich für die OKP zusammengerechnet Kosten in Höhe von zwei Milliarden Franken. Verglichen mit den gesamten OKP-Ausgaben im gleichen Jahr von fast 21 Milliarden Franken machten die letzten zwölf Lebensmonate «nur» 10% aus. 

Ist vielleicht die steigende Anzahl Senioren und die höhere Lebenserwartung ein Grund für den Kostenanstieg im Gesundheitswesen, wenn das letzte Lebensjahr für das Gesundheitssystem nicht so kostspielig ist? Doch auch hier stützen die Zahlen diese These nicht. Tatsächlich ist der von den Über-65-Jährigen verursachte Anteil der Gesamtkosten im letzten Jahrzehnt stabil geblieben. Im Jahr 2021 belief er sich auf 44%, genau wie 2011. Der Anteil der Über-65-Jährigen ist im selben Zeitraum jedoch um 12% gewachsen. Somit sind die von Rentnern verursachten Kosten nicht nur stabil, sondern der Löwenanteil der Gesundheitsausgaben (56%) entfällt auf jüngere Personen. 

Pro-Kopf-Ausgaben steigen bei Jüngeren stärker an 

Da die Bevölkerungsalterung allein die Kostenexplosion im Gesundheitswesen nicht zu erklären vermag, werfen wir einen Blick auf die jährlichen Pro-Kopf-Gesamtkosten. Von 2011 bis 2021 sind diese für alle Altersgruppen um durchschnittlich 23% gestiegen. Die Ausgaben für Unter-55-Jährige weisen jedoch das grösste Wachstum auf. Bei den Erwachsenen ist der Anstieg bei den 26- bis 30-Jährigen am stärksten (+32%), während bei den über 70-Jährigen nur ein Anstieg von 10% zu verzeichnen ist (vgl. Grafik). Bei Kindern und Jugendlichen scheint es sogar zu einer Kostenexplosion gekommen zu sein: bis zu 73% Steigerung bei Kindern zwischen 6 und 10 Jahren und 44% bei Jugendlichen zwischen 16 und 20 Jahren. 

Gesundheitskosten steigen stärker bei Unter-55-Jährigen an, am meisten bei den 6- bis 10-Jährigen (73%).

In die Jugend investieren – und in die Zukunft? 

Auf den ersten Blick mögen diese Ergebnisse beunruhigen. Tatsächlich gehen immer mehr junge Menschen regelmässig zum Arzt. Diese Tendenz wäre besorgniserregend, wenn sie eine «Konsumlogik» der Jüngeren widerspiegeln würde: Gehen sie möglicherweise häufiger zum Arzt, um Leistungen eines Systems in Anspruch zu nehmen, für das sie immer mehr bezahlen? Ebenso beunruhigend wäre es, falls der Anstieg auf eine Zunahme von Bagatell-Konsultationen infolge hypochondrischer Tendenzen zurückzuführen wäre. 

Anderseits wäre der Trend begrüssenswert, sofern er den Willen spiegelt, Ressourcen in jüngere Menschen zu investieren, die noch ein langes Leben vor sich haben. Aus gesundheitspolitischer Sicht ergibt es nämlich Sinn, in die bessere Behandlung junger chronisch Kranker – etwa Diabetiker – zu investieren, um eine spätere Verschlechterung ihres Gesundheitszustands zu vermeiden.  

Eine reine Kostenanalyse vermag diese Frage nicht zu beantworten. Es braucht einen Paradigmenwechsel, um diese Kostenentwicklung zu beurteilen. Gesundheitsausgaben sollten als Investitionen betrachtet werden, die eine «Rendite» für den Patienten und für das Gesundheitssystem erzielen. Anders ausgedrückt: Höhere Gesundheitsausgaben sind gerechtfertigt, wenn sie nachweislich einen Mehrwert schaffen. 

Qualitätstransparenz von entscheidender Bedeutung 

Es ist schwierig zu bestimmen, welche Gesundheitsausgaben einen echten Mehrwert für den Patienten und das System schaffen und welche unnötig oder das Ergebnis von Ineffizienzen sind. Um die «Rendite» der Gesundheitsinvestitionen für den Patienten besser beurteilen zu können, sind die Definition und Messung des Outcomes sowie die Transparenz hinsichtlich der Qualität entscheidend. Ohne Transparenz ist es unmöglich, Unterschiede zwischen verschiedenen Diagnosen, Indikationen oder Behandlungen zu erkennen. Um Vorbehalten der Ärzteschaft gegenüber einem solchen Transparenzkriterium vorzubeugen, könnte dessen Einführung in einem zweistufigen Verfahren erfolgen: zuerst unter dem Schutz der Anonymität, dann für alle zugänglich.  

Nur ein Ansatz, der sich auf den Mehrwert der Gesundheitsleistungen (value based health care) und nicht nur auf die Kosten konzentriert, kann Aufschluss darüber geben, ob steigende Pro-Kopf-Ausgaben problematisch sind oder nicht. Diese Mehrwertorientierung ist eine wesentliche Voraussetzung für eine möglichst hohe «Rendite» pro investiertem Franken im Gesundheitswesen. Einzig damit lässt sich ermitteln, welche Zusatzausgaben gerechtfertigt sind – bei jungen wie bei älteren Menschen. 

Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in der Studie «Mehr Mehrwert im Gesundheitswesen»