Letzte Woche hat das Bundesamt für Strassen (Astra) seinen jährlichen Bericht über die Verkehrsentwicklung und die Verfügbarkeit der Nationalstrassen veröffentlicht. Der Bericht ähnelt seinem Vorgänger in grossen Teilen. Man muss schon genau hinschauen, um die Kurven in den aufeianderfolgenden Berichten zu unterscheiden. Sie zeigen alle immer gleich nach oben – sowohl was die Nutzung des Strassennetzes als auch was die Staustunden anbelangt. Und jedes Jahr bringt bezüglich Stau neue Superlative.

Stau in den Schlagzeilen

Es sind denn auch immer wieder die Staustunden, die es prominent in die Presse schaffen. «Mehr Stau ist kaum mehr möglich» oder «Schweizer stecken immer länger im Stau», usw. Tatsächlich haben die Staustunden von 2016 bis 2017 wieder um 7,4% zugenommen – ein neuer Rekord. Auch die Verkehrsleistung stieg weiter an: von 2016 bis 2017 um 2%, und ein Jahr zuvor um 2,4%. Die Trends sind untereinander vergleichbar.

Die Massnahmen, die mit wachsender Hilflosigkeit angepriesen werden, sind ebenfalls immer ähnliche: Engpassbeseitigung, Verkehrsfluss verbessern und allerlei andere technische, bzw. «physikalische» Eingriffe. Dieses Jahr steht zur besseren Ausnutzung der Kapazitäten auf den Nationalstrassen die temporäre Nutzung der Pannenstreifen und Anlagen zur flexiblen Geschwindigkeitsregelung auf dem Menü. Neuestens will das Schweizer Parlament auch das Rechtsvorbeifahren zulassen, damit der Verkehr besser fliesst.

Wenig sinnvoller Kapazitätsausbau

Gegen die physikalischen Massnahmen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Warum beispielsweise rechts an einer langsamer fahrenden Kolonne vorbeizufahren derart gefährlich sein soll, war sowieso nie so ganz klar. Man sollte technisch herausholen, was herauszuholen ist. Aber machen wir uns keine Illusionen: Auf jede zusätzliche Kapazitätserweiterung – sei sie baulich wie Engpassbeseitigung oder technisch-physikalisch wie die Nutzung von Pannenstreifen oder die Feinregelung der Geschwindigkeiten – folgt mehr Verkehr.

Denn Verkehr verhält sich nicht einfach nur wie ein Fluss oder eine anderweitige physikalisch modellierte Masse von Teilchen. In den Fahrzeugen sitzen Menschen, die Kosten und Nutzen ihrer Fahrt abschätzen, die aufgrund von Kosten- und Nutzenüberlegungen ihren Wohn- und Arbeitsort wählen, ihre Freizeitmobilität gestalten, usw. Zeit im Stau auferlegt den Menschen in den Fahrzeugen Kosten in Form von entgangener Zeit und Ärger. Diese werden bei der Entscheidung über die Fahrten berücksichtigt. Mehr Kapazität bedeutet weniger Fahrzeit und damit weniger Kosten – bis der neu entstehende Stau die Fahrzeit wieder verlängert.

 

Tatsächlich hat sich der Verkehr stark überproportional zum Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum entwickelt – auf den Nationalstrassen etwa viermal so schnell wie die Bevölkerung und doppelt so schnell wie die Wirtschaftsleistung (vgl. Avenir Suisse 2013: Mobility Pricing: Wege zur Kostenwahrheit im Verkehr). Wie die Grafik zeigt, gilt für die Stauhäufigkeit eine ähnlich unverhältnismässige Zunahme.

Höchste Zeit für eine nachhaltige Lösung

Eine nachhaltige Lösung für zu viel Verkehr, Staus und die ungleichmässige Kapazitätsauslastung auf Strassen und Schienen wird es ohne Mobility Pricing kaum geben. Mobilität sollte teurer sein, sobald die Kapazitäten knapp werden, und billiger, wenn Strassen und Züge leer sind. Wird die Auslastung im Preis berücksichtigt (gemäss Tageszeit und Strecke), hat jeder, der Mobilität konsumiert, einen Anreiz, sich kostenbewusst zu verhalten. Kapazitätsauslastung und Fahrleistungen können so effektiv gesteuert und überdies die Mobilität nachhaltig finanziert werden. Zudem müssten Steuerzahler und Automobilisten nicht auch noch die disproportional wachsenden Ausbaukosten auf Schiene und Strasse tragen müssen.

Mobility Pricing ist kein abstraktes und auch kein neues Konzept. Andere Länder setzen es bereits erfolgreich um – selbst die Schweiz teilweise, zum Beispiel mit der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA). Länder mit Mobility Pricing im Einsatz sind unter anderem Japan, Norwegen, Polen, Schweden, Singapur und die USA. In Norwegen, Japan und den USA konnte eine Reduktion von Staus und vom Verkehrsvolumen beobachtet werden. Singapur ist für seine Gesamtlösung und den entsprechenden Erfolg bekannt. In Polen führte die Einführung eines elektronischen Strassenzollsystems sogar zu einer Erneuerung des Fuhrparks, wovon die Umwelt, die Strassensicherheit und die polnische Wirtschaft als Ganzes profitierten. Auch in Stockholm würde niemand die City-Maut mehr abschaffen wollen.

Arme hängen lassen gilt nicht

Mobility Pricing funktioniert also. Die Schweiz könnte mit Pilotprojekten die Einführung testen, beispielsweise in einer Zusammenarbeit mit grossen Arbeitgebern, wie von Avenir Suisse vorgeschlagen. Das Verhalten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei entsprechenden Versuchsanlagen könnte konkreten Aufschluss über die Wirkung des Mobility Pricing geben. Interessant werden auch die Resultate der Wirkungsanalyse sein, welche der Bund am Beispiel von Zug erarbeitet. Wir sollten aufhören, angesichts der immer noch grossen Widerstände gegen die offensichtliche Lösung die Arme hängen zu lassen und Auswege in hilflosen Massnahmen zu suchen, von denen man im Grunde weiss, dass sie nicht nachhaltig sind.