WhatsApp und E-Bikes sind inzwischen selbst für Senioren eine Alltäglichkeit, und Kindergärtner erfassen in Migros und Coop Salatköpfe, Gummibärchen und Softdrinks selbstverständlich mit Strichcode-Readern. Nur die Verwaltung hält sich nach wie vor gerne an Formulare und Stempel – so zumindest lautet das Klischee. Die Studie «Max Weber in der Digitalisierungsfalle?» zum Stand der Dinge in Sachen E-Government in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigt in der Tat zahlreiche Handlungsfelder in Verwaltung und Politik auf, wo Effizienzsteigerungen nicht nur möglich, sondern dringend nötig wären.

Anlässlich der Dreiländertagung des Instituts der deutschen Wirtschaft, der Industriellenvereinigung Österreich und Avenir Suisse, die am 17. und 18. September 2018 in Zürich stattgefunden hat, präsentierten die Autoren der drei Organisationen eine gemeinsam erarbeitete Studie zum Thema «E-Government in Deutschland, Österreich und der Schweiz». Zuvor führte Nicholas Niggli, Direktor Wirtschaftsentwicklung, Forschung und Innovation des Kantons Genf, ins Thema ein. Wie Peter Grünenfelder in seiner Begrüssung erläuterte, war die Wahl des Keynote-Speakers auf einen Vertreter des Westschweizer Stadtkantons gefallen, weil Genf im Bereich E-Government schweizweit am weitesten fortgeschritten ist.

Digitale Vorreiterin Genf

Die Liste der Bereiche, in denen die Bürger mit dem Staat elektronisch interagieren, ist denn auch eindrücklich: Genf unterstützt Arbeitssuchende mit einem Portal namens Job-in, erlaubt die elektronische Abwicklung von Bewilligungs-, Antrags- und Meldeverfahren, arbeitet mit Blockchain-Technologie für Auszüge aus dem Handelsregister, betreibt einen ICO-Guide sowie einen Rechner für Sozialleistungen und liefert online Informationen zu Umwelt- und Energiefragen. Es gibt Informationen zu Bauen, Wohnen und Mobilität sowie eine persönliche Krankenakte – und abgestimmt wird in Genf ohnehin schon lange elektronisch.

Wie sich die Realität in den Tausenden von Städten sowie in Hunderten von Kantonen und Bundesländern im Rest des untersuchten Gebiets von Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) darstellt, erläuterten Matthias Ammann und Fabian Schnell in ihrer Präsentation der Studie. Obwohl die DACH-Länder mit einer steigenden Anzahl von grenzüberschreitenden Aktivitäten und mobilen Bürgern konfrontiert seien, rangieren die drei Staaten laut dem «Ease of Doing Business Index» der Weltbank, der die Hürden für Geschäftstätigkeiten in den Ländern vergleicht, nicht an vorderster Stelle in Sachen E-Government. Eine der Ursachen dafür sei ein mangelndes Problembewusstsein.

In der Schweiz gibt es laut Studie zwar eine gute Infrastruktur, sie wird jedoch von der Verwaltung zu wenig genutzt. Ein Grund dafür könne das hierzulande ausgeprägte Subsidiaritätsprinzip sein. Entsprechend weit verbreitet seien Doppelspurigkeiten. Um die mehrfache Erfassung einer Person zu vermeiden, würde sich die AHV-Nummer als Personenidentifikator eignen, was allerdings grosse Widerstände und Ängste weckt. Laut dem OURdata-Index der OECD liegt die Schweiz (zusammen mit Deutschland und im Unterschied zu Österreich) aufgrund geringer Werte bei der Förderung von Datenwiederverwendung im Hintertreffen. Damit einmal erfasste Informationen mehrfach genutzt werden können, braucht es Zusammenarbeit und eine Standardisierung im E-Government. Und schliesslich überrascht die Studie mit dem Befund, dass die Informatikkenntnisse in der Schweiz schlechter sind als in manchen europäischen Ländern – insbesondere im Osten.

Trippelschritte im Kreis

Die Replik auf die Präsentation der Studie gab Jörn von Lucke, Professor für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Der Leiter des Open Government Institute sparte nicht mit Kritik – allerdings nicht an die Adresse der Studienautoren, sondern an jene der Politik. Das Thema E-Government werde verschlafen, weil es viel zu wenig Forschung dazu gebe. Stattdessen wurstle man sich in kleinen, unkoordinierten, inkrementellen Schritten durch, was bestenfalls in einer häppchenweisen Problemlösung mit kleinen Verbesserungen münde. Dabei handle es sich bei der Digitalisierung des öffentlichen Dienstes nicht um ein Nice to have, sondern um einen essenziellen Bereich: Das Ziel müsse die effektive, wirtschaftliche und sparsame Erledigung öffentlicher Aufgaben mithilfe digitaler Lösungen sein – und dies rasch: Auf die öffentlichen Verwaltungen kämen Herausforderungen zu wie der demografische Wandel, die Überalterung der Mitarbeiterstruktur, Pensionierungen und Fachkräftemangel.

Von Lucke kritisierte insbesondere die Tendenz, neben dem persönlichen Kontakt, dem Papier und dem Telefon nun mit dem Internet einfach einen weiteren Kanal für den Austausch mit den Behörden zu öffnen. Das sei ineffizient und teuer. Deshalb fordert er ein vertikal integriertes Multi-Channel-Management für die digitale Transformation. Gemeint ist damit, alle Kanäle miteinander so zu verweben, dass die Nutzung im Hintergrund schliesslich identische Prozesse auslöst.

In der abschliessenden Fragerunde wurden ebenso die Gefahren des digitalisierten Staatswesens diskutiert. Als Schreckensvision wurde der über alle Lebensbereiche vernetzte totale Überwachungsstaat genannt, wie er in China bereits ansatzweise Anwendung findet. Es gelte jedoch auch, sich vor hegemonialen Ansprüchen aus den USA, Russland und den osteuropäischen Staaten zu schützen. Im Entwerfen einer eigenen Vision einer digitalisierten Verwaltung liege denn auch die Chance für die drei Länder. Der Datenschutz müsse gewährleistet werden und Cybersicherheit oberste Priorität haben. Sie dürfen jedoch nicht als Ausrede herhalten, die Digitalisierung der Verwaltung zu unterlassen.

Link zur Studie: «Max Weber in der Digitalisierungsfalle? – E-Government in Deutschland, Österreich und der Schweiz»