Man nennt ihn auch «Papst des Chasselas». Der aus Côte d’Ivoire immigrierte Jérôme Aké Béda wurde 2015 von Gault Millau zum Sommelier des Jahres gekürt. Obgleich Lavaux ein für den Weinbau günstiges Gebiet ist und die Landschaft zum Önotourismus einlädt, rät der glühende Fürsprecher der Genfersee-Weine den Winzern, sich nicht auf ihren Lorbeeren auszuruhen.
Jérôme Cosandey: Herr Béda, Sie wurden im letzten Jahr zum «Commandeur de l’Ordre des Vins Vaudois» ernannt, sind aber in der Elfenbeinküste aufgewachsen. Warum haben Sie Ihr Geburtsland verlassen?
Jérôme Aké Béda: Mein Aufbruch wurde vor allem ausgelöst durch den Wunsch, meine Fähigkeiten im Restaurationswesen und der Hotellerie zu verbessern. Zudem war meine Heimat in den 1990er Jahren politisch unsicher. Ich ging zuerst in die USA, und kam danach in die für ihre guten Hotelfachschulen bekannte Schweiz.
Wie sind Sie zum Wein gekommen?
Durch Zufall. Bis heute arbeite ich im Auberge de l’Onde in Saint-Saphorin als Oberkellner. Von da aus bin ich in die Welt des Weins gerutscht, in der ich mich sehr wohl fühle.
Wie wirkte sich Ihre Herkunft auf Ihren beruflichen Erfolg aus?
Seit bald 30 Jahren lebe ich in der Schweiz und kann mich nicht daran erinnern, jemals wegen meiner dunklen Hautfarbe bei der Arbeit benachteiligt worden zu sein. Oder liegt es daran, dass ich bekannt bin wie ein bunter Hund? (Lacht)
2015 wählte Sie Gault Millau zum Schweizer Sommelier des Jahres. Welche Fähigkeiten braucht man für diesen Titel?
Ich kenne die Selektionskriterien des Guides nicht. Aber ein guter Sommelier sollte ein starkes Erinnerungsvermögen, Leidenschaft und Neugier mitbringen. Gegenüber den Kunden braucht er viel Taktgefühl und Psychologie. Man muss freundlich und bescheiden sein sowie zuhören können.
Lassen Sie uns über die Leidenschaft sprechen. Was macht einen guten Wein aus?
Für einen grossartigen Wein sind drei Faktoren entscheidend: Am wichtigsten sind die Kenntnisse über das Anbaugebiet. Boden und Rebsorte müssen harmonieren. Viele Winzer pflanzen Rebsorten ein bisschen überall und gehen mit der Mode. Dann braucht ein guter Wein Geschichte: Qualität zeigt sich auch in jahrelanger Kontinuität. Zuletzt weiss der gute Weinbauer all dies in Einklang zu bringen, um die Jahrgänge zu verfeinern.
Was verstehen sie unter Harmonie zwischen Boden und Rebsorte?
Nehmen Sie den Chasselas, der seit dem 16. Jahrhundert die Hänge des Genfersees verschönert. Genanalysen haben gezeigt, dass es sich um eine originäre Rebsorte des Seebeckens handelt, die sich perfekt an den Boden der Region angepasst hat. Die Sorte ist so eigentümlich wie die Schweizer selbst.
Der Chasselas, eine eigentümliche Sorte?
Ja. Er ist am Anfang eher zurückhaltend. Man braucht Geduld mit ihm. Guter Chasselas ist zu Beginn nahezu «autistisch», in sich abgekapselt. Erst nach zwei Jahren entfaltet er seine Komplexität – wenn er auf gutem Boden gewachsen ist.
Welche Rolle spielt ein guter Winzer?
Ob ein Wein grossartig wird, entscheidet sich im Rebberg. Eine schlechte Ernte lässt sich in der Kellerei nicht korrigieren. Die guten Winzer sind fern vom Telefon und nie zuhause, stattdessen immer draussen bei ihren Rebstöcken.
Wie sieht die Zukunft für Schweizer Weine aus?
Wir sind dazu verurteilt, Qualität zu produzieren. Die Branche muss sich dessen bewusst werden, dass wir unsere Preise im In- und Ausland nur mit einer sauberen Landwirtschaft rechtfertigen können, die sich an Exklusivität und Qualität ausrichtet.
Haben wir die Gebiete, um diese Qualität zu produzieren?
Ja, für den Chasselas im Genferseebogen und den Pinot Noir zwischen dem Neuenburgersee und Graubünden. Sowohl Dézaley als auch Calamin sind exzellente Lagen für Grand-Cru-Weine. Diese Lagen profitieren von den «drei Sonnen» des Genferseebogens: von der Wärme durch direkte und vom See reflektierte Sonneneinstrahlung sowie von der in den Steinmauern gespeicherten und in der Nacht wieder abgegebenen Wärme. Diese Parzellen sind mit 54 bzw. 16 ha aber sehr viel kleiner als das 3775 ha grosse Weinbaugebiet in der Waadt.
Und wenn die Flasche 200 Fr. kostet?
Kaum ein Konsument ist heute bereit, so viel für eine Flasche Schweizer Wein zu bezahlen, und die ausländische Konkurrenz bezüglich Qualität und Kosten ist stark. Hierzulande begegnen Konsumenten teurem Schweizer Wein oft mit Skepsis und wiederholen gebetsmühlenartig ihre Vorurteile gegenüber lokalen Produkten. Einige Walliser Winzer haben versucht, sich mit so einem Preis zu positionieren – mit bescheidenem Erfolg.
Müssen wir also den Export grosser Mengen anstreben?
Nein. Wir bleiben ein kleines Land mit einer Produktionskapazität, die kaum ausreicht, um die lokale Nachfrage zu decken. Es wäre ein grosses Risiko, die Qualitätsstrategie einer mit der Handwerkskunst vergleichbaren Landwirtschaft zugunsten von Massenproduktion aufzugeben.
Haben wir ein Marketingproblem?
Viele Betriebe sind Familienunternehmen seit Generationen, deren Know-how oft mehr im Weinbau als im Marketing liegt. Einige Produzenten haben auch keine professionelle Webseite, manche gar keine. Für viele wäre eine Kooperation unter dem Label AOC sinnvoll – nicht nur im Internet, sondern an gemeinsam betriebenen Verkaufspunkten.
Welchen Einfluss könnte der Klimawandel auf die Region haben?
Die Klimaerwärmung ist eine Realität – ob sie der «Blonde» auf der anderen Seite des Atlantiks anerkennen will oder nicht. Die grossen Weinbaubetriebe haben diese Problematik erkannt und denken darüber nach, wie dem steigenden Alkoholgehalt in den Trauben infolge höherer Temperaturen vorgebeugt werden kann. Biodynamik könnte ein erster Lösungsansatz sein. Ich beobachtete, dass die meisten der so hergestellten Weine eine Leichtigkeit und Trinkbarkeit aufweisen, die an Mineralwasser mit geringer Härte und guter Verdaulichkeit erinnern.
Welche Chancen sehen Sie für den Önotourismus?
Wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen und denken, es genüge, dass das Lavaux Unesco-Weltkulturerbe ist. Sicher ist die Landschaft paradiesisch. Aber der Wow-Effekt der Besucher muss auf Basis hochwertiger Weine und einer einzigartigen Gastfreundschaft entstehen. Eine hochwertige Gastronomie haben wir schon, aber der Önotourismus ist noch im Embryonalstadium. Er könnte künftig eine grosse Rolle spielen. Es gilt diesbezüglich aber noch Denkarbeit zu leisten.
Dieses Interview wurde erstmals in der Publikation «Einzigartige Dynamik des Arc lémanique» publiziert.