Die Schweiz sei ein Musterland des Mittelstandes, sagte Patrik Schellenbauer zu Beginn der Podiumsdiskussion «Der strapazierte Mittelstand» in Luzern. An der Veranstaltung im Hotel Schweizerhof diskutierten Prisca Birrer-Heimo, Luzerner SP-Nationalrätin, Christoph Schaltegger, Professor für politische Ökonomie an der Universität Luzern, Werner Hug, Delegierter des Verwaltungsrates der Hug AG und Hilmar Gernet, Direktor «Politik und Gesellschaft» der Raiffeisen Bank über die Lage des Mittelstandes. Dieser sei in der Schweiz von einer Erosion weitgehend verschont geblieben, fuhr Schellenbauer in seiner Einleitung fort. Weder die Konkurrenz durch die zahlreichen Arbeitskräfte, die im Lauf der Globalisierung in den Weltmarkt eingetreten sind, noch die Wirtschaftskrise hätten seine Position geschwächt: Im Unterschied zu vielen anderen Ländern ist die reale Kaufkraft des Schweizer Mittelstandes in den letzten Jahren – wenn auch verlangsamt – weiter gestiegen.

Podiumsdiskussion in Luzern zur Lage des Mittelstandes in der Schweiz.

Podiumsdiskussion in Luzern zur Lage des Mittelstandes in der Schweiz.

Es gibt für den Mittelstand aber auch unerfreuliche Entwicklungen. So sind die Löhne zwar im gesamten Lohngefüge gestiegen, doch sind die mittleren Löhne weniger stark gewachsen als die höheren und tieferen Löhne. Der Mittelstand wurde somit – relativ gesehen – zurückgesetzt. Grund dafür ist die Polarisierung des Arbeitsmarktes, die zwar «schweizerisch massvoll» voranschreitet, aber dennoch dafür sorgt, dass Routine-Jobs mit mittlerem Anforderungsprofil eher ausgelagert oder rationalisiert werden. Eine Berufslehre als höchster Bildungsabschluss garantiert daher in Zukunft keinen Platz im Mittelstand, sagte Schellenbauer. Doch auch der Einfluss des Staats setzt den Mittelstand unter Druck: Unkoordinierte Umverteilungsmassnahmen drücken zahlreiche Einkommen an die Grenze zur Unterschicht und die hohe Grenzbelastung von Zweiteinkommen schwächt die Arbeitsanreize im Mittelstand.

Das Jammern über den Mittelstand gehöre zur Politik, sagte Hilmar Gernet, der während viereinhalb Jahren Generalsekretär der CVP Schweiz war. Viel wichtiger als grossflächige Unterstützungsmassnahmen sei aber die Frage der sozialen Mobilität. In einer Gesellschaft müsse gewährleistet sein, dass man dank Anstrengung und unternehmerischer Leistung aufsteigen könne – dies komme auch dem Mittelstand zugute. Dieser stehe in der Schweiz grundsätzlich gut da, sagte Unternehmer Hug. Er höre dies auch im Gespräch mit seinen Mitarbeitern. Er gab aber zu Bedenken, dass dazu nicht nur das Einkommen und materielle Faktoren beitragen. Das soziale Umfeld sei dabei ebenso wichtig.

Für Christoph Schaltegger ist das Funktionieren des Arbeitsmarktes der zentrale Faktor für die gute Situation des Mittelstandes. Die Schweiz habe es vor allem dank ihrem Bildungssystem wie kaum ein anderes Land geschafft, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Aufgabe der Politik sei es, diese guten Bedingungen für den Mittelstand zu erhalten. Damit allein sei diesem nicht geholfen, wandte Birrer-Heimo ein: Die Politik müsse sehr wohl stärker regulieren und umverteilen, denn wenn man über den Mittelstand spreche, dürfe man die Ober- und die Unterschicht nicht ausklammern: «Es gibt immer Gewinner und Verlierer.»

«Eine massgeschneiderte Mittelstandspolitik ist kaum möglich», sagte Schellenbauer zum Schluss. Denn der Mittelstand umfasst die Mehrheit der Gesellschaft. Zuschüsse für einen Teil des Mittelstandes werden somit immer vom übrigen Mittelstand bezahlt werden. Dies führt zu ineffizienter Umverteilung und schadet letztlich dem gesamten Mittelstand. Viel besser wäre es, den Faktor Arbeit möglichst wenig zu belasten und glattere Schwellen bei Prämienverbilligungen, Kinderbetreuungskosten und Steuern einzuführen, um negative Arbeitsanreize (gerade für Frauen) zu reduzieren und den Aufstieg zu erleichtern.