Stellen Sie sich vor: Ihr Chef teilt Ihnen mit, dass Ihr Lohn gekürzt wird und dass – quasi als «Gegenleistung» – die Preise in der Kantine steigen. Für jeden eingebüssten Einkommensfranken einen Franken mehr fürs Essen bezahlen – das wäre eher ungerecht, nicht wahr? Und doch ist es genau das, was der Ständerat vorschlägt, indem er die Steuervorlage 17 mit einer AHV-Teilrevision koppeln will. Für jeden wegfallenden Steuerfranken wird für die Vorsorge ein zusätzlicher Franken auf dem Staatshaushalt und den Löhnen erhoben.
Einer direkten Demokratie unwürdig
Die Vermischung zweier voneinander völlig unabhängiger Themen ist ein ebenso beängstigender wie der direkten Demokratie unwürdiger Kuhhandel. In den parlamentarischen Demokratien unserer Nachbarländer sind solche «Gefälligkeiten» zwar an der Tagesordnung (man unterstützt etwa eine striktere Migrationspolitik als Dankeschön fürs Finanzministerium), aber die Aushandlung solcher Koalitionsabkommen gestaltet sich äusserst harzig, und oftmals fühlen sich die Wähler dabei verraten. Die langen Monate ohne Regierung in Belgien, Deutschland oder Italien und die daraus entstehende politische Instabilität zeigen dies. Die Schweiz hingegen rühmt sich ihrer direkten Demokratie und des gesunden Menschenverstands ihrer Stimmbürger. Nun jedoch will man aus den zwei wichtigsten Dossiers der Legislaturperiode ein einziges Paket schnüren und schwört so dem Prinzip der materiellen Einheit ab, in der Hoffnung, eine öffentliche Diskussion gleich im Keim zu ersticken und die Möglichkeit eines Referendums von vornherein auszuschalten.
Mit den Füssen getretene Prinzipien
Die vorgeschlagene AHV-Finanzierung wirft aber nicht nur aus demokratischer Sicht Fragen auf, sie verletzt auch die im Zusammenhang mit der Vorlage zur Reform Altersvorsorge 2020 so vehement verteidigten Prinzipien. Die Transparenz zum Beispiel: Wird die Reform der 1. Säule aufgeteilt, mit einem ersten, im Zusammenhang mit der Steuervorlage 17 umzusetzenden Teil und einer erst später erfolgenden Leistungsanpassung, so geht der Überblick über das Ausmass der Reform verloren. Ausserdem würde ein Teil der Finanzierung durch den Abzug von zusätzlichen 0,3 Lohnprozenten gewährleistet. Das wiederum ginge zulasten der Sanierungsmöglichkeiten der 2. Säule, deren Reform von den Sozialpartnern hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wird. Mit anderen Worten, es herrscht ein heilloses Durcheinander.
Auch das Prinzip der Opfersymmetrie wird über Bord geworfen. Die für die AHV in Betracht gezogenen Massnahmen beschränken sich auf die Erschliessung zusätzlicher Finanzierungsquellen. Strukturelle Massnahmen wie eine Anhebung des Rentenalters und die Anpassung von Rentenleistungen für kinderlose Witwen werden nicht angegangen. Dabei hat die letzte IV-Revision gezeigt, wie gefährlich es ist, zusätzliche Mehrwertsteuerprozentpunkte zu gewähren, ohne sich zuvor über Sparmassnahmen zu einigen. Letztere haben es nie über die parlamentarische Hürde hinausgeschafft.
«Nun muss Pragmatik vor Ideologie den Vorrang haben», wird man uns entgegnen. Aber solche Aussagen sind nichts anderes als die Aufforderung dazu, jene Prinzipien zu verneinen, welche die Stärke unserer direkten Demokratie ausmachen, ein opportunistisches Gerede im Hinblick auf die kommenden eidgenössischen Wahlen. Dieser wackeligen Reform darf man nicht zustimmen.
Das Narrativ muss überdacht werden
Es wurde ein negativer Diskurs gewählt, der vor allem Probleme aus der Branche in den Vordergrund stellt, die für die Versicherten eigentlich keine sind. Das Langlebigkeits-«Risiko» zum Beispiel setzen die Versicherten gleich mit der Chance, länger gesund leben zu können. Die sehr niedrige, die Berechnung des Umwandlungssatzes belastende Inflation bedeutet für den Beitragszahler, dass sein Kapital gegen die Teuerung geschützt ist.
Die Kommunikation muss andersherum stattfinden. Es gilt, unbestrittene und positiv geprägte Prinzipien zu betonen: In der AHV müssen die bestehenden Rentenleistungen erhalten bleiben. In Anbetracht der besseren gesundheitlichen Verfassung älterer Arbeitnehmer und ihrer stark wachsenden Beteiligung am Arbeitsmarkt ist die AHV-Finanzierung jedoch neu zu definieren. In der 2. Säule kann die Solidarität zwischen den Generationen gestärkt werden, indem die Aktiven und die Rentner bei der Verzinsung der Altersguthaben gleich behandelt werden. Eine Anpassung des Umwandlungssatzes für Neurentner bedarf des Versprechens einer variablen Zusatzrente, gewissermassen eines 13. Monatslohns, mit dem sie später an einer positiven Entwicklung der Kapitalmärkte teilhaben. Dies ist keine Schönrederei, sondern eine andere geistige Haltung, eine von Grund auf positive Art, die zukünftigen Herausforderungen unseres Vorsorgesystems anzugehen.
Dieser Beitrag ist in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» erschienen.