Die Schweiz gehört in vielem zur digitalen Avantgarde. Beim Bau der Datenautobahnen ist unser Land im internationalen Vergleich auf höchstem Niveau: Wir werden höchstwahrscheinlich über ein 5G-Netz verfügen, noch bevor andere Staaten nur schon die Versteigerung der nötigen Funkfrequenzen durchgeführt haben; das spricht Bände.
So weit fortgeschritten die Privatwirtschaft bezüglich Digitalisierung allerdings sein mag, bei den Behördengängen auf elektronischem Weg ist die Schweiz im Rückstand. Deutlich wird das Verbesserungspotenzial in der jüngsten E-Government-Studie von 2019. Die Mehrheit der befragten Behördenvertreter ortet darin einen Anpassungsbedarf bei den Onlineangeboten. Knapp 70 Prozent der Bevölkerung benutzen selten oder nie ein Internetportal für Behördengeschäfte. Schweizerinnen und Schweizer wählen den elektronischen Weg vor allem beim Ausfüllen der Steuererklärung und für die Fristverlängerung.
Es gibt viele Gründe für die mässige E-Government-Nachfrage der Bevölkerung. Es fehlt etwa an den technischen Grundvoraussetzungen: Wir haben noch keine elektronische Identitätskarte und keine elektronische Unterschrift. Diese aber sind die Voraussetzung dafür, dass der Umgang mit den Behörden auf dem elektronischen Weg wirklich effizient und sicher abgewickelt werden kann.
Zusatzeinnahmen sind verboten
Gerade weil in der Schweiz die technologische Entwicklung in der Privatwirtschaft so weit fortgeschritten ist, wirken Anwendungen der Verwaltungen oft veraltet. Dies senkt die «Lust» zur Nutzung von elektronischen Dienstleistungen der Behörden.
Das hat System: So wie E-Government in der Schweiz zurzeit gelebt wird, handelt es sich lediglich um einen zusätzlichen Kanal, um staatliche Dienstleistungen zu beziehen. Es gibt kaum einen Anreiz, den elektronischen Weg zu nutzen. Die Gebühren dafür unterscheiden sich kaum: Ob man einen Heimatschein nun am Schalter oder online bestellt – beides ist gleich teuer. Auch die Steuererklärung auf Papier mit Bleistift ist nicht teurer, obwohl die Erfassung für die Steuerämter aufwendiger ist.
Damit widerspricht das Gebührenregime der Ämter dem Äquivalenz- oder Verursacherprinzip. Dies ist zwar nicht direkt in der Verfassung festgehalten, leitet sich aber laut Bundesgericht aus dieser ab. Das Äquivalenzprinzip besagt, dass der Staat für seine Dienstleistungen dem Bürger nur die tatsächlich anfallenden Kosten in Rechnung stellen darf. Querfinanzierungen oder Zusatzeinnahmen sind verboten.
Auch wenn es im Einzelfall anders aussehen kann, verursacht der elektronische Kanal in der Regel weniger Personal- und Materialkosten als der klassische Gang an den Schalter oder die physische Kontaktaufnahme auf dem Postweg – entsprechend müssten die Gebühren tiefer sein.
Vorreiter Österreich
Oft wird eingewandt, eine unterschiedliche Gebührenhöhe diskriminiere Personen, die mit dem Internet wenig anfangen können. Besonders Ältere müssten dann die Zeche bezahlen. Hoheitlichen Dienstleistungen könne man schliesslich nicht ausweichen. Davon abgesehen, dass diese Haltung die digitale Kompetenz einer ganzen Generation unterschätzt, ist sie noch lange keine Rechtfertigung für Quersubventionierungen. Die Kritik beruht auf einem falschen Verständnis von Service public. Auch ohne Bankdienstleistungen lässt es sich in der heutigen Welt nicht leben, trotzdem stört sich fast niemand daran, dass wahrscheinlich alle Banken für die meisten Dienstleistungen am Schalter höhere Gebühren verlangen, als wenn diese digital bezogen werden.
Interessanterweise kennt Österreich schon seit einiger Zeit unterschiedliche Gebühren, der digitale Kontakt mit den Behörden ist für die dortigen Bürgerinnen und Bürger in der Regel günstiger als der analoge. Wenig überraschend wird E-Government in unserem östlichen Nachbarland viel intensiver genutzt als hierzulande. Preisliche Anreize haben einen starken Einfluss, doch sie sollen nicht Mittel zum Zweck sein. Eine konsequente Umsetzung des Verursacherprinzips könnte E-Government jedoch den nötigen Anstoss geben, sodass die Verwaltungen in der Schweiz endlich durchgehend und umfassend in der digitalen Welt ankommen.
Dieser Beitrag ist am 8.4.2019 im «Tages-Anzeiger» erschienen.