Bevor ein Medikament auf den Markt gebracht werden kann, müssen Pharma­unternehmen bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Markt­zulassung stellen. In der Schweiz ist das Swissmedic, in der EU die Europäische Arznei­mittel­agentur (EMA). Da die EU einen viel grösseren Markt darstellt, stellen Pharma­firmen ihre Anträge in der Regel früher in der EU als in der Schweiz. Somit profitieren Patienten in Europa oft früher von neuen Medika­menten als Schweizerinnen und Schweizer. Diese Kluft wird sich in Zukunft wahr­scheinlich noch vergrössern.

Scharfer internationaler Wettbewerb

Auch wenn die Schweiz als Land der Pharma­riesen gilt, bedeutet dies nicht, dass sie früher als andere über neue Medikamente verfügt. Im Gegenteil: Meist muss sich die Schweiz länger gedulden als Europa oder die USA. Zumeist stellen Pharma­unternehmen zuerst bei der US-amerikani­schen Food and Drug Administration (FDA) einen Antrag auf Zulassung. Mit ihren 330 Millionen Einwohnern sind die USA ein Welthaupt­markt. Kurz darauf werden dann die Anträge bei der EMA (EU) eingereicht und erst viel später bei Swissmedic (vgl. Abbildung 1). Die Schweiz musste zwischen 2012 und 2016 im Durchschnitt 84 Tage länger auf die Einreichung eines Antrags warten als die USA und 71 Tage länger als die EU. Seither hat sich die Situation sogar verschlechtert: Zwischen 2017 und 2021 wartete die Schweiz im Durch­schnitt 138 Tage länger als die USA (+64%) und 118 Tage länger als die EU (+66%).

Nicht nur der Zeitpunkt der Antragsstellung ist von Bedeutung. Entscheidend ist auch die Dauer für die Zulassungserteilung. Hier ist die EMA in der Regel schneller als Swissmedic. Zwischen 2015 und 2021 benötigte sie im Durchschnitt 424 Tage, während das Schweizer Zulassungsinstitut 472 Tage benötigte. Swissmedic ist jedoch bemüht, die Wartezeit zu reduzieren, was seine Früchte zu tragen scheint: 2021 war Swissmedic zum ersten Mal schneller als ihr europäisches Pendant (vgl. Abbildung 2).

Rückstand könnte sich weiter verstärken

Der Wettbewerb zwischen Swissmedic und der EMA könnte sich verschärfen. Die Europäische Kommission hat am 26. April eine Revision des EU-Arzneimittelrechts vorgeschlagen. Gemäss den neuen Bestimmungen hätte die EMA 180 statt wie bisher 210 Tage Zeit, um ein neues Medikament zu prüfen – 30 Tage weniger als heute. Für die Prüfung von Arzneimitteln von erheblichem Wert für die öffentliche Gesundheit wird der EMA eine noch kürzere Frist von nur 150 Tagen gewährt. Dieser Reformvorschlag muss noch vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Rat geprüft werden.

Während dies für EU-Bürger eine gute Nachricht ist, gilt dies nicht für die Schweizerinnen und Schweizer: Mit verkürzten Fristen erhöht die EU ihre Attraktivität für Pharmahersteller. Sollte diese Massnahme umgesetzt werden, wird das Schweizer Zulassungsverfahren im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten.

Gleichzeitig statt nacheinander

Swissmedic ist sich der Bedeutung der Zusammenarbeit für eine raschere Zulassungserteilung bewusst und beteiligt sich seit 2020 am Orbis-Projekt, einer Initiative zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Agenturen von acht Ländern (u.a. USA, Australien, Kanada, Grossbritannien). Sie ermöglicht die parallele Prüfung vielversprechender Krebstherapien mit der FDA. Swissmedic ist auch Mitglied des Access-Konsortiums, einer Initiative, die den Wissensaustausch und die Arbeitsteilung mit den Zulassungsbehörden in Australien, Kanada, Singapur und Grossbritannien fördert.

Durch die Teilnahme an diesen Projekten konnte Swissmedic die für die Zulassung der betreffenden Arzneimittel benötigte Zeit verkürzen. Die Genehmigung durch Swissmedic ist jedoch nur ein erster Schritt. Für Pharmahersteller ist die Gesamtdauer ausschlaggebend, d.h. die Zeit von der Zulassung bis zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Dies geschieht in der Schweiz sequenziell: Die Evaluationen und Preisverhandlungen für neue Medikamente durch das BAG finden erst nach der Zulassung durch Swissmedic statt. Diese Praxis ist insbesondere bei innovativen Arzneimitteln bedauerlich, da sie den Prozess unnötig verlängert und Patienten in dieser Zeit nicht von alternativen Behandlungsmethoden profitieren können. Bis das BAG einen Preis festgelegt hat, kann das betreffende Medikament nämlich nicht systematisch durch die Krankenkassen übernommen werden.

Wünschenswert wäre also, dass sich die Pharmaunternehmen und das BAG so früh wie möglich über die Unterlagen und klinischen Studien einigen würden, die für die Evaluation benötigt werden. Dadurch könnten die Begutachtungen parallel statt hintereinander durchgeführt werden. Idealerweise sollte eine solche Absprache deutlich vor der Einreichung des Zulassungsantrags bei Swissmedic stattfinden. Ein kürzlich vom BAG durchgeführter Pilotversuch hat gezeigt, dass ein solches Verfahren praktikabel ist und tatsächlich einen schnelleren Zugang ermöglicht.  

Mehr Innovation, auch im Ablauf

Um den gesamten Prozess zu optimieren und die Fristen für die Rückerstattung zu verkürzen, schlägt Avenir Suisse vor, die Kostenübernahme für innovative Medikamente ab dem ersten Zulassungstag zu einem vorläufigen Preis festzulegen – eine Idee, die die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) kürzlich im Prinzip unterstützte. Ein weiterer Vorschlag von Avenir Suisse bestünde darin, die Preisfestsetzung für Arzneimittel auf der Basis ihres objektiv gemessenen Mehrwerts zu ermöglichen.

Für die Schweiz ist der schnelle Zugang zu neuen Medikamenten keine Selbstverständlichkeit. Um trotz ihrer geringen Grösse mit den USA und der EU konkurrieren zu können, muss sie ihre Anstrengungen zur Verringerung der Zulassungsfristen und Kostenübernahme fortsetzen, und zwar durch einen attraktiven Preisfestsetzungsmechanismus und Medikamentenzugang. Ändert sich nichts, läuft die Schweiz Gefahr, pharmazeutische Innovationen zu verpassen, was zu Lasten der Patienten ginge.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in unserer Publikation «Wann sind neue Medikamente zu teuer? – Raschen und finanzierbaren Zugang zu hochpreisigen Innovationen sichern».