Wenn die Schweiz in diesen Tagen 50 Jahre Frauenstimmrecht feiert, so ist das auf den ersten Blick kein Ruhmesblatt, waren doch viele andere Länder in dieser Frage um Jahrzehnte voraus. Aber: Die Schweiz war das erste Land, wo dies in einer Volksabstimmung geschah und die herrschende Mehrheit – die Männer – ihre eigene Macht als Folge eines langwierigen demokratischen Prozesses aus freien Stücken beschnitt. Letztlich ist die Annahme des Frauenstimmrechts die historisch bedeutsamste Weiterentwicklung der direkten Demokratie der letzten hundert Jahre, wurde doch mit diesem Entscheid die Wählerbasis auf einen Schlag verdoppelt.

Unausgeschöpftes Potenzial

Wo stehen wir heute? Selbstverständlich – und glücklicherweise – haben sich die Befürchtungen der damaligen Gegnerschaft des Frauenstimmrechts bewahrheitet: Schweizer Frauen betrachten Küche und Haushalt nicht mehr als ihre einzige Wirkungssphäre, und ihre politische Mitsprache ist mittlerweile auf allen Ebenen eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Der Frauenanteil im Nationalrat beträgt zurzeit stattliche 42%.

Es ging um die Freiheit: Ballonpropaganda für das Frauenstimmrecht am Stadelhoferplatz in Zürich, 1969. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Wolfgang Lindroos)

In der Arbeitswelt haben die Frauen im Zuge des gesellschaftlichen Wandels ihren Einfluss ebenso ausgebaut, wenn auch in geringerem Umfang: Obwohl heute 78,4% einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, liegt ihre Erwerbsquote in Vollzeitäquivalenten mit 58,5% weit unter jener der Männer (85,1%). Dünn ist nach wie vor die Luft in den obersten Führungsetagen, und «Gender Diversity» bleibt laut dem Schillingreport ein Generationenprojekt: Mit einem Frauenanteil von 10% in den Geschäftsleitungen und 23% in den Verwaltungsräten (der 100 grössten Unternehmen) hat die Schweiz auch im europäischen Vergleich noch erhebliches Aufholpotenzial.

Es gibt noch viele Hürden

Wie soll es weitergehen? Angesichts der blanken Zahlen wird der Ruf nach Quoten laut, um den Prozess der Gleichstellung zu beschleunigen. Aus liberaler Sicht ist dies aber der falsche Weg, denn damit würden neue Ungerechtigkeiten geschaffen.

Viel zielführender für eine echte Gleichstellung am Arbeitsmarkt ist die Beseitigung der verschiedenen gesetzlichen Hürden, die Zweitverdienende – die meisten von ihnen Frauen – von einem grösseren Engagement abhalten:

In der Einkommensbesteuerung werden durch die gemeinsame Veranlagung alte Rollenbilder zementiert, weil das zweite Einkommen einer hohen Grenzbesteuerung unterliegt und eine Ausweitung des Arbeitspensums sogar zu einem geringeren Nettoeinkommen führen kann. Eine Individualbesteuerung würde die Erwerbsanreize deutlich verbessern.

Zudem gibt es in der Altersvorsorge ein paar alte Zöpfe, die man abschneiden sollte: Der Koordinationsabzug von 25’095 Fr. in der zweiten Säule bewirkt, dass Sparbeiträge bei niedrigen Pensen überproportional sinken. Wenig verständlich ist aber auch, warum Witwen nach der erreichten Volljährigkeit der Kinder Anspruch auf eine Rente haben, während dies bei verwitweten Männern nur der Fall ist, solange sie schulpflichtige Kinder haben.

Hinzu kommen Massnahmen mit Blick auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, etwa Kinderbetreuungsangebote, Tagesschulen oder flexible Arbeitszeiten.

Entscheidend bleibt die Freiheit

Bei der Diskussion um die Gleichstellung besteht die Gefahr, dass sie zu sehr ins Materielle abrutscht. Es sollte nicht vergessen gehen, dass es den Kämpferinnen für das Frauenstimmrecht um viel mehr ging: ihre Freiheit und das Recht auf demokratische Mitbestimmung. Vor allem wollten sie ein selbstbestimmtes Leben führen können – mit den gleichen Entwicklungsmöglichkeiten, die sich den Männern boten. Nicht die Ergebnisgleichheit stand im Vordergrund, sondern die Chancenvielfalt. Die frühen Frauenrechtlerinnen unterschieden sich in ihren grundlegenden Motiven wohl nur wenig von den Menschen, die heute in vielen Ländern auf die Strassen gehen und Freiheit fordern – und leider wurden sie für ihre Bemühungen lange Zeit nur mit gesellschaftlicher Ächtung belohnt.

Wenn man die Frage der Gleichberechtigung konsequent von der Freiheit her durchdenkt, wird der notwendige Massnahmenkatalog glasklar: Frauen und Männer verdienen die gleichen Rechte und Pflichten – nicht mehr, aber auch kein Jota weniger.

Wegbereiterinnen der modernen Schweiz

In der Schweizer Geschichte gab es viele Frauen, die schon lange vor der Einführung des Stimmrechts für ihre Freiheit kämpften, und zwar in den vielfältigsten Bereichen der Gesellschaft. Avenir Suisse hat 2014 im Buch «Wegbereiterinnen der modernen Schweiz» zahlreiche Frauen porträtiert, die mit ihrer Entschlossenheit und Zielstrebigkeit den kommenden Generationen Grosses hinterlassen haben.