Ein Jahr nach Ablehnung des CO2-Gesetzes laufen die Debatten um neue Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen heiss: Die Gletscherinitiative, der direkte Gegenentwurf, ein indirekter Gegenvorschlag, das revidierte CO2-Gesetz – sie alle legen ziemlich detailliert fest, mit welchen Massnahmen die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden soll. Die SVP schiesst derweil quer mit Forderungen nach einer Preisdeckelung für Brenn- und Treibstoffe, um den Marktverwerfungen im Zug der Ukraine-Krise entgegenzuwirken (der Nationalrat hat das Anliegen in der Sommersession vernünftigerweise abschlägig beantwortet).
Man kann nur hoffen, dass in diesem Stimmenwirrwarr die parlamentarische Initiative, die CVP-, bzw. Mitte-Urgestein Gerhard Pfister eingereicht hat, nicht untergeht. In Anlehnung an einen Debattenbeitrag von Peter Richner (Empa) und Gianni Operto (aee suisse) in der NZZ forderte er den Ersatz der diversen derzeitigen (bzw. geplanten) Massnahmen mit oft zweifelhaftem Preis-Leistungs-Verhältnis durch ein schlankes und wirksames CO2-Gesetz, in dessen Zentrum eine einheitliche, flächendeckende Bepreisung von Treibhausgasen steht. Konkret:
- Alle Treibhausgasemissionen auf Schweizer Staatsgebiet sowie Flüge, die in der Schweiz starten, sollen mit einer einheitlichen Abgabe (gemäss Klimawirksamkeit des Treibhausgases) belegt werden.
- Die Höhe des Abgabesatzes wird periodisch den Erfordernissen angepasst, so dass sich die Emissionen auf einem Absenkpfad bewegen, der 2050 netto-null erreicht.
- Die Einnahmen werden komplett an die Bevölkerung und Wirtschaft zurückerstattet.
- Alle importierten Produkte werden gemäss ihrem CO2-Fussabdruck mit einem Abgabesatz belegt.
Noch schöner wäre es natürlich gewesen, Pfister hätte sich auf das Avenir-Suisse-Buch «Wirkungsvolle Klimapolitik» von 2021 abgestützt, in dem diese Vorschläge fast deckungsgleich zu finden sind (vgl. Abbildung). Doch wenn wir ehrlich sind, gehörte Avenir Suisse mit der Forderung nach Kostenwahrheit bzw. Verursachergerechtigkeit auch nicht eben zu den Pionieren: Die Ansicht, dass eine konsequente Bepreisung von Treibhausgasemissionen das wohl effizienteste Instrument zu deren Reduktion darstellt, ist unter Wissenschaftern alles andere als neu.
Kritiker mögen einwenden, mit der Bepreisung habe man es schon versucht, und sie habe keine politischen Mehrheiten gefunden. Doch das stimmt so nicht:
- Der Ausbau der Kompensationspflicht für Treibstoffimporteure, für die ein Preisanstieg von 12 Rappen pro Liter kalkuliert wurde, und der von der SVP im Kampf gegen das CO2-Gesetz instrumentalisiert wurde, wäre nicht an die Bevölkerung zurückgeflossen – dass man mit 12 Rappen auf den Benzinpreis Abstimmungen verlieren kann, während die Benzinpreise derzeit um 70 Rappen höher liegen als vor zwei Jahren, ohne in der Schweiz grosse Not auszulösen, steht auf einem anderen Papier.
- Die CO2-Abgabe auf Brennstoffe deckt nur ein gutes Drittel der inländischen Treibhausgasemissionen ab und wird nur zu zwei Dritteln der Bevölkerung zurückerstattet, ein Drittel fliesst ins Gebäudeprogramm und andere Subventionstöpfe.
- Die Rückerstattung aus den Einnahmen der CO2-Abgabe erfolgt maximal ungeschickt, nämlich in Form eines bescheidenen Abzugs von den Krankenkassenprämien – die fast jedes Jahr steigen. So ist «sichergestellt», dass fast niemand etwas von dieser Rückerstattung merkt.
Würde man nun eine umfassende, einheitliche, flächendeckende Bepreisung, die vollständig und besser sichtbar an die Bevölkerung und Wirtschaft zurückverteilt wird, zur Abstimmung bringen, könnten die Dynamiken ganz anders aussehen. Denn einkommensschwache Haushalte haben normalerweise einen unterdurchschnittlichen CO2-Fussabdruck. Sie würden von einer solchen CO2-Bepreisung unterm Strich daher nicht belastet, sondern ganz im Gegenteil sogar entlastet – denn die Rücktransfers wären höher als die Mehrausgaben dieser Haushalte.
Und auch wenn sich erweisen sollte, dass zur Erreichung des Reduktionspfads ein sehr hoher Treibhausgas-Preis nötig wäre – wobei schon die jetzigen 120 Fr./Tonne im internationalen Vergleich sehr hoch sind – wäre das kein Argument gegen die Bepreisung, weil dieser Preis keine Kosten darstellt, die die Gesellschaft zu tragen hat; denn die – dann ebenfalls höheren – Rücktransfers fliessen ja weiterhin komplett an die Gesellschaft zurück. Was tatsächlich Kosten bzw. Einbussen verursacht, ist die Umstellung des Konsums, von Produktionsprozessen, des Energiesystems. Doch diese fallen auch an, wenn die Treibhausgas-Reduktion aufgrund spezifischer staatlicher Vorschriften geschieht. Ja, sie fallen – gegeben die Reduktion – sogar höher aus als in einem preisbasierten System.
Zweitens könnte man Zweifel daran äussern, ob mit einer Bepreisung der Ausstoss je auf null gesenkt werden kann. Diese Bedenken gelten sicher für den Bruttoausstoss: Es wird auch in Jahrzehnten noch gewisse Emissionen geben, die trotz aller Bepreisung nicht eliminiert werden. Das Ziel ist jedoch netto-null, nicht brutto-null. Unternehmen, die sich auf Negativ-Emissionstechnologien spezialisieren, würden für ihren Beitrag entsprechend dem CO2-Preis entgolten. So ist unter Bepreisung durchaus ein Gleichgewicht von null bei den Treibhausgasemissionen möglich.
Besonderes Augenmerk wäre auf Punkt 4 im Vorstoss Pfister zu legen. Hier unterscheidet sich denn auch die von Avenir Suisse im letzten Jahr skizzierte Stossrichtung von der parlamentarischen Initiative: Ein Ausgleichszoll für importierte Güter gemäss ihrem (im Ausland verursachten) CO2-Fussabdruck hat das Potenzial für ein bürokratisches Monster und trägt zudem klar protektionistische Züge. Des Weiteren wäre es beispielsweise nicht sinnvoll, Abgaben auf Importe aus Ländern, die ebenfalls eine Treibhausgas-Bepreisung umgesetzt haben, zu erheben, denn ein solcher Fussabdruck würde ja dann zweimal bepreist – einmal im Ausland und ein weiteres Mal an der Grenze.
Massnahmen gegen einen Wegzug von Industrien mit schlechter CO2-Bilanz (Carbon Leakage) sind sinnvoll, denn mit dem Wegzug wäre für den Klimawandel tatsächlich nichts gewonnen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma (Verhinderung Caron Leakage vs. Importzoll-Bürokratie) könnte sein, alle Importe aus Ländern ohne angemessene Treibhausgas-Bepreisung mit einem verhältnismässig geringen Strafzoll (unabhängig vom CO2-Fussabdruck) zu belegen und die Einnahmen an hiesige Industrien mit hoher preislicher Belastung auszuschütten. Oder man könnte auch ganz auf Importzölle zu verzichten und einen Teil der Einnahmen aus der inländischen CO2-Bepreisung für die Kompensation besonders belasteter Industrien aufwenden. Nicht zuletzt darf festgehalten werden, dass die CO2-Bilanz importierter Güter an sich keine Diskussion im Inland auslösen müsste, würden andere Länder ihre Hausaufgaben (Richtung netto-null) auch erledigen.
So oder so: An den Bestrebungen für eine stark vereinfachte und transparentere Klimapolitik – am besten in Form einer einheitlichen Bepreisung – ist unbedingt festzuhalten. Es ist daher zu hoffen, dass der Vorstoss Pfister Traktion gewinnen wird.
Weiterführende Informationen finden Sie in unserer Studie «Wirkungsvolle Klimapolitik».