Im Zuge der Covid-19-Pandemie werden auch in der Schweiz Forderungen nach einer De-Globalisierung laut. Links-konservative Sozialdemokraten begehren eine Verlagerung der Produktionsstätten zurück in die Schweiz, die christliche Mittepartei postuliert eine Erhöhung des Selbstversorgungsgrads beim Gesundheitspersonal und die nationalkonservative Rechte möchte die Grenzkontrollen am liebsten auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten und die Personenfreizügigkeit im europäischen Binnenmarkt gänzlich abschaffen. All diese Begehren folgen der Doktrin von «Our country first». Radikale Kräfte machen die Globalisierung für die Pandemie verantwortlich, obwohl die Verbreitung des Corona-Virus bekanntlich nicht über den weltweiten Handel mit Gütern passiert.

Den Apologeten der Anti-Globalisierung gemein ist die Befürchtung, im Notfall keinen Zugriff auf lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen zu haben. Hier soll dann – so die Diktion – der Staat eingreifen. Ausgeblendet wird: Die ungenügende Ausstattung mit Masken und Desinfektionsmitteln zu Beginn von Covid-19 hatte viel mehr mit dem mangelhaften staatlichen Pandemiemanagement zu tun als mit den globalen Marktkräften. Derselbe Staat sollte also keinesfalls noch mehr Kontrolle über Wirtschaftstätigkeiten übernehmen.

Wer die Entkoppelung der heimischen Wirtschaft von internationalen Wertschöpfungsketten fordert, ignoriert, welcher Wohlstandsgewinn durch die globale Arbeitsteilung in den letzten Jahrzehnten erzielt wurde – gerade auch hierzulande. Die «Globalisierungsweltmeisterin» Schweiz weist mittlerweile eine Aussenhandelsquote von 96 Prozent aus, ein sattes Plus von 15 Prozent gegenüber 2002. Dieser volkswirtschaftliche Wohlstandszuwachs generierte innert 17 Jahren fast 150 Prozent Mehreinnahmen bei den Bundessteuern juristischer Personen. Gegen zwei Millionen Beschäftigte profitieren direkt vom Zugang zu ausländischen Märkten. Und dank der weltweiten Arbeitsteilung und Spezialisierung hat global die Armut deutlich abgenommen.

Mythos Selbstversorgung: Ernte am Flughafen Zürich-Kloten während der Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg. (ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Trotz allen Unkenrufen ist es bislang zu keiner dauerhaften Mangellage in der Schweiz gekommen. Wer dennoch für einen möglichst hohen Selbstversorgungsgrad eintritt, blendet aus, dass Versorgungssicherheit nicht mit Selbstversorgung gleichzusetzen ist. Die Versorgungssicherheit ist dann am besten garantiert, wenn die Bezugsquellen breit diversifiziert sind. Gut eingespielte Lieferketten sind der bessere Schutz vor Engpässen als Abschottung und Schutz einheimischer Industrien. Vordringlich ist daher der Abschluss weiterer Freihandelsabkommen, was jedoch von den Globalisierungsgegnern dezidiert abgelehnt wird. Ihnen ist entgegenzuhalten, dass die Diversifikation auf Beschaffungs- wie Absatzseite die Resilienz eines einzelnen Unternehmens wie der gesamten Volkswirtschaft stärkt – auch im Gesundheitswesen. Die am stärksten von der Globalisierung durchdrungenen Länder sind denn auch diejenigen, die kaufkraftbereinigt pro Kopf am meisten für Gesundheit ausgeben. Der Ruf nach Re-Nationalisierung erweist sich daher nicht nur ökonomisch, sondern auch gesundheitspolitisch als Irrweg.

Dieser Beitrag ist am 20.5.2020 in der «Handelszeitung» erschienen.