Für eine liberale, demokratische Gesellschaft gibt es zwei wesentliche Pfeiler: zivile und ökonomische Freiheiten. Gewisse Denkschulen sprechen gar davon, dass sich diese Freiheiten gegenseitig bedingen. Unbestritten ist, dass beide Garant sind für Sicherstellung eines Maximums an Entfaltungsmöglichkeiten aller Individuen. Der Avenir-Suisse-Freiheitsindex versucht darum, in ebendiese Familien von Freiheiten zu unterscheiden und diese bestmöglich zu erfassen.

Die letztjährige Erweiterung des zivilen Subindexes mit vier Indikatoren förderte ein neues Spitzenduo zutage. Die erweiterte und differenziertere Abbildung der zivilen Freiheiten bestätigt bzw. verstärkt die bisherigen Resultate: Während die Innerschweiz bei den ökonomischen Indikatoren klar besser abschneidet, trumpfen die Kantone der Romandie mit ihren stark ausgebauten zivilen Freiheiten auf. So nimmt der Kanton Jura mit grossem Abstand und den fast maximal möglichen Punkten klar den ersten Platz ein. Dahinter folgen Neuchâtel und mit abermaligem grossem Abstand der Kanton Appenzell Ausserrhoden. Unter den ersten sechs Rängen des zivilen Subindexes finden sich insgesamt vier Kantone aus der Romandie. Einzig der Kanton Genf, der notorisch den letzten Platz des Avenir-Suisse-Freiheitsindexes einnimmt, erreicht auch hier nur einen Rang im letzten Drittel. Immerhin vermag er für einmal sieben andere Kantone hinter sich zu lassen.

Städtische Kantone mit Drang zu Regulierung

Die Ansprüche an das Zusammenleben können von Kanton zu Kanton stark variieren. Die Bevölkerungsdichte spielt hier unter Umständen eine wichtige Rolle. So hat das individuelle Handeln in einem dicht besiedelten, städtischen Gebiet viel rascher eine Auswirkung auf die Handlungsmöglichkeiten anderer. Die bestehenden Reibungsflächen führen oftmals zu einem höheren Regulierungsbedarf. Nicht von ungefähr finden sich vor allem in städtisch geprägten Kantonen vermehrt Vermummungsverbote, schärfere Regelungen zum Nichtraucherschutz oder Verbote von Hunderassen – so zu beobachten in den Kantonen Genf, Basel-Stadt und Zürich. Ihr schlechteres Abschneiden im zivilen Teil des Freiheitsindexes ist Folge davon.

Immerhin vermag der Föderalismus auf ebendiese lokalen Begebenheiten einzugehen. Bevölkerungsmässig kleinere Kantone erhalten so die Möglichkeit, auf lokal überflüssige Freiheitsbeschränkungen zu verzichten, ohne von einer zentralistischen «Diktatur der Mehrheit» erdrückt zu werden. Es kommt zu einem «Leben und leben lassen». Der Kanton bleibt das Gefäss, um die jeweilige kantonale Couleur zu erhalten und auszuleben.

Verschmelzung von Kirche und Staat

Doch nicht nur Bevölkerungsdichte, sondern auch kulturelle und religiöse Eigenheiten finden Eingang in die Regelung des öffentlichen Alltags. Ein wesentlicher Unterschied etwa zwischen den Sprachregionen ist die Ausprägung des Laizismus. Wird dieser in der Westschweiz grossgeschrieben und ist stark im staatspolitischen Verständnis der Bevölkerung verankert, ist die Kirche mit den Kantonen in der Deutschschweiz wesentlich intensiver verbunden. So kennen gewisse Kantone gar ein System sogenannter «anerkannter Kirchen», die in den Genuss staatlicher Förderung kommen.

Im Avenir-Suisse-Freiheitsindex schlägt sich der Grad der Trennung von Staat und Kirche in zwei zivilen Indikatoren nieder – «Kirchensteuer für Unternehmen» und «Tanzverbot». Etliche Kantone der lateinischen Schweiz verzichten auf Kirchensteuern oder gestalten diese zumindest fakultativ. Der Indikator «Tanzverbot» misst die Einschränkungen des Verhaltens in der Öffentlichkeit während Feiertagen. Auch hier ermöglichen fast alle Westschweizer Kantone ihrer Bevölkerung grösstmögliche Freiheit. Während etwa in der Innerschweiz oft nicht-kirchliche, öffentliche Veranstaltungen an Feiertagen untersagt sind oder nur mit einer Genehmigung abgehalten werden dürfen, gibt es im Kanton Appenzell-Innerhoden an hohen Feiertagen tatsächlich noch ein striktes Tanzverbot.

Gerade Anachronismen wie das Tanzverbot zeigen, welche absurden Folgen eine allzu enge Verbindung von Kirche und Staat bewirken können. Religiös motivierte Gesetze schränken die zivile Freiheit von Minderheiten und Bürgern ein. Hier kann die Romandie der Deutschschweiz offenkundig als Vorbild dienen.