Wer in den letzten Monaten die nationale Politikbühne verfolgt hat, konnte ob den jüngsten Meldungen aus dem Finanzdepartment zum Bundeshaushalt kaum überrascht sein. Zum hohen, hauptsächlich coronabedingten Defizit für das laufende Jahre gesellen sich düstere mittelfristige finanzpolitische Aussichten. Ab 2024 lassen sich als Folge der zahlreichen Ausgabenwünsche des Parlaments die Vorgaben zur Schuldenbremse nicht mehr einhalten. Insgesamt ergibt sich Stand heute ein Bereinigungsbedarf im Umfang von einer Milliarde für 2024 und je drei Milliarden für 2025 und 2026. Erschwert wird dieser durch eine ganze Reihe noch nicht budgetierter Mindereinnahmen (z.B. Reform Eigenmietwert) und Zusatzausgaben (z.B. CO2-Gesetz), deren Auswirkungen auf den Haushalt aufgrund ausstehender Parlamentsbeschlüsse noch nicht beziffert werden können.
Corona hat Spuren hinterlassen
Angesichts der bröckelnden finanzpolitischen Disziplin unter der Bundeshauskuppel muss man festhalten: Es ist ein Glück, dass die Schweiz eine gut verankerte und funktionierende Ausgabenregel in Form der Schuldenbremse kennt, und dass Avancen, diese zu lockern, vor der Pandemie abgewehrt wurden. Denn ähnlich wie in den Neunzigerjahren scheint sich die Finanzpolitik neuerdings eher an den Ansprüchen und an den gefühlten Notwendigkeiten für öffentliche Leistungen als an den vorhandenen Mitteln zu orientieren.
Die (berechtigten, aber zu umfangreichen) Hilfsprogramme im Zuge der Corona-Pandemie haben den Grundsatz ausser Kraft gesetzt, wonach Ausgaben auch entsprechende Einnahmen gegenüberstehen müssen. Damit wurde in weiten Teilen des Parlaments ein Mentalitätswandel in Gang gesetzt. Die Folgen davon sind jetzt klar erkennbar: Liquiditätssicherung – für Grosskonzerne wie KMU – verkommt im Zuge der hohen Strom- und Energiekosten zu einer staatlichen Aufgabe. Dies, obwohl der Kostenanstieg kurzfristig nur für eine Minderheit der Unternehmen wirklich existenzbedrohend sein dürfte. Bedenklich sind die in den vergangenen Monaten von Politikern aller Couleur ertönten Rufe nach «Erhaltung der Kaufkraft». Eine Inflationsrate von rund drei Prozent ist im historischen Vergleich zwar erhöht, ein Grund dafür, die Rezepte zur Bekämpfung der Teuerung aus dem tatsächlich inflationsgeplagten europäischen Ausland zu übernehmen, ist es allerdings noch lange nicht.
Nicht überall, wo Krise draufsteht, ist Krise drin
Geboten wäre also mehr finanzpolitischer Realismus. Dieser sollte mit der Erkenntnis beginnen, dass nicht jede Abweichung vom Trend eine Krise begründet und nicht jede sogenannte Krise staatliche Unterstützung rechtfertigt. Der inflationäre Gebrauch des Krisenbegriffs dient häufig oft dazu, alte Anliegen in neuem Gewand erscheinen zu lassen und damit deren Dringlichkeit zu untermauern. Die finanzpolitische Folge dieser medial unterstützen Krisennarrative ist eine Abkehr vom verhältnismässigen Einsatz öffentlicher Gelder. Ablesen lässt sich dies an der zunehmenden Tendenz, Ausgaben als ausserordentlich einzustufen. Dass Aufwendungen im Zusammenhang mit Russlands Krieg gegen die Ukraine angesichts der Bedrohung des freiheitlichen Europas vorläufig darunterfallen, ist richtig. Andere Ausgabenposten wie die Finanzspritze zugunsten der SBB zur Linderung ihrer Liquiditätsprobleme gehören nicht dazu. Der Bund fungiert seit der Pandemie bereits als Hausbank der Bahn und hat ihr mehrere Darlehen gewährt – der Kreditrahmen beträgt 4,5 Milliarden Franken.
Der verhältnismässige Einsatz staatlicher Mittel ist durch eine weitere parlamentarische «Schlaumerei» gefährdet: Seit 2015 ist der Anteil der «stark gebundenen» Ausgaben, also jenen, die dem jährlichen Budgetprozess entzogen sind, von 50% auf fast 65% angestiegen. Je mehr Zweckbindungen verankert sind, umso enger der finanzpolitische Spielraum. Das Parlament beklagt diesen Zustand zwar regelmässig, gleichzeitig arbeitet es im Parlamentsalltag aber in die Gegenrichtung, indem es laufend neue Zweckbindungen beschliesst. Es ist entsprechend an der Zeit, nicht nur vom Bundesrat auf dem Motionsweg Vorschläge zur Erhöhung des Handlungsspielraums zu verlangen, sondern diesen selbst nicht weiter einzuengen.
Beträchtliches Reduktionspotenzial bei den budgetieren Ausgaben
Nicht zuletzt darf sich besonders das Parlament bei den konkreten Geschäften, die ab 2024 ein Loch in die Bundeskasse zu reissen drohen, durchaus von Fakten leiten lassen. Der vom Nationalrat anvisierte Ausbau der Prämienverbilligungen (Gegenvorschlag zur Entlastungsinitiative) etwa ist weitgehend überflüssig. Einerseits ist das Wachstum bei den Gesundheitsausgaben längst rückläufig. Andererseits käme diese Entlastung fast 30% der Haushalte zugute. Das hat Giesskannencharakter, zumal seit 2021 Familien zusätzlich entlastet werden. Im Übrigen entlastet das Parlament dadurch die Kantone, in deren Verantwortlichkeit diese Bedarfsleistung eigentlich fällt.
Dass die Schweiz in Zukunft überdies wieder mehr in die eigene Sicherheit investieren muss, ist mit dem Angriff auf die Ukraine klar geworden. Ob dies aber eine Erhöhung der bereits geplanten Aufstockungen des Armeebudgets von rund 40% notwendig macht, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden; zumal die Landesverteidigung weit mehr kostet, als die Staatsrechnung vermuten lässt (8,2 gegenüber 4,9 Milliarden). Anstatt den Etat der Landesverteidigung auf Vorrat zu erhöhen, sollte die Politik zunächst klären, welche (Beschaffungs-) Projekte die Armee als Reaktion auf die veränderte Sicherheitslage vorziehen könnte.
Auch in der Klimapolitik würde mehr finanzpolitischer Realismus nicht schaden. Anstelle fortlaufend neue Ausgaben zu beschliessen – zuletzt der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative – sollte sich die Politik auf die staatliche Kernaufgabe in diesem Bereich besinnen: die Herstellung von Kostenwahrheit. Die korrekte Bepreisung fossiler Treibstoffe bleibt das effizienteste Instrument zur Erreichung der Klimaziele. Dies bedingt aber auch die Bereitschaft der Politik, der Wählerschaft den Sachverhalt und die Überlegenheit dieses Instruments zu erklären. Stattdessen bevorzugt sie mit ineffizienten Subventionen den Weg des geringsten Widerstands.
Die drohende Schieflage des Bundeshaushalts liesse sich also abwenden. Dabei hat vor allem das Parlament einige Hebel in der Hand, den Druck auf die Finanzen zu entschärfen, ohne dass der Bund seine Aufgaben zu vernachlässigen droht.