IHK St. Gallen-Appenzell: Herr Leisibach, wie viel Zeit haben Sie dank KI gespart, um sich auf dieses Gespräch vorzubereiten?
Patrick Leisibach: Ich habe einige aktuelle Artikel gelesen, mich etwas ins Thema eingearbeitet und meine Gedanken geordnet. Mit KI geht das deutlich schneller. Sie hilft beim Recherchieren, Zusammenfassen, beim Schärfen von Argumenten. Allein würde ich das in der gleichen Zeit nicht schaffen. Ich würde sagen, die KI verdoppelt meine Produktivität in diesen Tätigkeiten.
Als ob Sie einen «zweiten Patrick Leisibach» neben sich hätten. Heisst das, dass Unternehmen schon bald jeden zweiten Büroangestellten einsparen können?
Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. KI ist für mich primär komplementär, nicht ein Ersatz. Sie arbeitet nicht von allein – jemand muss sie bedienen, die Resultate prüfen und interpretieren. Natürlich werden gewisse Aufgaben effizienter gelöst, aber es bleiben genügend Aufgaben, die Kreativität, Verantwortung und Empathie brauchen.
Andere Schätzungen sind pessimistischer und halten es für wahrscheinlich, dass KI Millionen Jobs verdrängt – gerade in den Büros. Muss man da nicht reagieren?
Die historische Erfahrung spricht dagegen. Jede grosse technologische Welle hat am Ende mehr Arbeitsplätze geschaffen als verschlungen. Ich halte es für gewagt, davon auszugehen, dass diesmal mit KI alles anders ist. Es wird je nach Bereich zu Jobverlusten kommen, das bestreite ich nicht. Aber die Anpassungen werden graduell, nicht schockartig erfolgen. Menschen, Unternehmen und Institutionen reagieren gewöhnlich langsam.
Nehmen wir an, das pessimistische Szenario trifft ein: weniger Jobs, geringere Einkommen, weniger Steuern. Es mehren sich die Stimmen, die eine KI-Steuer fordern, um ein drohendes Loch in den Staatskassen zu füllen. Was halten Sie davon?
Erstens dürfen wir nicht vergessen: Der demografische Wandel wird den bereits bestehenden Mangel an Arbeitskräften vorderhand einmal verstärken. KI kann helfen, produktiver zu werden und diesen Arbeitskräftemangel zu mindern. Und zweitens sehe ich nicht, weshalb man KI steuerlich anders behandeln sollte als
andere Technologien. Für mich ist das der falsche Ansatz. Gewinne, die durch KI entstehen, sind heute schon erfasst – über Unternehmenssteuern und Einkommenssteuern. Eine zusätzliche Abgabe würde zu einer verzerrenden Doppelbesteuerung führen.
Das World Economic Forum (WEF) schätzt, dass 65% der 2016 eingeschulten Kinder später Berufe ausüben, die es zum Zeitpunkt ihres Schulstarts noch nicht gab. KI dürfte diesen Wandel beschleunigen. Eine KI-Steuer wäre doch sinnvoll, um nötige Weiterbildungen zu finanzieren?
Weiterbildung ist in dieser Entwicklung absolut zentral. Aber dafür brauchen wir keine Sondersteuer. Dank neuen Technologien werden wir produktiver. Das führt zu höheren Löhnen und tieferen Preisen – all das stärkt die Kaufkraft und schafft wiederum Nachfrage und Arbeitsplätze. Und ich wiederhole mich: Die daraus entstehende Wertschöpfung wird bereits über das bestehende Steuersystem erfasst. Es wäre absurd, Fortschritt zu besteuern, um Umschulungen zu finanzieren: Wir würden den Motor bremsen, der uns überhaupt die Mittel für Weiterbildung liefert.
Manche Branchen profitieren aber stärker von KI als andere. Ein Coiffeur oder ein Restaurant kann weniger rationalisieren als eine Digitalagentur. Ist es da fair, steuerlich alle gleich zu behandeln?
Das Steuersystem besteuert Gewinne und Einkommen, nicht die Art, wie diese zustande kommen. Ob Gewinne durch Handarbeit entstehen oder durch Automatisierung, spielt keine Rolle. Wenn wir anfangen, Technologien unterschiedlich zu behandeln, schaffen wir Fehlanreize. Unternehmen würden nicht mehr in das investieren, was am produktivsten ist, sondern in das, was steuerlich am besten wegkommt. Genau das wäre Gift für einen Hochlohnstandort wie die Schweiz, der sich im globalen Wettbewerb nur über seine hohe Produktivität behaupten kann. Kommt hinzu: Die praktische Abgrenzung, welche Veränderungen und Tätigkeiten nun «KI-bedingt» sind, wäre ohnehin kaum umsetzbar.
Es könnten die eingesparten Löhne als Bemessungsgrundlage genommen werden. Also: Wenn ein Job durch KI wegfällt, muss das Unternehmen den hypothetischen Lohn versteuern.
Theoretisch klingt das einfach – praktisch ist es aber nicht. Wie will man feststellen, ob ein Arbeitsplatz wirklich durch KI ersetzt wurde? Vielleicht lag es an einer Reorganisation, an Outsourcing oder schlicht an weniger Nachfrage. Am Ende müsste man viele Annahmen treffen, um das zu schätzen. Das schafft Willkür und Bürokratie – aber keine solide Steuergrundlage.
Wird KI die Kluft zwischen Kapitalbesitzern, die von Produktivitätsgewinnen profitieren, und Arbeitnehmenden vergrössern?
Solche Sorgen gibt es schon lange. In der Schweiz haben sie sich bislang nicht bestätigt. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist seit Jahren stabil. Gleichzeitig ist Kapital bei uns im internationalen Vergleich hoch besteuert – sowohl Substanz als auch Erträge. Sollte sich die Ungleichheit tatsächlich verschärfen, dann wäre es logischer, am bestehenden System nachzujustieren.
Und was, wenn die Schweiz doch im Alleingang eine KI-Steuer einführen würde?
Das wäre brandgefährlich. Technologien sind mobil. Unternehmen könnten ihre Aktivitäten in Länder verlagern, die keine solche Steuer kennen – also de facto jedes andere Land der Welt. Für die Schweiz wäre das wirtschaftlich ruinös. Es überrascht deshalb nicht, dass kein Land bisher den Schritt gewagt hat. Die allgemeine Tendenz ist klar: Viele Länder fördern Forschung und Innovation steuerlich, statt sie zu bestrafen. Eine zusätzliche KI-Steuer wäre also ein Sonderweg, der die Schweiz im internationalen Wettbewerb schwächen würde.
Dieses Interview wurde von Fabio Giger geführt und ist am 26. September 2025 im Magazin «Facts» erschienen.