Ausländerinnen und Ausländer leisten einen überdurchschnittlich hohen Beitrag zur Innovationskraft der Schweiz: Sie stellen rund die Hälfte aller Startup-Gründer – und sogar 78% jener, die hinter sogenannten «Unicorns» stehen, also Unternehmen mit einem Marktwert von über einer Milliarde US-Dollar. An den Universitäten hat jede zweite Professorin bzw. jeder zweite Professor einen ausländischen Pass, und bei den Promovierten in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) stammen drei von vier aus dem Ausland.
Mit der anhaltend hohen Zuwanderung treten gleichzeitig vermehrt «Wachstumsschmerzen» zutage. Auch die finanzielle Situation des Bundes hinterlässt Spuren: Bei Bildung und Forschung sind geringere Ausgabensteigerungen vorgesehen, sehr zum Unmut der betroffenen Institutionen. Über dem Atlantik sorgen derweil politische Eingriffe und Budgetkürzungen für Unruhe am Forschungsstandort USA – was der Schweiz auch neue Chancen eröffnen könnte.
Was bedeuten diese Entwicklungen für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit? Die folgenden sieben Fragen geben Antworten.
1. Warum sind Ausländer bei Startup-Gründungen so stark vertreten?
Als internationaler Forschungs- und Wirtschaftsstandort zieht die Schweiz hochqualifizierte Talente aus aller Welt an – Menschen, die oft ein anderes Profil als die Durchschnittsbevölkerung mitbringen. Sie sind tendenziell jünger, besser qualifiziert und risikobereiter. Es sind Menschen, die etwas erreichen und bewirken wollen.
Hinzu kommt: Viele starten in der Schweiz als Studierende oder Forschende an Hochschulen. Besonders in urbanen Hightech-Sektoren wie den Innovationsclustern rund um den Genfersee, in Zürich oder Basel finden sie ein fruchtbares Umfeld. Dort treffen sie auf starke Unternehmen und führende Hochschulen wie die ETH Zürich oder die EPFL Lausanne. Viele Startups entstehen als Spin-offs direkt aus der Forschung oder siedeln sich bewusst in unmittelbarer Nähe dieses dynamischen Ökosystems an.
2. Haben Schweizer zu wenig Mut zum Unternehmertum?
Wohlstand, gute Jobchancen und eine gewisse Risikoaversion könnten dazu beitragen, dass Schweizerinnen und Schweizer seltener unternehmerische Risiken eingehen. Entscheidender ist jedoch die gezielte Zuwanderung hochqualifizierter Talente – nicht zuletzt dank der starken Anziehungskraft der hiesigen Hochschulen.
Hinzu kommen ausgeprägte Branchencluster und attraktive regulatorische Rahmenbedingungen – etwa im Krypto-Bereich, wo viele Gründerinnen und Gründer die Schweiz gezielt als Standort wählen. Kurz gesagt: Die Dominanz ausländischer Gründer ist kein Hinweis auf ein Defizit, sondern ein Beleg für die Offenheit und Stärke des Schweizer Innovationssystems.
3. Was erklärt die hohe Selbstständigkeit von Ausländern in weniger akademischen Berufen?
Die hohe Gründungsaktivität beschränkt sich nicht nur auf den Hightech- oder Hochschulbereich. Auch in Branchen mit geringen Einstiegshürden – etwa Bau, Transport oder persönliche Dienstleistungen – sind Ausländer stark vertreten. Diese erfordern oft wenig Startkapital, kaum formale Abschlüsse und nur begrenzte administrative Kenntnisse, was die Selbstständigkeit erleichtert.
Oft wird vermutet, dass Ausländer aus Mangel an Chancen in die Selbstständigkeit gedrängt würden. Dafür gibt es in der Schweiz jedoch kaum stichhaltige Hinweise. Viele nutzen gezielt die Möglichkeiten des Schweizer Umfelds: eine starke Binnennachfrage, kaufkräftige Kunden und eine vergleichsweise unternehmerfreundliche Verwaltung. Selbstständigkeit ist in diesen Fällen meist eine bewusste Entscheidung – nicht eine Notlösung.
4. Lässt sich der Fachkräftemangel – gerade im MINT-Bereich – nicht durch inländische Ausbildung beheben?
Die Schweiz investiert viel in Bildung und fördert gezielt MINT-Fächer – etwa mit Programmen an Schulen. So können Mädchen im «Coding Club» eigene Apps entwickeln und Berufsvorbilder kennenlernen, während Plattformen wie educamint.ch landesweit MINT-Angebote vernetzen und sichtbar machen. Dennoch lässt sich der Fachkräftemangel damit allein nicht beheben. Der Grund ist einfach: Die Bevölkerung ist klein, und der Bedarf – etwa in IT und Ingenieurwesen – übersteigt das inländische Potenzial deutlich.
Natürlich wäre es wünschenswert, mehr junge Menschen für MINT-Berufe zu gewinnen. Doch viele würden dann in anderen Bereichen fehlen. Zudem können und wollen wir niemanden zu einer bestimmten Ausbildung drängen. Der Schweizer Arbeitsmarkt erlaubt es jungen Menschen, mit fast jedem Abschluss beruflich Fuss zu fassen.
Zugleich herrscht seit Jahren nahezu Vollbeschäftigung: Über 80% der Menschen im erwerbsfähigen Alter sind berufstätig – ein internationaler Spitzenwert. Gleichzeitig entstehen jährlich zehntausende neue Stellen. Es braucht deshalb beides: Ausbildung im Inland – und Offenheit nach aussen.
5. Sollte die Schweiz gezielt Forschende aus den USA ansprechen, die wegen der politischen Lage über einen Wegzug nachdenken?
Die Situation in den USA kann der Schweiz Chancen eröffnen. In der Verantwortung stehen die Hochschulen selbst – nicht der Bund. Sie müssen prüfen, wie sie gezielt Drittmittel mobilisieren oder Verfahren beschleunigen können. Neue Professuren entstehen nicht über Nacht; Berufungsverfahren dauern oft Monate oder sogar Jahre.
Forschung lebt vom internationalen Austausch. Allzu aggressive Abwerbungen könnten gewachsene Kooperationen belasten. Entscheidend ist daher: Die Schweiz muss sichtbar machen, dass sie ein verlässlicher, offener und langfristig attraktiver Ort für Spitzenforschung ist.
6. Gefährden Sparmassnahmen und höhere Studiengebühren die Attraktivität der Schweizer Forschung?
Keine Frage: Die Hochschulen sind zentrale Pfeiler für Innovation und Wohlstand. Sie bilden nicht nur Fachkräfte aus, sondern tragen auch über Forschung und Kooperationen zur Wettbewerbsfähigkeit des Standorts bei. Entsprechend sind die öffentlichen Ausgaben in den letzten Jahren stark gestiegen – allein der Bund investiert heute über 8 Milliarden Franken jährlich in Bildung und Forschung. Nur die Sozialausgaben sind noch stärker gewachsen.
Vor diesem Hintergrund und angesichts des Spardrucks erscheint ein moderateres Ausgabenwachstum vertretbar – zumal in anderen Bereichen deutlich stärker gespart wird oder bereits wurde. Auch die geplanten höheren Studiengebühren bleiben im internationalen Vergleich moderat. In einem Land mit funktionierendem dualem Bildungssystem erwerben viele ihre Qualifikationen ausserhalb der Hochschulen. Es ist daher gerechtfertigt, dass Studierende, die selbst stark vom Studium profitieren, einen grösseren Beitrag leisten. Für talentierte, aber finanzschwache Studierende können wie teilweise heute schon gezielt Stipendien eingesetzt werden.
Die Attraktivität des Forschungsstandorts Schweiz steht dadurch nicht grundsätzlich in Frage. Wichtig ist, dass die langfristigen Rahmenbedingungen stimmen und Exzellenz oberste Priorität bleibt. Nicht zuletzt ist auch die nächste Generation auf solide Staatsfinanzen angewiesen – damit Ausbildung und Forschung auch künftig auf hohem Niveau finanziert werden können.
7. Welche Folgen hätte ein Ende der Personenfreizügigkeit für die Innovationskraft?
Ein Ende der Personenfreizügigkeit hätte je nach Ausgestaltung spürbare Folgen für Innovation und Unternehmertum in der Schweiz. Die grosse Mehrheit der ausländischen Gründerinnen, Forscher und Fachkräfte stammt aus dem EU-Raum. Allein die Einwanderer aus Deutschland, Frankreich und Italien sind für rund die Hälfte aller ausländischen Firmengründungen verantwortlich.
Eine Begrenzung dieser Zuwanderung würde das Innovationspotenzial direkt schwächen – insbesondere ohne geeignete Alternativen, etwa erleichterte Regelungen für Fachkräfte aus Drittstaaten. Zudem könnte ein solches Signal international als Abschottung wahrgenommen werden. Das hätte das Potenzial, gewünschte Zuwanderer abzuschrecken – ähnlich wie in Grossbritannien nach dem Brexit, wo zwar die Zuwanderung auf Rekordniveau ist, aber kaum mehr EU-Bürgerinnen und -Bürger auf die Insel kommen.
Gleichzeitig dürfen die Herausforderungen hoher Zuwanderung nicht ignoriert werden: Sie führt zu sozialen Spannungen, verknappt Wohnraum und belastet die Infrastruktur. Die Antwort darauf sollte jedoch keine starre Begrenzung sein, sondern allenfalls eine kluge Steuerung – etwa durch eine Lenkungsabgabe pro Zuwanderer. Eine solche Pro-Kopf-Gebühr würde die Zuwanderung moderat bremsen, ohne unnötige Bürokratie zu schaffen. Ganz ohne Nebenwirkungen wäre aber auch dieser Weg nicht.
Dieser Blog ist in leicht modifizierter und verkürzter Form als Interview auf dem KMU Portal des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco erschienen.